Es war für mich als Vater schon ein kleiner Schock als mir meine
Tochter nach der schulischen Ausbildung gesagt hat: „Jetzt möchte
ich frei sein, ich will nach Amerika als Au pair gehen“. Ich
schluckte einmal, um nicht gleich mein erstes Gefühl auszusprechen.
Irgendwie habe ich das „Ich möchte frei sein“, ja fast als
Beleidigung empfunden. Ich dachte, wie sieht sie Freiheit? Ich hatte
auch etwas Angst und Gedanken wie „Jetzt hast du sie 18 Jahre
großgezogen und jetzt will sie flüchten, was nicht alles passieren
könnte". Ich habe mich überwunden und nicht versucht ihr das
auszureden, sondern habe Unterstützung angeboten, denn dann wusste
ich, wohin sie geht, was sie macht und mit wem sie das macht. Ich
konnte in Wirklichkeit als Vater nicht gleich meine Tochter
loslassen. Ich habe ihr vertraut und es ging auch alles gut.
Letztendlich war der Gang in das Ausland - weg von der Obhut der
Eltern - die „Reifeprüfung“ unserer Erziehung, die wir aus meiner
Sicht sehr gut bestanden haben. Doch der Satz „ich möchte frei sein“
hat mich bis heute nicht losgelassen und ich denke oft noch darüber
nach. Ich bin in der Zwischenzeit zum Entschluss gekommen, dass
Freiheit nicht etwas ist, wo man durch ein Tor geht und man ist
frei, sondern Freiheit ist ein Lebensprozess.
Montag, 23. April 2012
Kann ich mich auf dich verlassen?
„Kann ich mich auf dich verlassen“, fragte ich meinen jüngsten Sohn,
als er alleine in die neue Wohnung gezogen ist. Mit einem
selbstsicheren: „Papsch, i check dais scho!“ hat er es abgetan. Im
Nachhinein habe ich mich gefragt, was soll eigentlich die Frage:
„Kann ich mich auf dich verlassen?“ Worauf soll ich mich verlassen
können? In Wirklichkeit heißt das eigentlich, handle so, damit ich
nicht in Verruf komme und für mich beinhaltet diese Frage auch:
„Magst du mich?“ und „Kannst du Verantwortung übernehmen?“ Fragen,
die eher an mich gerichtet sein müssen als an meinen Sohn. Habe ich
dir beigebracht, Verantwortung zu tragen? Habe ich dir vorgelebt,
wie man sich in bestimmten Situationen verhält? Habe ich die
Beziehung so aufgebaut, dass du auch in Krisen und Schwierigkeiten
immer ein offenes Ohr und eine offene Tür vorfindest? Habe ich
vermittelt, dass Selbstbestimmung wahrgenommen werden muss? Fragen,
die, wenn sich die Kinder von der eigenen Familie loslösen, an sich
selbst gerichtet werden müssen. Schon Adolph Kolping hat gesagt:
„Wenn man sagt: Es fehlt an der Erziehung der Jugend, muss man auch
sagen, es taugen die Eltern nichts.“ Ein hartes Urteil, aber ich bin
überzeugt, wenn junge Menschen keine positiven Vorbilder haben,
dürfen wir nicht sagen, wir können uns auf unsere jungen Menschen
nicht verlassen.
Dienstag, 24. April 2012
Ich hoffe auf die Zukunft!
Erst jetzt, wo unsere Kinder flügge werden, lässt man bewusst
Geschehnisse Revue passieren. Erst jetzt, wo man mit einem gewissen
Abstand mit Ruhe und Bedächtigkeit darüber nachdenkt, spürt und
merkt man was gut und schlecht gelaufen ist. Eine Ruhe und
Gelassenheit, die man wahrscheinlich in manch einer angespannten
Situation gebraucht hätte. Oft denke ich, dass es eine richtige
Entscheidung war, dass wir uns entschieden haben in unserer
Großfamilie mit drei Generationen zu leben. Auch wenn es nicht immer
leicht war, die Eigenheiten der einzelnen Generationen anzusprechen
und auszureden. Durch die Großeltern haben die Kinder die nötige
Ruhe und Bedächtigkeit, ja Langsamkeit erfahren, die uns Eltern
damals wahrscheinlich abgegangen ist. Natürlich wusste niemand zu
Beginn, wie das funktioniert. Aber heute kann man mit etwas Abstand
sagen, dass es gut war und für alle Beteiligten mehr Vorteile als
Nachteile gebracht hat. Als größere Wirtschaftsgemeinschaft sind
wir alle nicht nur emotional gewachsen, sondern konnten auch vieles
gemeinsam tragen und Lasten aufteilen, wodurch vieles leichter
wurde. Wie wird das in unserer Gesellschaft werden, wenn die
Singlehaushalte immer mehr werden? Ich hoffe auf eine Zukunft, in
der wir wieder mehr das Gemeinsame und weniger den Egotrip sehen
werden.
Mittwoch, 25. April 2012
Gebraucht werden
Ich sehe es fast als fließenden Übergang wie eine Generation die
andere braucht. In Wirklichkeit brauchen unsere Kinder nicht nur uns
als Eltern, sondern wir als Eltern auch unsere Kinder, auch wenn sie
noch klein sind. Wir brauchen sie emotional. Wir brauchen sie, damit
unser Leben einen Inhalt und Sinn bekommt. Ein kinderloser Freund
hat vor einiger Zeit geprahlt, was er nicht alles hat, über welche
Besitzungen er verfügt. Er war etwas schockiert als ich ihm sagte,
dass das alles keinen Wert hat, da er sich einmal nichts mitnehmen
kann und er schließlich nur Verwalter von seinen geerbten und
angehäuften Werten ist, solange er lebt. Das emotionale Erlebnis zu
sehen, wie Kinder groß werden, sie dann der Familie entwachsen, das
geht ab. Das kann man nicht mit viel Geld und Besitzungen aufwiegen.
Es macht mir Freude, wenn ich mit den Söhnen gemeinsam den Wald
durchforsten kann, sie mich dabei unterstützen und sagen: „Lass
Papsch, ich werde das schon machen!“, wenn ich den Berg mit dem Holz
hinaufschnaufe. Mit Sehnsucht warte ich eigentlich schon darauf, sie
einmal in der Betreuung ihrer eigenen Kinder unterstützen zu können,
ihnen etwas zurückzugeben, was sie mir als Kinder emotional gegeben
haben, was ich nicht immer gleich gesehen und aufgenommen habe. Für
mich zeigt sich, dass wir vielmehr unsere Kinder brauchen, als sie
uns brauchen.
Donnerstag, 26. April 2012
Die Freiheit selbst zu sein
Viele sogenannte Reformpädagogen vertraten schon in den vorigen
Jahrhunderten die Meinung, dass Kinder nicht nicht lernen können.
Die heutige Hirnforschung bestätigt das immer mehr. Auch ich war
einmal der Meinung, dass Kinder das Lernen müssen, was, wie und wann
ich mir das vorstelle. Je mehr ich mich mit der Hirnforschung
auseinandersetze merke ich, dass Lernen immer einen Anker braucht.
Es braucht Beziehung, es braucht eine emotionale Verbindung mit dem
zu erlernenden Inhalt. Erkenntnisse, die unser Schulsystem, unsere
Pädagogik, unsere weitläufigen Erziehungsmaßnahmen in Frage stellen.
Lernen habe ich meist als Wissen verstanden. Heute weiß ich, dass
Wissen nicht ausreicht. Man muss dieses Wissen bei Bedarf, in der
jeweiligen Situation anwenden können. Die Anwendung lernt man vor
allem durch das Tun. In der Replik sehe ich auch, dass meinen
Kindern das geblieben ist, was sie selbst wollten und sich selbst
erarbeitet haben.
Als Vater ist mir klar, dass mich meine Kinder nachahmen. Es macht
daher Sinn, zu sagen, warum man etwas so macht und handelt und nicht
anders. Das führt zum Verstehen und in weiterer Folge zur Anwendung.
Freitag, 27. April 2012
Gut, dass ihr da seid
Jetzt wo unsere Kinder 28, 24 und 22 sind und dabei sind, sich eine
eigene Familie aufzubauen, spürt man, dass man etwas vermisst. Die
leeren Kinderzimmer, die Ruhe im Haus, die Beziehung suchenden
Katzen. Die Leere macht offenbar, dass wir in einen neuen
Lebensabschnitt kommen.
Das ändert sich schlagartig, wenn am Wochenende das Haus wieder voll
ist und statt vier wieder neun Personen um den Mittagstisch sitzen.
Man sich austauschen kann und neugierig ist, was die „Jugend“ so in
der Woche erlebt hat. Da spüre ich, dass es gut ist, dass die Kinder
da sind. Es ist gleich ein anderes Lebensgefühl – es ist Leben.
Natürlich können sich auch meine Frau und ich mit den
Schwiegereltern austauschen, aber es ist mit den Kindern anders. Es
ist erfrischender, es ist lebhafter, es ist spannender. Ein Spruch
sagt: „Gib den Kindern zuerst Wurzeln, dann Flügel“. Dem kann ich
sehr viel abgewinnen; aber ehrlich gesagt, ist es für mich schwer,
sie fliegen zu lassen. Sie ihrer eigenen Bestimmung zu übergeben,
nicht immer meinen „Kren“ dazuzugeben. Ich bin aber überzeugt, dass
es das Fliegen lassen braucht, dass sie selbstbestimmt ihr Leben
gestalten müssen. Es beruhigt mich auch, wenn ich sehe, wie es ihnen
gelingt und wie bemüht sie um ihre Partnerschaften sind und diese
auch pflegen.
Samstag, 28. April 2012
BeziehungsReich – Familie(n)!
BeziehungsReich – Familie(n) ist das Thema der diesjährigen Woche
der Familie im Mai. Ich bin überzeugt, dass Beziehung etwas ist, das
man nicht nicht haben kann. Die Frage ist nur, wie sich diese
darstellt. Beziehung, wie ich sie mit meinen Kindern und mit meiner
Familie erlebe, stärkt, macht sicher, vermittelt Geborgenheit und
festigt. Als Direktor der Berufsschule Eisenstadt erlebe ich aber
auch, dass manche junge Menschen dieses stabile Beziehungsgeflecht
und somit eine Atmosphäre der Sicherheit und Geborgenheit nicht
vorfinden. Ich meine, dass in solchen Fällen das nicht familiäre
Umfeld unterstützend wirkt. Vereine, Gruppen, Kirchen, Parteien sind
hier gefordert, um dem Menschen das zu geben, was er unbedingt
braucht, nämlich Beziehung. Echte Beziehungen halten auch Konflikte
aus. Beziehungen sollen aber auch gepflegt werden.
Der Hirnforscher Gerald Hüther sagt: „Beziehung wirkt Wunder“. Ich
meine, damit drückt er aus, dass in einer guten Beziehung mit den
Kindern die Basis für viele Fragen gelegt wird. Die Loslösung von
der Familie, das gemeinsame Bewältigen von Problemen, die
gegenseitige Unterstützung, wird aus meiner Sicht dann kein Problem
sein, wenn die Beziehung passt.