Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrer Michael Meyer (Dornbirn, Vorarlberg)

 

 

Sonntag, 27. Mai

Heilige Geisteskraft

Woher kommt das nur? Manchmal bin ich wie verändert, voller Elan und Tatendrang. Als hätte mich eine besondere Kraft ergriffen, die mich trägt, ohne dass ich weiß, warum und wieso.

Manchmal wage ich mich vor, riskiere ein Wort für andere einzulegen, habe keine Angst vor der Menge derer, die auf mich zeigen und sagen: Schau dir den an, der ist ja verrückt!

Manchmal sage ich gar nichts und mein Nachbar versteht mich trotzdem. Es ist ein Einverständnis zwischen uns, eine Erfahrung, die beweist: Menschen können miteinander, selbst dann, wenn sie sich fremd sind.

Manchmal überkommt mich die Begeisterung für die Schönheit der Welt, die Freude an Pfingstrosen und der Weite des Universums.

Woher kommt das alles nur? Sicher nicht durch Macht und Gewalt. Gewalt macht mundtot. Wir müssen der Gewalt das Handwerk legen. Wir brauchen Frieden. Die Welt steht Kopf.

Aber heute ist Pfingstsonntag. Tag der Ausgießung des Heiligen Geistes. Da geht mir die Verheißung des Propheten nicht aus dem Sinn: „Es soll nicht durch Heer oder Kraft sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.“ (Sacharja 4, 6). Frieden ist möglich, aber nicht durch Macht und Gewalt.

 „Der Wind bläst, wo er will…; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es bei jedem, der aus dem Geist geboren ist“, sagt Jesus von Nazareth. (Johannes 3, 8)

Frieden lässt sich nicht erzwingen. Er hat seine eigene Kraft und Wirkung. Aber nur jene, die Frieden suchen, und sich auf ihn einlassen, ohne ihn zu erzwingen, werden auch seine wunderbaren Früchte ernten.


 

 

Montag, 28. Mai

Herausgerufene in der Kraft des Geistes

Mensch sein bedeutet, in Beziehung zu leben. Denn wir brauchen einander, um Freude und Leid miteinander zu teilen. In wirklich guten Freundschaften gelingt das oft ein Leben lang.

Allerdings gehen auch viele Freundschaften zu Bruch. Unsere Zeit bringt viel Bewegung und Veränderung mit sich. Manchmal tut das weh: Kinder verlieren einen Elternteil, Familiendramen spielen sich ab. Viele bleiben einsam und beziehungsarm zurück.

Die Sehnsucht wächst nach einer besseren Gemeinschaft, in der ich ganz teilhaben, mich ganz zuhause fühlen kann. Rund um die Erde bieten soziale Netzwerke wie facebook die  Möglichkeit, miteinander in Verbindung zu bleiben.   

Das Netzwerk Kirche ruft uns heraus zum Leben, damit wir aufmerksam und doch geborgen durchs Leben gehen. Gottes guter Geist ruft uns heraus aus den Strukturen des Todes. Kirche heißt auf Griechisch „ekklesia“. Wir sind Herausgerufene des Lebens in einer Welt des Todes: eine Gemeinschaft der Freunde und Freundinnen Jesu, trotz aller Bruchlinien bauen wir tragfähige Netzwerke.

Wir sind „Kirche in der Kraft des Geistes“ (Jürgen Moltmann). Nicht, weil wir zur gleichen Rasse gehören, oder erfolgreich sind.  Sondern weil Gott uns alle zum Leben ruft. Insbesondere die, die anders sind, als andere. Arme, Kranke, Behinderte. Jesus sammelt seine Freunde am Rand der Gesellschaft.

Denn Kirche ist da, wo alle Menschen sich versammeln dürfen und feiern ohne ihre Probleme zu verstecken. Wir leben alle von der Vergebung – und vom Teilen unserer Güter im Namen Gottes. „So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2. Korinther 5, 20).

 

 

 

Dienstag, 29. Mai:

Komm, heiliger Geist, erneure die ganze  Schöpfung

Das Leben ist ein Geheimnis. Wir können heute in die Wachstumsbedingungen des Lebens eingreifen. Aber keine Wissenschaft kann dieses Geheimnis lüften, darum tun alle gut daran, dieses Geheimnis zu achten.

 

Aber das Gegenteil geschieht. Die Schöpfung ist durch unsere Lebensweise in Gefahr. Die Gier nach Profit und Macht zerstört das Gesicht der Erde.

Aber der Mensch ist nicht Gott. Es geht nicht um Erbinformationen, sondern um das Geheimnis des Werdens, das diese Welt durchdringt. Wie konnten wir das vergessen?

Gierig greifen die Reichen nach den Rohstoffen des Südens. Eine Gier mit Folgen: Menschen verhungern, weil Agrokonzerne die genmanipulierte Saat kontrollieren. Ölpest im Wasser, Plastik im Blut, Smog in den großen Ballungsräumen. Die Zerstörung des Planeten durch den Menschen.

Es gilt der Gier entgegenzutreten! Das Geheimnis, das alles Leben bestimmt, beschreibt die Bibel großartig. Die Geisteskraft Gottes offenbart sich im Wind, und Gott bläst dem Menschen den Lebensatem ein – Kraft des Lebendigen.

Überall ist sie: „Der Erdkreis ist erfüllt vom Geist des Herrn und der das All umfasst, hat Kenntnis von jedem Wort.“ (Weisheit 1, 7)  „Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und öde, und Finsternis lag auf der Urflut, und der Geist Gottes bewegte sich über dem Wasser. Da sprach Gott: Es werde Licht! Und es ward Licht“, erzählt die Genesis (Genesis 1, 1-2).

Die Erde gehört uns nicht. Immer mehr Menschen begreifen das unantastbare Geheimnis und rufen: „Komm, Heiliger Geist, erneure uns, und erneure die ganze Schöpfung“.  Komm und schenke Schalom, umfassenden Frieden für alles, was lebt.

 

 

 

Mittwoch,  30. Mai

Eintreten für  Menschenrechte und Gerechtigkeit

„Wir leben in einer skandalösen Welt, die leugnet, dass Gottes Aufruf zum Leben allen Menschen gilt. Das Jahreseinkommen der reichsten ein Prozent entspricht dem der ärmsten 57 Prozent und 24.000 Menschen sterben jeden Tag an den Folgen von … Unterernährung.“

Ein Ruf des Reformierten Weltbundes nach Gerechtigkeit für alle in Accra 2004 angesichts globaler wirtschaftlicher Ungerechtigkeiten und ökologischer Zerstörung“.

Aber die Krise hat sich seither nur mehr verschärft.

Kinder müssen arbeiten, Frauen werden ausgebeutet und Gewerkschafter mundtot gemacht. Es funktioniert, aber es stimmt einiges nicht in unserer Welt.

Fassungslos sehen wir die Gewalttaten des Assadregimes. Auf einer Facebookseite lese ich: „Wer schweigt, stimmt zu!“ „Stoppt das Morden in Syrien!“  Wie gut, dass sich endlich auch bei uns Widerspruch regt. Ja, rufe ich: Bitte widersprecht noch heftiger!  

Ergreift die Partei der Leidenden, der Opfer und an den Rand gedrängten. Hat sich nicht Jesus von Nazareth bewusst an den Schaltzentralen der Macht zum Opfer einer aggressiven Gesellschaft machen lassen und so dem Wahnsinn der römischen Diktatur sterbend widersprochen?

Wie er, so werden auch heute in Syrien und weltweit, oder hier bei uns Menschen „zur Schnecke“ gemacht. Aber gerade das macht das Denken und Handeln für Gerechtigkeit nur noch wichtiger. Immer mehr stehen auf, ein neuer Geist entsteht: Gegen Selbstsucht steht das Engagement für andere, gegen Konkurrenz eine Gemeinschaft, die teilt.

Die leidenschaftliche Lebensweise Jesu ist nachhaltiger als das neoliberale Marktsystem. Denn sie kennt keinen Herrn außer der Geisteskraft von Glaube, Hoffnung und Liebe.

 

 

 

Donnerstag, 31. Mai

„Ich lege meinen Geist in euch, und ihr werdet leben“

Ich höre noch heute Oberkirchenrat Johannes Dantine sagen: „Es gibt zwei Geschichten Europas. Die eine ist gewalttätig und ihr Symbol ist die Vergewaltigung Europas durch Zeus. Die andere, friedliche Geschichte Europas, beginnt mit der Vision des Apostels Paulus, der Stimme Gottes, die ihn über den Bosporus nach Europa ruft.“

Es war die Zeit des Bosnienkrieges. Alle blickten auf die Bilder des Grauens aus Sarajewo und Srbrenica. Traurig sehe ich die vielen Schlachtfelder der Weltkriege in Europa, Asien und Afrika. Und noch immer Krieg in Syrien.

So viele Totenfelder voll vom Geruch des Todes, und das Gespenst der Gewalt geht weiter um.

 Aber da ein Lichtblick! Der Prophet Hesekiel findet sich in einer Vision auf dem Schlachtfeld, sieht die Gebeine der Toten liegen und hört eine Stimme: „So spricht Gott der Herr zu diesen Gebeinen: Seht ich lasse Geist in euch kommen, und ihr werdet leben. Und ich gebe euch Sehnen und lasse Fleisch wachsen an euch … und lege Geist in euch, und ihr werdet leben, und … erkennen, dass ich der Herr bin.“ (Hesekiel 37, 6)

 

Das ist eine Geschichte die anders ist, als die Geschichte des Todes, die wir Menschen schreiben. Denn diese hier erzählt von einer Geschichte des Lebens. Gottes schöpferischer Geist betritt das Totenfeld und haucht den Toten neues Leben ein.

Eine erste Ahnung regt sich: Gott, der Schöpfer tritt über die Schwelle des Todes. Ein Auferstehungsglaube, der seinen Höhepunkt im Bericht von der Auferstehung Jesu findet. Jesus sagt den Seinen: „Ich lebe und auch ihr werdet leben.“ (Johannes 14, 19b).

Faszinierend! Im Geiste Jesu Christi werde ich ermutigt, diese Geschichte des Lebens weiterzuschreiben und mich für Frieden und Versöhnung einsetzen.

 

 

 

Freitag, 1. Juni

Geist Gottes – die tröstliche Kraft

Wenn uns Leid und Kummer treffen, fragen wir nach dem Sinn des Lebens. Wie kann Gott das zulassen? Trauer füllt unser Herz. Der Tod steht uns vor Augen. Das gehört zum Leben. Leider. Menschen brauchen Jahre, um das Leid, das sie erfüllt zu verarbeiten.
Mir haben da Geschichten der Bibel geholfen, wie die der Naomi und ihrer Schwiegertochter Ruth. Ruth folgt ihrer verwitweten Schwiegermutter in die Fremde mit dem berühmten Satz: „Wohin du gehst, dahin werde auch ich gehen … dein Volk ist mein Volk und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da werde ich auch sterben.“  (Rut 1, 16f).
Menschen können einander trösten und mit Gottes Hilfe neue Wege finden. Manchmal geht aber selbst das nicht. Dann brauchen wir einen anderen Trost.
Jesus hat seinen Jüngern solchen Trost verheißen. In der Abschiedsrede, im Johannesevangelium, sagt Jesus: „Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Fürsprecher geben, der für immer bei euch bleiben soll: den Geist der Wahrheit.“ (Johannes 14, 16f).
Ich brauche zum Leben innere Stärke, eine Quelle der Kraft, die mir hilft, die Wahrheit des Lebens nicht zu übersehen. Die Wahrheit, von der Jesus spricht, ist die Liebe Gottes. Sie schenkt Leben. Denn nur die Liebe ist stärker als der Tod.
Jesus sagt: Gottes Liebe ist erfahrbar durch seinen Heiligen Geist: der Tröster, Anwalt, Beistand und Fürsprecher bringt diese Liebe in mein Leben. Durch seinen Geist verbindet  sich Gott mit den Menschen, und tröstet sie. Er schenkt ihnen vor allem Mut und Hoffnung, für das kommende Reich einzutreten. Ich bin mit meinem Leid nicht allein. Ich bin in Gottes Liebe geborgen. Er meint es gut mit uns allen.

 

Samstag, 2. Juni
 „…und sie empfingen den heiligen Geist.“ (Apg. 8, 17)
Es gibt Menschen, die von einer schöpferischen Kraft erfüllt und befreiend sind für alle. Und sie können Nein sagen ohne zu verletzen. Denn sie müssen nicht mehr haben, als nötig.
Die Bibel erzählt, wie die Apostel Petrus und Johannes mit der Gabe des Heiligen Geistes Aufsehen erregten. Selbst das Verbot der Priesterschaft am Tempel konnte sie nicht hindern, zu predigen und zu heilen. „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“, sagten sie.
Die Apostel praktizierten in einer Welt voller Unrecht Frieden und Versöhnung. Sie feierten die Taufe auf Jesus Christus, lebten ihren Glauben und teilten alles. Durch Handauflegung vermittelte einer den anderen die Gabe des Heiligen Geistes.
Auch ein Mann namens Simon wurde so gewonnen. Aber Simon war anders. Er konnte nicht Nein sagen. Er wollte mehr haben – vor allem die faszinierende Geisteskraft der Apostel.
Und Simon „fütterte an“ – wie ein kaltblütiger Lobbyist in Politikerkreisen. Aber er biss auf Granit. „Du hast kein Anrecht auf diese Begabung“, sagte Petrus. „Aber bete zu Gott, denn ich sehe dich hineingeraten in bittere Galle und in die Fänge des Unrechts.“ (Apostelgeschichte 8, 23). Die Warnung wirkte. Simon bereute sein Ansinnen und betete um Vergebung.
„Anfüttern“ heißt seither in kirchlichen Kreisen „Simonie“. Im öffentlichen Leben werden bis heute Ämter, Tantiemen und Aufwandsentschädigungen gehäuft. Viele fragen: Können wir denen da oben trauen?
Ich halte mich da an den Rat der Bibel, bleibe mir also der menschlichen Versuchbarkeit bewusst, und warne vor der „bitteren Galle“. Ich sage offen, wenn Menschen „in die Fänge des Unrechts“ laufen. Denn das offene Wort gegen das Unrecht ist auch eine Gabe des Heiligen Geistes. Wir dürfen nicht vergessen, sie einzusetzen.