Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Dr. Jutta Henner

 

 

Sonntag, 6. Mai 2012

Menschen sind unterwegs. Auf dem Weg können sich ganz überraschende Begegnungen ereignen, Begegnungen, die verändern und erneuern, die nachhaltig Spuren im Leben von Menschen hinterlassen. Die Bibel weiß von solchen Begegnungen auf dem Weg zu erzählen. Die Bibel weiß auch davon, dass der Weg mehr ist als nur die Straße, auf der man entlangzieht. Nein, der Weg ist vielmehr ein Ort für Entdeckungen und Erfahrungen, zum Nachdenken und für Begegnungen auch und gerade mit dem lebendigen Gott.

Ich denke an eine Begegnung, die das Johannesevangelium in seinem ersten Kapitel erzählt: Jesus ist auf dem Weg. Zwei Männer sind neugierig geworden und gehen mit Jesus mit. Was die beiden erleben, lässt sie nicht unberührt. Sie erzählen es anderen weiter. Jesus selbst spricht auf dem Weg Menschen an. Ein wahres Netz von Begegnungen und Gesprächen auf dem Weg. Die Zahl derer, die neugierig geworden sind und mit Jesus unterwegs sind, wird größer. Einer von ihnen ist zunächst skeptisch: Unter dem Feigenbaum am Wegrand sitzt er. Doch er mag der Begeisterung der Jünger nicht gleich Glauben schenken. „Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?“ Doch die persönliche Begegnung mit Jesus beantwortet offenkundig alle Fragen und überwindet alle Skepsis. Nathanael, so berichtet es das Johannesevangelium in seinem letzten Kapitel, hat sich Jesus und seinen Jüngern angeschlossen. Die Begegnung am Weg hat sein Leben verändert.

 

 

 

Montag, 7. Mai 2012

Zu den für mich wertvollsten Geschichten der Bibel gehören jene, wo Menschen auf dem Weg einander und dem lebendigen Gott begegnen, scheinbar zufällig und doch gefügt. Von einem sehr wohlhabenden und offenkundig neugierigen Menschen berichtet uns das Evangelium nach Lukas in seinem 19. Kapitel. Offensichtlich hat er schon manches gehört über Jesus, der unterwegs ist im Heiligen Land und jetzt auch in die Stadt Jericho kommt. Ob es einfach nur Sensationslust war oder doch die insgeheime Hoffnung auf mehr, die den kleinwüchsigen Mann gleichsam über sich hinauswachsen lässt? Er möchte Jesus sehen, wenn er durch Jericho hindurchzieht und so steigt er auf einen Maulbeerbaum. Es kommt zu einer ganz und gar überraschenden Begegnung am Wegesrand: Nicht er, Zachäus, sieht Jesus, sondern Jesus nimmt ihn, den kleinen Zachäus wahr! Eine Begegnung, die alles verändern sollte: Nichts bleibt bei und für Zachäus, wie es war. Jesus spricht ihn an, lädt ihn ein, rasch vom Baum herabzusteigen. Denn Jesus hat sich um Zachäus willen für einen Umweg entschieden: Er möchte bei Zachäus zu Gast sein, heute noch. Überwältigt von der Begegnung erkennt Zachäus, dass sein Wohlstand nicht nur auf geradem Wege erworben war. Er lässt los, teilt mit den Bedürftigen und schaut, wo er Schaden wieder gut machen kann. Sein Lebensweg wird neu.

 

 

 

Dienstag, 8. Mai 2012

Jesus war mit seinen Jüngern, mit Männern und Frauen, die ihm nachfolgten, auf dem Weg. Unterwegs begegnet er, so erzählt es die Bibel, immer wieder Menschen, kommt mit ihnen ins Gespräch. Der Lebensweg von Menschen geht danach in eine neue Richtung. Von einer überraschenden, aber gesegneten Begegnung auf dem Weg erzählt das Evangelium nach Johannes in seinem 4. Kapitel. Jesus ist mit seinen Jüngern unterwegs – von Jerusalem nach Galiläa führt ihr Weg. Jesus, so die Erzählung, macht Pause an einem Brunnen. Seine Jünger gehen in die nächste Ortschaft, um Proviant zu besorgen. Eine Frau, die an eben diesem Brunnen Wasser schöpfen will, verwickelt Jesus in ein Gespräch – indem er sie um einen Schluck Wasser bittet. Vom Wasser führt das Gespräch hin zu dem, was im Leben trägt und hält, auch dahin, was im Leben der namenlos bleibenden Frau weniger gelungen war, ein Gespräch über Gott und die Welt könnte man sagen. Die hinzukommenden Jünger sind überrascht, Jesus im Gespräch mit einer fremden Frau zu finden. Doch diese Begegnung auf dem Weg verwandelt die Frau! Nichts ist wie es vorher war. Sie lässt ihren Wasserkrug liegen und stehen, setzt sich in Bewegung, und erzählt begeistert und begeisternd in der Stadt von ihrer Begegnung mit dem, den sie als von Gott gesandt erfahren hat.

 

 

 

 

Mittwoch, 9. Mai 2012

Auf dem Weg ereignen sich oft überraschende, völlig ungeplante Begegnungen. Von solchen gesegneten Begegnungen unterwegs weiß die Bibel vielfach zu erzählen. Menschen auf dem Weg, auch Menschen am Wegesrand, erleben staunend, dass Gott sie auf den Weg bringt und mit ihnen auf dem Weg bleibt. Der Evangelist Markus erzählt in seinem 10. Kapitel von einer Begegnung, die nach menschlichem Ermessen gar nicht hätte stattfinden sollen. Jesus kommt nach Jericho. Doch erst, als er diese Stadt wieder verlässt, ereignet sich Entscheidendes. Ein blinder Bettler, einer von vielen, deren Lebensweg ein mühsamer ist, sitzt am Wegesrand. Als er hört, dass Jesus vorbeizieht, versucht er, sich lautstark Gehör zu verschaffen. Umstehende schämen sich aber für ihn und möchten ihn zum Schweigen bringen. Doch er ruft noch lauter – und Jesus hört ihn und ruft ihn, Bartimäus, zu sich. Eine alles verändernde und erneuernde Begegnung ereignet sich: Bartimäus lässt alles stehen und liegen und geht zu Jesus. Ein kurzes Gespräch wird berichtet, der Wunsch des Bartimäus, sehen zu können und seine Hoffnung, dass Jesus es irgendwie möglich macht. Doch damit, dass Bartimäus sehen kann, ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Bartimäus folgt Jesus nach auf seinem Weg, dem Weg nach Jerusalem. Ein blinder Bettler wird auf den Weg, den Weg des Lebens gebracht.

 

 

 

Donnerstag, 10. Mai 2012

Von überraschenden Begegnungen auf dem Weg weiß die Bibel oft zu erzählen. Menschen machen die Erfahrung, dass der lebendige Gott mit ihnen unterwegs ist, nicht immer gleich von ihnen erkannt…. Zu den bekanntesten Weggeschichten der Bibel gehört eine Erzählung aus dem letzten Kapitel des Lukasevangeliums: Zwei der Jünger Jesu sind unterwegs, sie verlassen Jerusalem und machen sich auf nach Emmaus, ein etwa zwölf Kilometer langer Fußweg. Ein Fremder begegnet ihnen und geht mit ihnen. Man kommt ins Gespräch auf dem Weg. Die beiden Jünger erzählen von ihren Erfahrungen und Enttäuschungen, vom Tod Jesu am Kreuz in Jerusalem vor zwei Tagen, der auch das Ende aller ihrer Hoffnungen zu sein scheint. Der Fremde nimmt die Schilderungen zum Anlass für eine umfassende Bibelarbeit – er versucht den enttäuschten Jüngern zu vermitteln, dass alles gerade so ganz und gar Gottes Plan entspricht. Die beiden schätzen die Gesellschaft des Unbekannten und laden ihn, am Ziel angekommen, zum Abendessen ein. Dann erkennen sie, dass es Jesus selbst ist, der lebt und mit ihnen auf dem Weg war. Im Rückblick wird ihnen alles klar – umgehend gehen sie den langen Weg zurück nach Jerusalem, um dort ihren Freunden zu erzählen, was sie mit Jesus, der von den Toten auferstanden ist, auf dem Weg erlebt haben.

 

 

 

Freitag, 11. Mai 2012

Unterwegs erleben Menschen Überraschungen. Davon weiß auch und in besonderer Weise die Bibel zu erzählen. Dass Begegnungen auf dem Weg Begegnungen mit dem lebendigen Gott sein können, hat wohl kaum jemand in so eindrücklicher Weise erlebt, wie Paulus, der große Apostel. Nachzulesen ist diese Begegnung auf dem Weg in der Apostelgeschichte des Lukas im 9. Kapitel. Eigentlich hatte sich der junge begabte Theologe mit seinem leidenschaftlichen Temperament seinen Lebensweg wohl etwas anders vorgestellt. Diese Christen, die behaupten, Jesus sei der erwartete Messias, sind ihm ein Dorn im Auge. Sie zu verfolgen, ist sein Ziel. Zu diesem Zweck reist er von Jerusalem nach Damaskus. Ereignislos verläuft der längste Teil der Reise, bis kurz vor Damaskus eine überraschende Begegnung auf dem Weg die Lebensplanung des Paulus ganz und gar durchkreuzen sollte. Er sieht ein helles Licht, er hört eine Stimme, die ihn bei seinem Namen ruft und ihm die Frage stellt: „Warum verfolgst du mich?“. Paulus erkennt in dieser Stimme Jesus. Eine alles verändernde und verwandelnde Begegnung. Ab da ist Paulus unentwegt unterwegs, um die frohe Botschaft bis an die Enden der Erde zu tragen, um Menschen auf dem Weg anzusprechen und sie auf den Weg zu bringen. Paulus hat vor Damaskus erfahren, was es bedeutet, wenn Jesus von sich selbst sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6).

 

 

 

Samstag, 12. Mai 2012

Auf dem Weg erleben Menschen der Bibel immer wieder gesegnete Begegnungen, die dem Weg durchs Leben eine ganz neue Richtung geben können. Von einer Begegnung, die nach menschlichem Ermessen so gar nicht hätte stattfinden können, weiß Lukas in seiner Apostelgeschichte im 8. Kapitel zu erzählen. Philippus, ein frühchristlicher Missionar und Prediger weiß sich in die Wüste gerufen, auf die einsame Straße von Jerusalem nach Gaza. Ausgerechnet dort, wo es nicht zu erwarten ist, dass Philippus auf Zuhörer für seine Botschaft trifft, begegnet er einem weitgereisten und einflussreichen Mann. Dieser ist auf dem Rückweg von Jerusalem in sein fernes Heimatland im Nordosten Afrikas. Ein Neugieriger ist er, einer, der nach Gott sucht. Auf seinem Wagen sitzt er und liest, wie in der Antike üblich, laut aus der in Jerusalem erworbenen kostbaren Schriftrolle. Sie enthält den Text des Propheten Jesaja. Gottes guter Geist sorgt dafür, dass die beiden einander begegnen. Die entscheidende Frage, die Philippus stellt: „Verstehst Du auch, was du liest?“, bringt sie ins Gespräch. Am Ende der Weggemeinschaft, so berichtet es die Bibel, ist Freude ins Leben des Afrikaners gekommen – er hat Antworten auf die Fragen seines Lebens gefunden. Und Philippus: weiß sich von Gottes gutem Geist wieder auf den Weg gebracht, in Sachen der frohen Botschaft andernorts unterwegs zu sein.