Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Dir. Johannes Fenz (Eisenstadt)

 

 

Sonntag, 22. April 2012
Ich möchte frei sein!

Es war für mich als Vater schon ein kleiner Schock als mir meine Tochter nach der schulischen Ausbildung gesagt hat: „Jetzt möchte ich frei sein, ich will nach Amerika als Au pair gehen“. Ich schluckte einmal, um nicht gleich mein erstes Gefühl auszusprechen. Irgendwie habe ich das „Ich möchte frei sein“, ja fast als Beleidigung empfunden. Ich dachte, wie sieht sie Freiheit? Ich hatte auch etwas Angst und Gedanken wie „Jetzt hast du sie 18 Jahre großgezogen und jetzt will sie flüchten, was nicht alles passieren könnte". Ich habe mich überwunden und nicht versucht ihr das auszureden, sondern habe Unterstützung angeboten, denn dann wusste ich, wohin sie geht, was sie macht und mit wem sie das macht. Ich konnte in Wirklichkeit als Vater nicht gleich meine Tochter loslassen. Ich habe ihr vertraut und es ging auch alles gut. Letztendlich war der Gang in das Ausland - weg von der Obhut der Eltern - die „Reifeprüfung“ unserer Erziehung, die wir aus meiner Sicht sehr gut bestanden haben. Doch der Satz „ich möchte frei sein“ hat mich bis heute nicht losgelassen und ich denke oft noch darüber nach. Ich bin in der Zwischenzeit zum Entschluss gekommen, dass Freiheit nicht etwas ist, wo man durch ein Tor geht und man ist frei, sondern Freiheit ist ein Lebensprozess.  

 

 

Montag, 23. April 2012 
Kann ich mich auf dich verlassen?

„Kann ich mich auf dich verlassen“, fragte ich meinen jüngsten Sohn, als er alleine in die neue Wohnung gezogen ist. Mit einem selbstsicheren: „Papsch, i check dais scho!“ hat er es abgetan. Im Nachhinein habe ich mich gefragt, was soll eigentlich die Frage: „Kann ich mich auf dich verlassen?“ Worauf soll ich mich verlassen können? In Wirklichkeit heißt das eigentlich, handle so, damit ich nicht in Verruf komme und für mich beinhaltet diese Frage auch: „Magst du mich?“ und „Kannst du Verantwortung übernehmen?“ Fragen, die eher an mich gerichtet sein müssen als an meinen Sohn. Habe ich dir beigebracht, Verantwortung zu tragen? Habe ich dir vorgelebt, wie man sich in bestimmten Situationen verhält? Habe ich die Beziehung so aufgebaut, dass du auch in Krisen und Schwierigkeiten immer ein offenes Ohr und eine offene Tür vorfindest? Habe ich vermittelt, dass Selbstbestimmung wahrgenommen werden muss? Fragen, die, wenn sich die Kinder von der eigenen Familie loslösen, an sich selbst gerichtet werden müssen. Schon Adolph Kolping hat gesagt: „Wenn man sagt: Es fehlt an der Erziehung der Jugend, muss man auch sagen, es taugen die Eltern nichts.“ Ein hartes Urteil, aber ich bin überzeugt, wenn junge Menschen keine positiven Vorbilder haben, dürfen wir nicht sagen, wir können uns auf unsere jungen Menschen nicht verlassen.

 

 

 

Dienstag, 24. April 2012 
Ich hoffe auf die Zukunft!

Erst jetzt, wo unsere Kinder flügge werden, lässt man bewusst Geschehnisse Revue passieren. Erst jetzt, wo man mit einem gewissen Abstand mit Ruhe und Bedächtigkeit darüber nachdenkt, spürt und merkt man was gut und schlecht gelaufen ist. Eine Ruhe und Gelassenheit, die man wahrscheinlich in manch einer angespannten Situation gebraucht hätte. Oft denke ich, dass es eine richtige Entscheidung war, dass wir uns entschieden haben in unserer Großfamilie mit drei Generationen zu leben. Auch wenn es nicht immer leicht war, die Eigenheiten der einzelnen Generationen anzusprechen und auszureden. Durch die Großeltern haben die Kinder die nötige Ruhe und Bedächtigkeit, ja Langsamkeit erfahren, die uns Eltern damals wahrscheinlich abgegangen ist. Natürlich wusste niemand zu Beginn, wie das funktioniert. Aber heute kann man mit etwas Abstand sagen, dass es gut war und für alle Beteiligten mehr Vorteile als Nachteile gebracht hat.  Als größere Wirtschaftsgemeinschaft sind wir alle nicht nur emotional gewachsen, sondern konnten auch vieles gemeinsam tragen und Lasten aufteilen, wodurch vieles leichter wurde.  Wie wird das in unserer Gesellschaft werden, wenn die Singlehaushalte immer mehr werden? Ich hoffe auf eine Zukunft, in der wir wieder mehr das Gemeinsame und weniger den Egotrip sehen werden.

 

 


 

Mittwoch, 25. April 2012
Gebraucht werden

Ich sehe es fast als fließenden Übergang wie eine Generation die andere braucht. In Wirklichkeit brauchen unsere Kinder nicht nur uns als Eltern, sondern wir als Eltern auch unsere Kinder, auch wenn sie noch klein sind. Wir brauchen sie emotional. Wir brauchen sie, damit unser Leben einen Inhalt und Sinn bekommt. Ein kinderloser Freund hat vor einiger Zeit geprahlt, was er nicht alles hat, über welche Besitzungen er verfügt. Er war etwas schockiert als ich ihm sagte, dass das alles keinen Wert hat, da er sich einmal nichts mitnehmen kann und er schließlich nur Verwalter von seinen geerbten und angehäuften Werten ist, solange er lebt. Das emotionale Erlebnis zu sehen, wie Kinder groß werden, sie dann der Familie entwachsen, das geht ab. Das kann man nicht mit viel Geld und Besitzungen aufwiegen.

Es macht mir Freude, wenn ich mit den Söhnen gemeinsam den Wald durchforsten kann, sie mich dabei unterstützen und sagen: „Lass Papsch, ich werde das schon machen!“, wenn ich den Berg mit dem Holz hinaufschnaufe. Mit Sehnsucht warte ich eigentlich schon darauf, sie einmal in der Betreuung ihrer eigenen Kinder unterstützen zu können, ihnen etwas zurückzugeben, was sie mir als Kinder emotional gegeben haben, was ich nicht immer gleich gesehen und aufgenommen habe. Für mich zeigt sich, dass wir vielmehr unsere Kinder brauchen, als sie uns brauchen.

 

 

 

Donnerstag, 26. April 2012
Die Freiheit selbst zu sein

Viele sogenannte Reformpädagogen vertraten schon in den vorigen Jahrhunderten die Meinung, dass Kinder nicht nicht lernen können. Die heutige Hirnforschung bestätigt das immer mehr. Auch ich war einmal der Meinung, dass Kinder das Lernen müssen, was, wie und wann ich mir das vorstelle. Je mehr ich mich mit der Hirnforschung auseinandersetze merke ich, dass Lernen immer einen Anker braucht. Es braucht Beziehung, es braucht eine emotionale Verbindung mit dem zu erlernenden Inhalt. Erkenntnisse, die unser Schulsystem, unsere Pädagogik, unsere weitläufigen Erziehungsmaßnahmen in Frage stellen. Lernen habe ich meist als Wissen verstanden. Heute weiß ich, dass Wissen nicht ausreicht. Man muss dieses Wissen bei Bedarf, in der jeweiligen Situation anwenden können. Die Anwendung lernt man vor allem durch das Tun. In der Replik sehe ich auch, dass meinen Kindern das geblieben ist, was sie selbst wollten und sich selbst erarbeitet haben.

Als Vater ist mir klar, dass mich meine Kinder nachahmen. Es macht daher Sinn, zu sagen, warum man etwas so macht und handelt und nicht anders. Das führt zum Verstehen und in weiterer Folge zur Anwendung.  

 

 

 

Freitag, 27. April 2012
Gut, dass ihr da seid

Jetzt wo unsere Kinder 28, 24 und 22 sind und dabei sind, sich eine eigene Familie aufzubauen, spürt man, dass man etwas vermisst. Die leeren Kinderzimmer, die Ruhe im Haus, die Beziehung suchenden Katzen. Die Leere macht offenbar, dass wir in einen neuen Lebensabschnitt kommen.

Das ändert sich schlagartig, wenn am Wochenende das Haus wieder voll ist und statt vier wieder neun Personen um den Mittagstisch sitzen. Man sich austauschen kann und neugierig ist, was die „Jugend“ so in der Woche erlebt hat. Da spüre ich, dass es gut ist, dass die Kinder da sind. Es ist gleich ein anderes Lebensgefühl – es ist Leben. Natürlich können sich auch meine Frau und ich mit den Schwiegereltern austauschen, aber es ist mit den Kindern anders. Es ist erfrischender, es ist lebhafter, es ist spannender. Ein Spruch sagt: „Gib den Kindern zuerst Wurzeln, dann Flügel“. Dem kann ich sehr viel abgewinnen; aber ehrlich gesagt, ist es für mich schwer, sie fliegen zu lassen. Sie ihrer eigenen Bestimmung zu übergeben, nicht immer meinen „Kren“ dazuzugeben. Ich bin aber überzeugt, dass es das Fliegen lassen braucht, dass sie selbstbestimmt ihr Leben gestalten müssen. Es beruhigt mich auch, wenn ich sehe, wie es ihnen gelingt und wie bemüht sie um ihre Partnerschaften sind und diese auch pflegen.   

 


 

Samstag, 28. April 2012 
BeziehungsReich – Familie(n)!

BeziehungsReich – Familie(n) ist das Thema der diesjährigen Woche der Familie im Mai. Ich bin überzeugt, dass Beziehung etwas ist, das man nicht nicht haben kann. Die Frage ist nur, wie sich diese darstellt. Beziehung, wie ich sie mit meinen Kindern und mit meiner Familie erlebe, stärkt, macht sicher, vermittelt Geborgenheit und festigt. Als Direktor der Berufsschule Eisenstadt erlebe ich aber auch, dass manche junge Menschen dieses stabile Beziehungsgeflecht und somit eine Atmosphäre der Sicherheit und Geborgenheit nicht vorfinden. Ich meine, dass in solchen Fällen das nicht familiäre Umfeld unterstützend wirkt. Vereine, Gruppen, Kirchen, Parteien sind hier gefordert, um dem Menschen das zu geben, was er unbedingt braucht, nämlich Beziehung. Echte Beziehungen halten auch Konflikte aus. Beziehungen sollen aber auch gepflegt werden.

Der Hirnforscher Gerald Hüther sagt: „Beziehung wirkt Wunder“. Ich meine, damit drückt er aus, dass in einer guten Beziehung mit den Kindern die Basis für viele Fragen gelegt wird. Die Loslösung von der Familie, das gemeinsame Bewältigen von Problemen, die gegenseitige Unterstützung, wird aus meiner Sicht dann kein Problem sein, wenn die Beziehung passt.