Woher kommt das nur? Manchmal bin ich wie verändert, voller Elan und
Tatendrang. Als hätte mich eine besondere Kraft ergriffen, die mich
trägt, ohne dass ich weiß, warum und wieso.
Manchmal wage ich mich vor, riskiere ein Wort für andere einzulegen,
habe keine Angst vor der Menge derer, die auf mich zeigen und sagen:
Schau dir den an, der ist ja verrückt!
Manchmal sage ich gar nichts und mein Nachbar versteht mich
trotzdem. Es ist ein Einverständnis zwischen uns, eine Erfahrung,
die beweist: Menschen können miteinander, selbst dann, wenn sie sich
fremd sind.
Manchmal überkommt mich die Begeisterung für die Schönheit der Welt,
die Freude an Pfingstrosen und der Weite des Universums.
Woher kommt das alles nur? Sicher nicht durch Macht und Gewalt.
Gewalt macht mundtot. Wir müssen der Gewalt das Handwerk legen. Wir
brauchen Frieden. Die Welt steht Kopf.
Aber heute ist Pfingstsonntag. Tag der Ausgießung des Heiligen
Geistes. Da geht mir die Verheißung des Propheten nicht aus dem
Sinn: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft sondern durch meinen
Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.“ (Sacharja 4, 6). Frieden
ist möglich, aber nicht durch Macht und Gewalt.
„Der Wind bläst, wo er will…; aber du weißt nicht, woher er kommt
und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren
ist“, sagt Jesus von Nazareth. (Johannes 3, 8)
Frieden lässt sich nicht erzwingen. Er hat seine eigene Kraft und
Wirkung. Aber nur jene, die Frieden suchen, und sich auf ihn
einlassen, ohne ihn zu erzwingen, werden auch seine wunderbaren
Früchte ernten.
Montag, 28. Mai
Herausgerufene in der Kraft des Geistes
Mensch sein bedeutet, in Beziehung zu leben. Denn wir brauchen
einander, um Freude und Leid miteinander zu teilen. In wirklich
guten Freundschaften gelingt das oft ein Leben lang.
Allerdings gehen auch viele Freundschaften zu Bruch. Unsere Zeit
bringt viel Bewegung und Veränderung mit sich. Manchmal tut das weh:
Kinder verlieren einen Elternteil, Familiendramen spielen sich ab.
Viele bleiben einsam und beziehungsarm zurück.
Die Sehnsucht wächst nach einer besseren Gemeinschaft, in der ich
ganz teilhaben, mich ganz zuhause fühlen kann. Rund um die Erde
bieten soziale Netzwerke wie facebook die Möglichkeit, miteinander
in Verbindung zu bleiben.
Das Netzwerk Kirche ruft uns heraus zum Leben, damit wir aufmerksam
und doch geborgen durchs Leben gehen. Gottes guter Geist ruft uns
heraus aus den Strukturen des Todes. Kirche heißt auf Griechisch
„ekklesia“. Wir sind Herausgerufene des Lebens in einer Welt des
Todes: eine Gemeinschaft der Freunde und Freundinnen Jesu, trotz
aller Bruchlinien bauen wir tragfähige Netzwerke.
Wir sind „Kirche in der Kraft des Geistes“ (Jürgen Moltmann). Nicht,
weil wir zur gleichen Rasse gehören, oder erfolgreich sind. Sondern
weil Gott uns alle zum Leben ruft. Insbesondere die, die anders
sind, als andere. Arme, Kranke, Behinderte. Jesus sammelt seine
Freunde am Rand der Gesellschaft.
Denn Kirche ist da, wo alle Menschen sich versammeln dürfen und
feiern ohne ihre Probleme zu verstecken. Wir leben alle von der
Vergebung – und vom Teilen unserer Güter im Namen Gottes. „So sind
wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns;
so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“
(2. Korinther 5, 20).
Dienstag, 29. Mai:
Komm, heiliger Geist, erneure die ganze Schöpfung
Das Leben ist ein Geheimnis. Wir können heute in die
Wachstumsbedingungen des Lebens eingreifen. Aber keine Wissenschaft
kann dieses Geheimnis lüften, darum tun alle gut daran, dieses
Geheimnis zu achten.
Aber das Gegenteil geschieht. Die Schöpfung ist durch unsere
Lebensweise in Gefahr. Die Gier nach Profit und Macht zerstört das
Gesicht der Erde.
Aber der Mensch ist nicht Gott. Es geht nicht um Erbinformationen,
sondern um das Geheimnis des Werdens, das diese Welt durchdringt.
Wie konnten wir das vergessen?
Gierig greifen die Reichen nach den Rohstoffen des Südens. Eine Gier
mit Folgen: Menschen verhungern, weil Agrokonzerne die
genmanipulierte Saat kontrollieren. Ölpest im Wasser, Plastik im
Blut, Smog in den großen Ballungsräumen. Die Zerstörung des Planeten
durch den Menschen.
Es gilt der Gier entgegenzutreten! Das Geheimnis, das alles Leben
bestimmt, beschreibt die Bibel großartig. Die Geisteskraft Gottes
offenbart sich im Wind, und Gott bläst dem Menschen den Lebensatem
ein – Kraft des Lebendigen.
Überall ist sie: „Der Erdkreis ist erfüllt vom Geist des
Herrn und der das All
umfasst, hat Kenntnis von jedem Wort.“ (Weisheit 1, 7) „Im Anfang
schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und öde, und
Finsternis lag auf der Urflut, und der Geist Gottes bewegte sich
über dem Wasser. Da sprach Gott: Es werde Licht! Und es ward Licht“,
erzählt die Genesis (Genesis 1, 1-2).
Die Erde gehört uns nicht. Immer mehr Menschen begreifen das
unantastbare Geheimnis und rufen: „Komm, Heiliger Geist, erneure
uns, und erneure die ganze Schöpfung“. Komm und schenke Schalom,
umfassenden Frieden für alles, was lebt.
Mittwoch, 30. Mai
Eintreten für Menschenrechte und Gerechtigkeit
„Wir leben in einer skandalösen Welt, die leugnet, dass Gottes
Aufruf zum Leben allen Menschen gilt. Das Jahreseinkommen der
reichsten ein Prozent entspricht dem der ärmsten 57 Prozent und
24.000 Menschen sterben jeden Tag an den Folgen von …
Unterernährung.“
Ein Ruf des Reformierten Weltbundes nach Gerechtigkeit für alle in
Accra 2004 angesichts globaler wirtschaftlicher Ungerechtigkeiten
und ökologischer Zerstörung“.
Aber die Krise hat sich seither nur mehr verschärft.
Kinder müssen arbeiten, Frauen werden ausgebeutet und Gewerkschafter
mundtot gemacht. Es funktioniert, aber es stimmt einiges nicht in
unserer Welt.
Fassungslos sehen wir die Gewalttaten des Assadregimes. Auf einer
Facebookseite lese ich: „Wer schweigt, stimmt zu!“ „Stoppt das
Morden in Syrien!“ Wie gut, dass sich endlich auch bei uns
Widerspruch regt. Ja, rufe ich: Bitte widersprecht noch heftiger!
Ergreift die Partei der Leidenden, der Opfer und an den Rand
gedrängten. Hat sich nicht Jesus von Nazareth bewusst an den
Schaltzentralen der Macht zum Opfer einer aggressiven Gesellschaft
machen lassen und so dem Wahnsinn der römischen Diktatur sterbend
widersprochen?
Wie er, so werden auch heute in Syrien und weltweit, oder hier bei
uns Menschen „zur Schnecke“ gemacht. Aber gerade das macht das
Denken und Handeln für Gerechtigkeit nur noch wichtiger. Immer mehr
stehen auf, ein neuer Geist entsteht: Gegen Selbstsucht steht das
Engagement für andere, gegen Konkurrenz eine Gemeinschaft, die
teilt.
Die leidenschaftliche Lebensweise Jesu ist nachhaltiger als das
neoliberale Marktsystem. Denn sie kennt keinen Herrn außer der
Geisteskraft von Glaube, Hoffnung und Liebe.
Donnerstag, 31. Mai
„Ich lege meinen Geist in euch, und ihr werdet leben“
Ich höre noch heute Oberkirchenrat Johannes Dantine sagen: „Es gibt
zwei Geschichten Europas. Die eine ist gewalttätig und ihr Symbol
ist die Vergewaltigung Europas durch Zeus. Die andere, friedliche
Geschichte Europas, beginnt mit der Vision des Apostels Paulus, der
Stimme Gottes, die ihn über den Bosporus nach Europa ruft.“
Es war die Zeit des Bosnienkrieges. Alle blickten auf die Bilder des
Grauens aus Sarajewo und Srbrenica. Traurig sehe ich die vielen
Schlachtfelder der Weltkriege in Europa, Asien und Afrika. Und noch
immer Krieg in Syrien.
So viele Totenfelder voll vom Geruch des Todes, und das Gespenst der
Gewalt geht weiter um.
Aber da ein Lichtblick! Der Prophet Hesekiel findet sich in einer
Vision auf dem Schlachtfeld, sieht die Gebeine der Toten liegen und
hört eine Stimme: „So spricht Gott der Herr zu diesen Gebeinen: Seht
ich lasse Geist in euch kommen, und ihr werdet leben. Und ich gebe
euch Sehnen und lasse Fleisch wachsen an euch … und lege Geist in
euch, und ihr werdet leben, und … erkennen, dass ich der
Herr bin.“ (Hesekiel
37, 6)
Das ist eine Geschichte die anders ist, als die Geschichte des
Todes, die wir Menschen schreiben. Denn diese hier erzählt von einer
Geschichte des Lebens. Gottes schöpferischer Geist betritt das
Totenfeld und haucht den Toten neues Leben ein.
Eine erste Ahnung regt sich: Gott, der Schöpfer tritt über die
Schwelle des Todes. Ein Auferstehungsglaube, der seinen Höhepunkt im
Bericht von der Auferstehung Jesu findet. Jesus sagt den Seinen:
„Ich lebe und auch ihr werdet leben.“ (Johannes 14, 19b).
Faszinierend! Im Geiste Jesu Christi werde ich ermutigt, diese
Geschichte des Lebens weiterzuschreiben und mich für Frieden und
Versöhnung einsetzen.
Freitag, 1. Juni
Geist Gottes – die tröstliche Kraft
Wenn uns Leid und Kummer treffen, fragen wir nach dem Sinn des
Lebens. Wie kann Gott das zulassen? Trauer füllt unser Herz. Der Tod
steht uns vor Augen. Das gehört zum Leben. Leider. Menschen brauchen
Jahre, um das Leid, das sie erfüllt zu verarbeiten.
Mir haben da Geschichten der Bibel geholfen, wie die der Naomi und
ihrer Schwiegertochter Ruth. Ruth folgt ihrer verwitweten
Schwiegermutter in die Fremde mit dem berühmten Satz: „Wohin du
gehst, dahin werde auch ich gehen … dein Volk ist mein Volk und dein
Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da werde ich auch sterben.“ (Rut
1, 16f).
Menschen können einander trösten und mit Gottes Hilfe neue Wege
finden. Manchmal geht aber selbst das nicht. Dann brauchen wir einen
anderen Trost.
Jesus hat seinen Jüngern solchen Trost verheißen. In der
Abschiedsrede, im Johannesevangelium, sagt Jesus: „Ich werde den
Vater bitten, und er wird euch einen anderen Fürsprecher geben, der
für immer bei euch bleiben soll: den Geist der Wahrheit.“ (Johannes
14, 16f).
Ich brauche zum Leben innere Stärke, eine Quelle der Kraft, die mir
hilft, die Wahrheit des Lebens nicht zu übersehen. Die Wahrheit, von
der Jesus spricht, ist die Liebe Gottes. Sie schenkt Leben. Denn nur
die Liebe ist stärker als der Tod.
Jesus sagt: Gottes Liebe ist erfahrbar durch seinen Heiligen Geist:
der Tröster, Anwalt, Beistand und Fürsprecher bringt diese Liebe in
mein Leben. Durch seinen Geist verbindet sich Gott mit den
Menschen, und tröstet sie. Er schenkt ihnen vor allem Mut und
Hoffnung, für das kommende Reich einzutreten. Ich bin mit meinem
Leid nicht allein. Ich bin in Gottes Liebe geborgen. Er meint es gut
mit uns allen.
Samstag, 2. Juni
„…und sie empfingen den heiligen Geist.“ (Apg. 8, 17)
Es gibt Menschen, die von einer schöpferischen Kraft erfüllt und
befreiend sind für alle. Und sie können Nein sagen ohne zu
verletzen. Denn sie müssen nicht mehr haben, als nötig.
Die Bibel erzählt, wie die Apostel Petrus und Johannes mit der Gabe
des Heiligen Geistes Aufsehen erregten. Selbst das Verbot der
Priesterschaft am Tempel konnte sie nicht hindern, zu predigen und
zu heilen. „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“, sagten
sie.
Die Apostel praktizierten in einer Welt voller Unrecht Frieden und
Versöhnung. Sie feierten die Taufe auf Jesus Christus, lebten ihren
Glauben und teilten alles. Durch Handauflegung vermittelte einer den
anderen die Gabe des Heiligen Geistes.
Auch ein Mann namens Simon wurde so gewonnen. Aber Simon war anders.
Er konnte nicht Nein sagen. Er wollte mehr haben – vor allem die
faszinierende Geisteskraft der Apostel.
Und Simon „fütterte an“ – wie ein kaltblütiger Lobbyist in
Politikerkreisen. Aber er biss auf Granit. „Du hast kein Anrecht auf
diese Begabung“, sagte Petrus. „Aber bete zu Gott, denn ich sehe
dich hineingeraten in bittere Galle und in die Fänge des Unrechts.“
(Apostelgeschichte 8, 23). Die Warnung wirkte. Simon bereute sein
Ansinnen und betete um Vergebung.
„Anfüttern“ heißt seither in kirchlichen Kreisen „Simonie“. Im
öffentlichen Leben werden bis heute Ämter, Tantiemen und
Aufwandsentschädigungen gehäuft. Viele fragen: Können wir denen da
oben trauen?
Ich halte mich da an den Rat der Bibel, bleibe mir also der
menschlichen Versuchbarkeit bewusst, und warne vor der „bitteren
Galle“. Ich sage offen, wenn Menschen „in die Fänge des Unrechts“
laufen. Denn das offene Wort gegen das Unrecht ist auch eine Gabe
des Heiligen Geistes. Wir dürfen nicht vergessen, sie einzusetzen.