von Peter Hausberger, Pfarrer in Salzburg-St. Paul
Sonntag, 13.05.2012
Nicht alle Menschen sind von ihrer leiblichen Mutter erzogen worden,
aber alle Menschen sind von einer Mutter geboren worden. Und so
danken wir am heutigen Tag allen Müttern und allen mütterlichen
Menschen, das sind Frauen und Männer, die Kinder annehmen, so wie
sie sind, und ihnen helfen, sich zu entfalten und zu entwickeln.
Oft begegnen wir Kindern, aus deren Augen pure Lebensfreude
herausblitzt und die vor Lebenslust beinahe platzen. Wir wünschen
uns, dass wir an dieses Glück immer wieder anknüpfen können. Denn,
je älter wir werden, umso mehr wird uns bewusst, dass wir ein für
allemal geboren wurden, dass unser Leben einzigartig und kostbar
ist. Wir müssen viele Entwicklungen durchmachen, kommen so gesehen
aus den Wehen nicht heraus. Immer wieder sind uns Geburten
auferlegt, die uns zu einem erfüllten und reiferen Menschsein
führen.
Solange wir leben aber, atmen wir, leben wir also von der Luft. In
diesen Bildern beschreibt der holländische Dichter Huub Oosterhuis
im Lied „Ein Mensch zu sein auf Erden“ das Menschsein.
Ein Mensch zu sein auf Erden
heißt ein für allemal geborn,
die Wehn ein Lebtag nicht verlorn.
Ein Mensch zu sein auf Erden,
heißt leben von der Luft.
Montag, 14.05.2012
Der holländische Dichter Huub Oosterhuis hat in seinem Lied „Ein
Mensch zu sein auf Erden“ über die Bedingungen des Menschseins
nachgedacht.
Hier die zweite Strophe:
Die Bäume haben Wurzeln,
die Bäume dürfen kräftig stehn,
doch Menschen müssen weitergehn.
Die Bäume haben Wurzeln,
doch Menschen gehn vorbei.
Mir ist zu dieser Strophe gleich eine tadelnde Redewendung
eingefallen, wenn man zu jemandem sagt, der nicht weitergeht:
„Schlag hier keine Wurzeln!“
Menschen haben aber Wurzeln. Fast für jeden und jede kommt einmal
die Zeit, in der man über die Wurzeln nachforscht, über die Eltern
und Großeltern und die Vorfahren davor. Dabei wird uns bewusst, wie
schnell ein Menschenleben vorübergeht, und auch wenn es hundert
Jahre gedauert hat, wie schnell der Wechsel der Generationen vor
sich geht.
In der Gedichtstrophe spricht Oosterhuis von den Bäumen, die kräftig
stehen und Wurzeln haben.
Kräftige, dicke Wurzeln geben dem Baum Stabilität und Nahrung. Bis
zu hunderten von Jahren wird ein Baum alt und mehrere Menschen
halten sich an den Händen, um einen großen Baum umfassen zu können.
„… doch Menschen müssen weitergehn. Die Bäume haben Wurzeln, doch
Menschen gehn vorbei.“ Es ist die Aufgabe von uns Menschen, immer
wieder neu zu beginnen und Neues zu beginnen. Und neue Epochen
brechen an.
Dienstag, 15.05.2012
Heute vor 57 Jahren wurde der Österreichische Staatsvertrag
unterzeichnet. Laut Volksbrauchtum ist heute der Abschluss der
Eisheiligen mit dem Namenstag der Sophia. Wir hoffen auf einen guten
Frühsommer mit Wachstum und Gedeihen auf Feldern und in Gärten.
In der katholischen Kirche werden in den Tagen vor Christi
Himmelfahrt die Bitttage begangen. Mit Mitgliedern unserer Pfarre
Salzburg-St. Paul beginnen wir gerade, wenn Sie diese Worte hören,
einen Gottesdienst in der Benediktinerinnenabtei Nonnberg in
Salzburg. Um fünf Uhr früh sind wir von unserer Pfarrkirche auf den
Nonnberg gegangen, jeder und jede mit Dank und mit Bitten im Herzen.
Einmal im Jahr unternehmen wir diesen kurzen Pilgerweg hinauf zur
Abtei Nonnberg bei jedem Wetter, auch bei Gummistiefelwetter.
Der Bittgang so früh am Morgen macht uns bewusst, dass wir ein Leben
lang unterwegs sind.
In der dritten Strophe des Liedes „Ein Mensch zu sein auf Erden“ des
holländischen Dichters Huub Oosterhuis heißt es:
Die Füchse haben Höhlen,
der Mensch entbehrt des sichern Stegs,
ist immer heimwärts unterwegs.
Die Füchse haben Höhlen –
doch wer ist unser Weg?
Anklingend an einen Satz aus dem Lukasevangelium (Lk 9,58), zeigt
Oosterhuis das Los des Menschen auf, dass er immer unterwegs bleiben
muss, denn er ist heimwärts unterwegs. Heimwärts bedeutet: heimwärts
zu Gott. Besonders viel wert ist mir an dieser Strophe, dass es
heißt, „wer“ ist unser Weg?
Mittwoch, 16.05.2012
Bemerkenswert in Metnitz im Metnitztal in Kärnten ist das
achteckige, mit Lärchenschindeln gedeckte gotische Beinhaus. Um 1500
wurde an der Außenwand ein Totentanzfresko mit ursprünglich 28
Motiven aufgetragen. Im kleinen Museum nahe der Kirche sind vier
Figurenpaare im Original erhalten. Außerdem ist viel Information
über das Motiv des Totentanzes in ganz Europa zusammengetragen.
Der Tod tanzt. Er tanzt mit Alten und Jungen, mit Armen und Reichen,
mit Fürsten und Klerikern, Bettlern, Bauern und Arbeitern, mit
Müttern und Kindern. Unter jedem Bildmotiv ist ein sehr
eindringlicher Vers geschrieben.
Was wollten die Totentanzdarstellungen an der Grenze zwischen
Mittelalter und Neuzeit wohl sagen? Sie wollten zur
Auseinandersetzung der unterschiedlichen Stände mit ihrer
Sterblichkeit, mit dem Tod, auf den alle zugehen, auffordern. Egal
an welcher Stelle der hierarchisch gegliederten Gesellschaft er oder
sie war, auf jeden und jede wartet der Tod.
Davon spricht auch die vierte Strophe des Liedes von Huub Oosterhuis
„Ein Mensch zu sein auf Erden“:
Die Menschen haben Sorgen,
der Leib ist schwer, das Brot ist knapp,
der eine nützt den andern ab.
Wer weiß etwas von morgen?
Bestimmt kommt nur der Tod.
Im Metnitzer Museum machte uns eine Historikerin auf die
Gesellschaftskritik aufmerksam und auch auf die Hoffnung, die trotz
aller Angst, Wut und Verzweiflung in den Totentänzen enthalten ist.
Donnerstag, 17.05.2012
In der fünften Strophe seines Gedichtes „Ein Mensch zu sein auf
Erden“ formuliert Huub Oosterhuis:
Ein Mensch zu sein auf Erden,
heißt suchen, nie gesättigt sein,
der Gnade schmerzhaft teilhaft sein,
heißt ruhen in der Erde,
wenn alles ist vollbracht.
Vorige Woche ist in meiner Heimatgemeinde Niederau in der
Wildschönau einer meiner Onkel mütterlicherseits beerdigt worden. Es
war ein milder, sonniger Frühlingstag.
Der ganze Ort war auf den Beinen und der Friedhof war voller
Menschen, die das Leben des Verstorbenen, der betagt, aber doch
überraschend gestorben war, gewürdigt haben. Sie haben gedankt für
alles, was er für die Seinen getan hat und für alles, was er selbst
an Schönem und Lebenswertem erfahren dufte. Wenn man vom Grab
aufgeblickt hat, hat man auf die grünenden Hügel des Ortes, auf die
nahen Berge und vor allem auf die in voller Blüte stehenden,
duftenden Obstbäume rund um den Friedhof geschaut.
Tod und Leben – so nah beisammen. Bei jedem und jeder war besonders
am frischen Grab die Frage nach der eigenen Vergänglichkeit und nach
dem eigenen Tod da.
Die versammelte Trauergemeinde hat im Gottesdienst und im Gebet auf
dem Friedhof die Hoffnung bezeugt, dass wir Menschen nach dem Tod
bei Gott eine Zukunft haben. Der uns dabei vorausgegangen ist, ist
Jesus Christus selbst, dessen Sein bei Gott wir am heutigen Fest
„Christi Himmelfahrt“ feiern.
Freitag, 18.05.2012
Das Lied von Huub Oosterhuis „Ein Mensch zu sein auf Erden“
thematisiert, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Einerseits, dass
das Leben des Menschen Sorgen kennt. Es ist damit belastet, dass
Menschen einander viel antun können. Immer wieder ist die Richtung
des Lebensweges unsicher. Wir fragen uns nicht nur, wohin geht unser
Weg, sondern – mit Oosterhuis – „Wer ist unser Weg?“
Dass wir Sterbliche sind, schmerzt uns. Und das Lied beschreibt auch
das hoffnungsvolle, frohe Leben. Voll Sehnsucht und voll brennendem
Verlangen wollen wir das Leben auskosten und sein Glück spüren. Wir
wollen Bleibendes schaffen.
Ein Leben lang wandelt und entwickelt sich der Mensch. Die Geburt
des Menschen ist nicht ein einmalig abgeschlossenes Ereignis,
sondern ein dauernder Vorgang, bis zum Tod.
Eine Frau, die jahrelang ihren Mann in schwerster Krankheit
begleitet hat, hat von ihren Erfahrungen erzählt. In der letzten
Zeit vor dem Tod ihres Mannes ist ihr immer deutlicher geworden,
welche Ähnlichkeiten bestehen zwischen dem Prozess des Sterbens und
dem Vorgang der Geburt.
Die sechste und letzte Strophe des Liedes „Ein Mensch zu sein auf
Erden“ hat Huub Oosterhuis so gedichtet:
Wie werden wir vollbringen,
was durch die Zeiten dauern muss,
ein Mensch zu sein, der sterben muss?
Wir brennen vor Verlangen,
bis es vollendet ist.
Samstag, 19.05.2012
Für mich gehört der holländische Priester und Dichter Huub
Oosterhuis zu den Bedeutenden unter denen, die sich um eine heutige
religiöse Sprache bemühen.
Huub Oosterhuis wurde 1933 in Amsterdam geboren und ist dort in
einem frommen, katholischen Milieu aufgewachsen. Als Jugendlicher
hat er seine ersten Gebete als Gedichte geschrieben. Noch während
des Zweiten Vatikanischen Konzils, im Jahr 1964, wurde Huub
Oosterhuis als Jesuit zum Priester geweiht und bald zum
Studentenpfarrer ernannt.
Sein besonderer Schwerpunkt war und ist die Bibel, die unseren
Glauben immer neu entfacht und uns befähigt, uns einzusetzen für die
Zukunft unserer einen Erde. In den deutschsprachigen Liederbüchern
der christlichen Kirchen sind einige seiner Lieder enthalten.
In seinen Gebeten und Liedern weicht Oosterhuis vor der dunklen
Seite des Lebens nicht aus. Und das konfrontiert ihn auch mit der
dunklen Seite Gottes.
So schafft er Texte, die behutsam und zugleich voller Kraft vom
Geheimnis des Lebens sprechen. Einmal verweist er auf die enge
Beziehung zwischen dem Beten und dem Atmen. Der Körper atmet immer,
egal ob wir schlafen oder wach sind, egal ob er ruhig oder in einer
hektischen Phase ist. Und so spricht Huub Oosterhuis in einem seiner
Lieder, von dem ich sagen kann, dass es meinen Glauben auch
mitgeprägt hat, zu Gott: „Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete“.
(GL 621; EG 382)