Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Peter Hausberger, Pfarrer in Salzburg-St. Paul

 

 

 

Sonntag, 13.05.2012

Nicht alle Menschen sind von ihrer leiblichen Mutter erzogen worden, aber alle Menschen sind von einer Mutter geboren worden. Und so danken wir am heutigen Tag allen Müttern und allen mütterlichen Menschen, das sind Frauen und Männer, die Kinder annehmen, so wie sie sind, und ihnen helfen, sich zu entfalten und zu entwickeln.

Oft begegnen wir Kindern, aus deren Augen pure Lebensfreude herausblitzt und die vor Lebenslust beinahe platzen. Wir wünschen uns, dass wir an dieses Glück immer wieder anknüpfen können. Denn, je älter wir werden, umso mehr wird uns bewusst, dass wir ein für allemal geboren wurden, dass unser Leben einzigartig und kostbar ist. Wir müssen viele Entwicklungen durchmachen, kommen so gesehen aus den Wehen nicht heraus. Immer wieder sind uns Geburten auferlegt, die uns zu einem erfüllten und reiferen Menschsein führen.

Solange wir leben aber, atmen wir, leben wir also von der Luft. In diesen Bildern beschreibt der holländische Dichter Huub Oosterhuis im Lied „Ein Mensch zu sein auf Erden“ das Menschsein.  

Ein Mensch zu sein auf Erden

heißt ein für allemal geborn,

die Wehn ein Lebtag nicht verlorn.

Ein Mensch zu sein auf Erden,

heißt leben von der Luft.

 

 

 

Montag, 14.05.2012

Der holländische Dichter Huub Oosterhuis hat in seinem Lied „Ein Mensch zu sein auf Erden“ über die Bedingungen des Menschseins nachgedacht.

Hier die zweite Strophe:

Die Bäume haben Wurzeln,

die Bäume dürfen kräftig stehn,

doch Menschen müssen weitergehn.

Die Bäume haben Wurzeln,

doch Menschen gehn vorbei.

Mir ist zu dieser Strophe gleich eine tadelnde Redewendung eingefallen, wenn man zu jemandem sagt, der nicht weitergeht: „Schlag hier keine Wurzeln!“

Menschen haben aber Wurzeln. Fast für jeden und jede kommt einmal die Zeit, in der man über die Wurzeln nachforscht, über die Eltern und Großeltern und die Vorfahren davor. Dabei wird uns bewusst, wie schnell ein Menschenleben vorübergeht, und auch wenn es hundert Jahre gedauert hat, wie schnell der Wechsel der Generationen vor sich geht.

In der Gedichtstrophe spricht Oosterhuis von den Bäumen, die kräftig stehen und Wurzeln haben.

Kräftige, dicke Wurzeln geben dem Baum Stabilität und Nahrung. Bis zu hunderten von Jahren wird ein Baum alt und mehrere Menschen halten sich an den Händen, um einen großen Baum umfassen zu können. „… doch Menschen müssen weitergehn. Die Bäume haben Wurzeln, doch Menschen gehn vorbei.“ Es ist die Aufgabe von uns Menschen, immer wieder neu zu beginnen und Neues zu beginnen. Und neue Epochen brechen an.

 

 

 

Dienstag, 15.05.2012

Heute vor 57 Jahren wurde der Österreichische Staatsvertrag unterzeichnet. Laut Volksbrauchtum ist heute der Abschluss der Eisheiligen mit dem Namenstag der Sophia. Wir hoffen auf einen guten Frühsommer mit Wachstum und Gedeihen auf Feldern und in Gärten.

In der katholischen Kirche werden in den Tagen vor Christi Himmelfahrt die Bitttage begangen. Mit Mitgliedern unserer Pfarre Salzburg-St. Paul beginnen wir gerade, wenn Sie diese Worte hören, einen Gottesdienst in der Benediktinerinnenabtei Nonnberg in Salzburg. Um fünf Uhr früh sind wir von unserer Pfarrkirche auf den Nonnberg gegangen, jeder und jede mit Dank und mit Bitten im Herzen. Einmal im Jahr unternehmen wir diesen kurzen Pilgerweg hinauf zur Abtei Nonnberg bei jedem Wetter, auch bei Gummistiefelwetter.

Der Bittgang so früh am Morgen macht uns bewusst, dass wir ein Leben lang unterwegs sind.

In der dritten Strophe des Liedes „Ein Mensch zu sein auf Erden“ des holländischen Dichters Huub Oosterhuis heißt es:

Die Füchse haben Höhlen,

der Mensch entbehrt des sichern Stegs,

ist immer heimwärts unterwegs.

Die Füchse haben Höhlen –

doch wer ist unser Weg?

Anklingend an einen Satz aus dem Lukasevangelium (Lk 9,58), zeigt Oosterhuis das Los des Menschen auf, dass er immer unterwegs bleiben muss, denn er ist heimwärts unterwegs. Heimwärts bedeutet: heimwärts zu Gott. Besonders viel wert ist mir an dieser Strophe, dass es heißt, „wer“ ist unser Weg?

 

 

 

Mittwoch, 16.05.2012

Bemerkenswert in Metnitz im Metnitztal in Kärnten ist das achteckige, mit Lärchenschindeln gedeckte gotische Beinhaus. Um 1500 wurde an der Außenwand ein Totentanzfresko mit ursprünglich 28 Motiven aufgetragen. Im kleinen Museum nahe der Kirche sind vier Figurenpaare im Original erhalten. Außerdem ist viel Information über das Motiv des Totentanzes in ganz Europa zusammengetragen.

Der Tod tanzt. Er tanzt mit Alten und Jungen, mit Armen und Reichen, mit Fürsten und Klerikern, Bettlern, Bauern und Arbeitern, mit Müttern und Kindern. Unter jedem Bildmotiv ist ein sehr eindringlicher Vers geschrieben.

Was wollten die Totentanzdarstellungen an der Grenze zwischen Mittelalter und Neuzeit wohl sagen? Sie wollten zur Auseinandersetzung der unterschiedlichen Stände mit ihrer Sterblichkeit, mit dem Tod, auf den alle zugehen, auffordern. Egal an welcher Stelle der hierarchisch gegliederten Gesellschaft er oder sie war, auf jeden und jede wartet der Tod.

Davon spricht auch die vierte Strophe des Liedes von Huub Oosterhuis „Ein Mensch zu sein auf Erden“:

Die Menschen haben Sorgen,

der Leib ist schwer, das Brot ist knapp,

der eine nützt den andern ab.

Wer weiß etwas von morgen?

Bestimmt kommt nur der Tod.

Im Metnitzer Museum machte uns eine Historikerin auf die Gesellschaftskritik aufmerksam und auch auf die Hoffnung, die trotz aller Angst, Wut und Verzweiflung in den Totentänzen enthalten ist.

 

 

 

Donnerstag, 17.05.2012

In der fünften Strophe seines Gedichtes „Ein Mensch zu sein auf Erden“ formuliert Huub Oosterhuis:

Ein Mensch zu sein auf Erden,

heißt suchen, nie gesättigt sein,

der Gnade schmerzhaft teilhaft sein,

heißt ruhen in der Erde,

wenn alles ist vollbracht.

Vorige Woche ist in meiner Heimatgemeinde Niederau in der Wildschönau einer meiner Onkel mütterlicherseits beerdigt worden. Es war ein milder, sonniger Frühlingstag.

Der ganze Ort war auf den Beinen und der Friedhof war voller Menschen, die das Leben des Verstorbenen, der betagt, aber doch überraschend gestorben war, gewürdigt haben. Sie haben gedankt für alles, was er für die Seinen getan hat und für alles, was er selbst an Schönem und Lebenswertem erfahren dufte. Wenn man vom Grab aufgeblickt hat, hat man auf die grünenden Hügel des Ortes, auf die nahen Berge und vor allem auf die in voller Blüte stehenden, duftenden Obstbäume rund um den Friedhof geschaut.

Tod und Leben – so nah beisammen. Bei jedem und jeder war besonders am frischen Grab die Frage nach der eigenen Vergänglichkeit und nach dem eigenen Tod da.

Die versammelte Trauergemeinde hat im Gottesdienst und im Gebet auf dem Friedhof die Hoffnung bezeugt, dass wir Menschen nach dem Tod bei Gott eine Zukunft haben. Der uns dabei vorausgegangen ist, ist Jesus Christus selbst, dessen Sein bei Gott wir am heutigen Fest „Christi Himmelfahrt“ feiern.

 

 

 

Freitag, 18.05.2012

Das Lied von Huub Oosterhuis „Ein Mensch zu sein auf Erden“ thematisiert, was es bedeutet, ein Mensch zu sein. Einerseits, dass das Leben des Menschen Sorgen kennt. Es ist damit belastet, dass Menschen einander viel antun können. Immer wieder ist die Richtung des Lebensweges unsicher. Wir fragen uns nicht nur, wohin geht unser Weg, sondern – mit Oosterhuis – „Wer ist unser Weg?“

Dass wir Sterbliche sind, schmerzt uns. Und das Lied beschreibt auch das hoffnungsvolle, frohe Leben. Voll Sehnsucht und voll brennendem Verlangen wollen wir das Leben auskosten und sein Glück spüren. Wir wollen Bleibendes schaffen.

Ein Leben lang wandelt und entwickelt sich der Mensch. Die Geburt des Menschen ist nicht ein einmalig abgeschlossenes Ereignis, sondern ein dauernder Vorgang, bis zum Tod.

Eine Frau, die jahrelang ihren Mann in schwerster Krankheit begleitet hat, hat von ihren Erfahrungen erzählt. In der letzten Zeit vor dem Tod ihres Mannes ist ihr immer deutlicher geworden, welche Ähnlichkeiten bestehen zwischen dem Prozess des Sterbens und dem Vorgang der Geburt.

Die sechste und letzte Strophe des Liedes „Ein Mensch zu sein auf Erden“ hat Huub Oosterhuis so gedichtet:

Wie werden wir vollbringen,

was durch die Zeiten dauern muss,

ein Mensch zu sein, der sterben muss?

Wir brennen vor Verlangen,

bis es vollendet ist.

 

 

 

Samstag, 19.05.2012

Für mich gehört der holländische Priester und Dichter Huub Oosterhuis zu den Bedeutenden unter denen, die sich um eine heutige religiöse Sprache bemühen.

Huub Oosterhuis wurde 1933 in Amsterdam geboren und ist dort in einem frommen, katholischen Milieu aufgewachsen. Als Jugendlicher hat er seine ersten Gebete als Gedichte geschrieben. Noch während des Zweiten Vatikanischen Konzils, im Jahr 1964, wurde Huub Oosterhuis als Jesuit zum Priester geweiht und bald zum Studentenpfarrer ernannt.

Sein besonderer Schwerpunkt war und ist die Bibel, die unseren Glauben immer neu entfacht und uns befähigt, uns einzusetzen für die Zukunft unserer einen Erde. In den deutschsprachigen Liederbüchern der christlichen Kirchen sind einige seiner Lieder enthalten.

In seinen Gebeten und Liedern weicht Oosterhuis vor der dunklen Seite des Lebens nicht aus. Und das konfrontiert ihn auch mit der dunklen Seite Gottes.

So schafft er Texte, die behutsam und zugleich voller Kraft vom Geheimnis des Lebens sprechen. Einmal verweist er auf die enge Beziehung zwischen dem Beten und dem Atmen. Der Körper atmet immer, egal ob wir schlafen oder wach sind, egal ob er ruhig oder in einer hektischen Phase ist. Und so spricht Huub Oosterhuis in einem seiner Lieder, von dem ich sagen kann, dass es meinen Glauben auch mitgeprägt hat, zu Gott: „Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete“. (GL 621; EG 382)