Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Dr. Gerald Heschl, Chefredakteur der Kärntner Kirchenzeitung „Sonntag“

 

 

Sonntag, 29.4.2012

„Versuch über den geglückten Tag.“ So lautet der Titel eines kleinen Büchleins des Kärntners Peter Handke. Es wäre wohl eines der drei Dinge, die ich auf die berühmte Insel mitnehmen würde. Es zu lesen beglückt auf eine ganz besondere Art. Man kann es als „Reiseführer“ durch den Tag verstehen. Vielleicht gerade deswegen, weil er schildert, warum wir so selten geglückte Tage erleben: Weil wir uns viel zu rasch aus dem Gleichgewicht des Glücks werfen lassen. Geht es Ihnen nicht auch oft so? Schon ein kleines, scheinbar negatives Erlebnis, ein falsch gedeuteter Blick oder ein missverstandenes Wort und schon lassen wir uns aus der Bahn werfen. Schon betrachten wir die Stunde oder gar den ganzen Tag als „verloren“. Dabei reicht ein bisschen Gelassenheit, ein klein wenig Großmut – und der Tag wäre geglückt.

 

Montag, 30.4.2012

Immer wieder ertappe ich mich dabei, wie ich einen glücklichen Augenblick verpasse. Wie das passiert? Ganz einfach: Meine Gedanken sind schon wieder ganz woanders. Meistens schon weit voraus. Ich denke nach, was noch kommt, was ich noch zu tun habe und vieles mehr. Oder man möchte dieses Glücksgefühl halten, es besitzen. Und schon ist der wunderbare Augenblick vorbei. Und ich habe ihn nur am Rande, im Nachhinein eigentlich, mitbekommen. In seinem Buch „Versuch über den geglückten Tag“ beschreibt Peter Handke genau solche Situationen: Der Blick auf den Tau oder einen Regentropfen, das Grün einer Wiese oder das Blatt eines Baumes. Jeden Augenblick könnten wir dieses Glück erleben - könnten, denn allzu oft lassen wir uns nicht darauf ein. Was wäre das für ein Tag, an dem es uns gelingt, einen glücklichen Augenblick nach dem anderen zuzulassen!

 

Dienstag, 1. Mai 2012

Haben Sie nicht auch manchmal das Gefühl, in der Welt läuft so manches ganz schön verkehrt? Wenn ich zum Beispiel höre, dass der Chef eines Autokonzerns im vergangenen Jahr 17 Millionen Euro verdient hat... Und wie viele Menschen bei uns, vor allem aber in den Krisenländern Europas, um ihre Zukunft zittern, weil ihnen das Nötigste fehlt. Das hat im Übrigen nichts mit einer Neiddebatte zu tun, sondern schlicht mit der Frage nach Gerechtigkeit. Der Chef und Eigentümer eines großen steirischen Unternehmens hat kürzlich in einem Interview gesagt: Kein Firmenchef verdient es, das 140-fache eines Arbeiters zu erhalten. Denn seine Leistung kann niemals so viel höher sein. 

Sicher, es können nicht alle gleich viel verdienen. Aber die Frage nach Gerechtigkeit und nach gerechtem Lohn muss immer wieder gestellt werden. Nicht nur bei Großkonzernen und nicht nur am 1. Mai.

 

Mittwoch, 2. Mai 2012

Für mich gibt es kaum einen schöneren Beruf als den des Journalisten. Was mich daran so besonders fasziniert? Es ist die Begegnung mit Menschen und ihren Geschichten. Vor Kurzem traf ich den Theologen und Bio-Bauern Erich Stekovics. Er ist ja vielen bekannt als Burgenländischer Paradeiser-Kaiser. Er züchtet auf seinem Hof seltene Tomaten, Paprika und anderes Obst und Gemüse und veredelt sie zu ganz besonderen Produkten. Mit großer Hochachtung und Dankbarkeit spricht er von seinen Lebensmitteln. Aber auch von den negativen Seiten der Landwirtschaft, von Missernten und der Tatsache, wie wenig Wert diesen wertvollen Produkten beigemessen wird. Der Konsument schielt doch zumeist nach dem billigsten Produkt. Dabei sind Lebensmittel mehr als Nahrung - sie sind Mittel zum Leben und für jedes Lebewesen damit auch die Mitte des Lebens. 

 

Donnerstag, 3. Mai 2012

Ein Interview, das ich kürzlich geführt habe, beschäftigt mich sehr intensiv. Ich sprach mit dem deutschen Arzt und Gehirnforscher Joachim Bauer. Dieser Professor hat sich mit der Frage der Moral beschäftigt. Und zwar aus naturwissenschaftlicher Sicht. Das Erstaunliche dabei: Er hat festgestellt, dass der Mensch in seiner Entwicklungsgeschichte, um zu überleben, moralisch gut handeln musste. Auf den Nächsten achten, die Gemeinschaft und die Zusammengehörigkeit haben ihn zu dem gemacht, was er ist. Damit widerspricht er all denen, die meinten, der Mensch habe sich aufgrund von Gewalt und Aggression entwickelt.

Wenn man so die Nachrichten verfolgt, kann man es ja fast nicht glauben, aber der Wissenschaftler hat entdeckt, dass "gut sein", dass moralisch handeln, in der Natur des Menschen begründet liegt. Moral ist daher kein durch die Zivilisation aufgezwungenes Verhalten. Womöglich ginge es nur darum, dass viele diese natürliche Gabe auch entdecken.

 

Freitag, 4. Mai 2012

Heute leben wir in einer Welt, in der alles gemessen werden muss: Fernsehquoten bestimmen das Programm, eine Veranstaltung ist dann geglückt, wenn möglichst viele teilnehmen, die Klick-rate soll uns auf Internetseiten lotsen. Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass alle Lebensbereiche von Effizienzdenken dominiert sind. Alles muss gemessen werden. In allem muss man sich vergleichen. Benchmarks und Ratings durchziehen den Beruf, ja sogar die Freizeit, also jenen Bereich, in dem man eigentlich abschalten sollte.

Das Nichtmessbare messen ist auch so ein Schlagwort. Aber wie will man Zuwendung, Liebe, Geborgenheit oder einfach Zuhören und Da-Sein messen? Ein Umstand, mit dem man sich etwa in Pflegeberufen extrem herumplagt, da auch hier das Wirtschaftliche längst gegen das Menschliche gewonnen hat. Diese Sucht alles zu messen, zu regulieren, entmenschlicht, führt zu Stress und zu modernen Krankheiten wie Burnout. Sich dagegen zu wehren, ist schwer. Aber ein wichtiger Schritt zu Glück und Lebensqualität.

 

Samstag, 5. Mai 2012

„Ich musste hoch hinauf steigen, um tief in mich hineinblicken zu können.“ Der Südtiroler

Bergsteiger Reinhold Messner formulierte diesen Satz. Am Weg nach oben, Schritt für

Schritt, oft mühsam, ist man der Natur ausgesetzt. Gemeint ist nicht nur die Natur in

Form der Umgebung, sondern auch die eigene Natur. Man erlebt sich selbst als Teil

eines Ganzen, als winzig kleiner Teil, denn der Blick hinauf, rückt die Dimensionen

zurecht. Angesichts der kleinen menschlichen Schritte wundere ich mich dann  selbst, wie rasch ich eigentlich höher komme. Man ist vollkommen im Hier und Jetzt, auch wenn die Gedanken immer wieder abschweifen, muss ich mich doch auf das Gelände, auf jeden Schritt voll konzentrieren.

Und wenn ich dann oben stehe, dort, wo der Horizont sich weitet, der Blick über die Täler und Gipfel schweift, ist es kein Siegesgefühl. Es dominiert die Dankbarkeit für dieses Erlebnis und die Freude über einen weiten Weg, der auch ein Stück in mein Innerstes geführt hat.