von Dr. Gerald Heschl, Chefredakteur der Kärntner Kirchenzeitung
„Sonntag“
Sonntag,
29.4.2012
„Versuch
über den geglückten Tag.“ So lautet der Titel eines kleinen
Büchleins des Kärntners Peter Handke. Es wäre wohl eines der drei
Dinge, die ich auf die berühmte Insel mitnehmen würde. Es zu lesen
beglückt auf eine ganz besondere Art. Man kann es als „Reiseführer“
durch den Tag verstehen. Vielleicht gerade deswegen, weil er
schildert, warum wir so selten geglückte Tage erleben: Weil wir uns
viel zu rasch aus dem Gleichgewicht des Glücks werfen lassen. Geht
es Ihnen nicht auch oft so? Schon ein kleines, scheinbar negatives
Erlebnis, ein falsch gedeuteter Blick oder ein missverstandenes Wort
und schon lassen wir uns aus der Bahn werfen. Schon betrachten wir
die Stunde oder gar den ganzen Tag als „verloren“. Dabei reicht ein
bisschen Gelassenheit, ein klein wenig Großmut – und der Tag wäre
geglückt.
Montag,
30.4.2012
Immer
wieder ertappe ich mich dabei, wie ich einen glücklichen Augenblick
verpasse. Wie das passiert? Ganz einfach: Meine Gedanken sind schon
wieder ganz woanders. Meistens schon weit voraus. Ich denke nach,
was noch kommt, was ich noch zu tun habe und vieles mehr. Oder man
möchte dieses Glücksgefühl halten, es besitzen. Und schon ist der
wunderbare Augenblick vorbei. Und ich habe ihn nur am Rande, im
Nachhinein eigentlich, mitbekommen. In seinem Buch „Versuch über den
geglückten Tag“ beschreibt Peter Handke genau solche Situationen:
Der Blick auf den Tau oder einen Regentropfen, das Grün einer Wiese
oder das Blatt eines Baumes. Jeden Augenblick könnten wir dieses
Glück erleben - könnten, denn allzu oft lassen wir uns nicht darauf
ein. Was wäre das für ein Tag, an dem es uns gelingt, einen
glücklichen Augenblick nach dem anderen zuzulassen!
Dienstag, 1. Mai 2012
Haben Sie
nicht auch manchmal das Gefühl, in der Welt läuft so manches ganz
schön verkehrt? Wenn ich zum Beispiel höre, dass der Chef eines
Autokonzerns im vergangenen Jahr 17 Millionen Euro verdient hat...
Und wie viele Menschen bei uns, vor allem aber in den Krisenländern
Europas, um ihre Zukunft zittern, weil ihnen das Nötigste fehlt. Das
hat im Übrigen nichts mit einer Neiddebatte zu tun, sondern schlicht
mit der Frage nach Gerechtigkeit. Der Chef und Eigentümer eines
großen steirischen Unternehmens hat kürzlich in einem Interview
gesagt: Kein Firmenchef verdient es, das 140-fache eines Arbeiters
zu erhalten. Denn seine Leistung kann niemals so viel höher sein.
Sicher, es
können nicht alle gleich viel verdienen. Aber die Frage nach
Gerechtigkeit und nach gerechtem Lohn muss immer wieder gestellt
werden. Nicht nur bei Großkonzernen und nicht nur am 1. Mai.
Mittwoch, 2. Mai 2012
Für mich
gibt es kaum einen schöneren Beruf als den des Journalisten. Was
mich daran so besonders fasziniert? Es ist die Begegnung mit
Menschen und ihren Geschichten. Vor Kurzem traf ich den Theologen
und Bio-Bauern Erich Stekovics. Er ist ja vielen bekannt als
Burgenländischer Paradeiser-Kaiser. Er züchtet auf seinem Hof
seltene Tomaten, Paprika und anderes Obst und Gemüse und veredelt
sie zu ganz besonderen Produkten. Mit großer Hochachtung und
Dankbarkeit spricht er von seinen Lebensmitteln. Aber auch von den
negativen Seiten der Landwirtschaft, von Missernten und der
Tatsache, wie wenig Wert diesen wertvollen Produkten beigemessen
wird. Der Konsument schielt doch zumeist nach dem billigsten
Produkt. Dabei sind Lebensmittel mehr als Nahrung - sie sind Mittel
zum Leben und für jedes Lebewesen damit auch die Mitte des Lebens.
Donnerstag, 3. Mai 2012
Ein
Interview, das ich kürzlich geführt habe, beschäftigt mich sehr
intensiv. Ich sprach mit dem deutschen Arzt und Gehirnforscher
Joachim Bauer. Dieser Professor hat sich mit der Frage der Moral
beschäftigt. Und zwar aus naturwissenschaftlicher Sicht. Das
Erstaunliche dabei: Er hat festgestellt, dass der Mensch in seiner
Entwicklungsgeschichte, um zu überleben, moralisch gut handeln
musste. Auf den Nächsten achten, die Gemeinschaft und die
Zusammengehörigkeit haben ihn zu dem gemacht, was er ist. Damit
widerspricht er all denen, die meinten, der Mensch habe sich
aufgrund von Gewalt und Aggression entwickelt.
Wenn man so
die Nachrichten verfolgt, kann man es ja fast nicht glauben, aber
der Wissenschaftler hat entdeckt, dass "gut sein", dass moralisch
handeln, in der Natur des Menschen begründet liegt. Moral ist daher
kein durch die Zivilisation aufgezwungenes Verhalten. Womöglich
ginge es nur darum, dass viele diese natürliche Gabe auch entdecken.
Freitag,
4. Mai 2012
Heute leben
wir in einer Welt, in der alles gemessen werden muss: Fernsehquoten
bestimmen das Programm, eine Veranstaltung ist dann geglückt, wenn
möglichst viele teilnehmen, die Klick-rate soll uns auf
Internetseiten lotsen. Das hängt vielleicht auch damit zusammen,
dass alle Lebensbereiche von Effizienzdenken dominiert sind. Alles
muss gemessen werden. In allem muss man sich vergleichen. Benchmarks
und Ratings durchziehen den Beruf, ja sogar die Freizeit, also jenen
Bereich, in dem man eigentlich abschalten sollte.
Das
Nichtmessbare messen ist auch so ein Schlagwort. Aber wie will man
Zuwendung, Liebe, Geborgenheit oder einfach Zuhören und Da-Sein
messen? Ein Umstand, mit dem man sich etwa in Pflegeberufen extrem
herumplagt, da auch hier das Wirtschaftliche längst gegen das
Menschliche gewonnen hat. Diese Sucht alles zu messen, zu
regulieren, entmenschlicht, führt zu Stress und zu modernen
Krankheiten wie Burnout. Sich dagegen zu wehren, ist schwer. Aber
ein wichtiger Schritt zu Glück und Lebensqualität.
Samstag,
5. Mai 2012
„Ich musste hoch hinauf steigen, um tief in mich hineinblicken zu
können.“ Der Südtiroler
Bergsteiger Reinhold Messner formulierte diesen Satz. Am Weg nach
oben, Schritt für
Schritt, oft mühsam, ist man der Natur ausgesetzt. Gemeint ist nicht
nur die Natur in
Form der Umgebung, sondern auch die eigene Natur. Man erlebt sich
selbst als Teil
eines Ganzen, als winzig kleiner Teil, denn der Blick hinauf, rückt
die Dimensionen
zurecht. Angesichts der kleinen menschlichen Schritte wundere ich
mich dann selbst, wie rasch ich eigentlich höher komme. Man ist
vollkommen im Hier und Jetzt, auch wenn die Gedanken immer wieder
abschweifen, muss ich mich doch auf das Gelände, auf jeden Schritt
voll konzentrieren.
Und wenn ich dann oben stehe, dort, wo der Horizont sich weitet, der
Blick über die Täler und Gipfel schweift, ist es kein Siegesgefühl.
Es dominiert die Dankbarkeit für dieses Erlebnis und die Freude über
einen weiten Weg, der auch ein Stück in mein Innerstes geführt hat.