Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Ingeborg Schödl (Wien)

 

 

Sonntag, 10.6.2012

Mir geht es manchmal so: Ich habe ein Problem, sehe absolut keine Lösung  und möchte daher eine neutrale Meinung einholen.  Aber mit wem soll ich mich besprechen? Wer sieht die Sache unbeeinflusst und kann einen Rat geben? Das ist die Frage, denn auch die Meinung nahestehender Menschen, auch der besten Freunde ist zumeist subjektiv gefärbt, das geht gar nicht anders. Jeder sieht die Sache aus seinem persönlichen Blickwinkel. Mir persönlich hilft es, wenn ich mich  an einen Ort zurückziehe, wo ich in der Stille mein Herz öffnen und in mich hineinhorchen kann. Man kann dies meditieren, oder auch beten nennen. Plötzlich zeichnet sich ein Weg, oder sogar eine Lösung ab, die mir vorher nicht bewusst wurde. Hildegard Burjan, die im Jänner dieses Jahres vom Papst selig gesprochen wurde, hat aus ihrer Erfahrung dazu gemeint: „Wirklich beraten kann man sich nur mit Gott.“

 

 

 

Montag, 11.6.2012

Ich habe den Eindruck, die zwischenmenschlichen Beziehungen sind  sehr oft mit Vorurteilen behaftet. Man ist misstrauisch gegenüber jedem, der von seiner Herkunft, seinem Denken, seinem Aussehen nicht so ist wie man selbst. Ich nehme mich davon nicht aus. Ich bin überhaupt ein sehr kritischer Mensch und mein Urteil über meine Mitmenschen fälle ich oft zu rasch. Manchmal habe ich mir schon gedacht, dass ich damit meinem Gegenüber eigentlich gar keine Chance biete, sich in einem anderen Licht zu präsentieren. Es kann viele Gründe haben, warum sich Menschen anders geben als sie wirklich sind. Hinter manch äußerlicher Arroganz, oder Zynismus kann auch Verletztheit stecken. Vielleicht sollte ich einen Satz der neuen Seligen der römisch-katholischen Kirche Hildegard Burjan in Zukunft mehr beachten: „Man muss überzeugt sein, dass in jedem Menschen eine gute Seite ist und man muss sich bemühen, sie herauszufinden um daran anzuknüpfen.“

 

 

 

Dienstag, 12.6.2012

Parteipolitik genießt derzeit kein hohes Ansehen und Politiker und Politikerinnen aller Couleurs leiden unter Imageverlust. Korruption, Freunderlwirtschaft, Tatenlosigkeit und noch vieles mehr wirft man den Herren und auch Damen auf der politischen Ebene vor. Aber herumnörgeln an allem was „die da oben“ tun, oder nicht tun,  ist wesentlich leichter als sich selbst für das allgemeine Wohl einzusetzen. Früher - und in manchen Ländern auch noch heute - haben Menschen für das öffentliche Eintreten für Werte, Rechte und Ideale, Haft, Verfolgung, sogar den Tod auf sich genommen. Doch heute, wo man im Vergleich zu früher kaum etwas zu befürchten hat, scheinen viele dieses öffentliche Eintreten zu scheuen. Aber kann man sich so absentieren von der Verantwortung, die jeder Bürger, jede Bürgerin für das Gemeinwohl hat? Auch zu dieser Situation passt ein Satz der neuen Seligen der römisch-katholischen Kirche in Österreich, Hildegard Burjan, die selbst politisch tätig war: „Volles Interesse für die Politik gehört zum praktischen Christentum.“

 

 

 

Mittwoch, 13.6.2012

Es gibt Zeiten, da scheint alles, was man beginnt oder unternehmen will, daneben zu gehen. Misserfolge und Missgeschicke reihen sich aneinander. Ich glaube, jeder ist oder war schon einmal davon betroffen. Viele geben es nur nicht zu. Manchmal habe ich mir schon gedacht, es hatte genau gesehen doch auch sein Gutes, wenn nicht alles so ablief wie ich es erwartet hatte. Es hat mich zwar viel an Nerven und Kraft gekostet, hat aber auch neue Erkenntnisse gebracht. Ich war herausgefordert, habe Ängste überwunden und in mir neue Kräfte entdeckt. Ein glatter Ablauf ohne Anstrengung hätte dies alles nicht bewirkt und für die Zukunft habe ich außerdem eine Lektion erhalten: Nur nicht aufgeben. Auch Hildegard Burjan, die neue Selige in der römisch-katholischen Kirche in Österreich, kam aus Erfahrung zu dieser Erkenntnis: „Es wäre für uns gar nicht gut, wenn immer alles glatt ginge und eitel Erfolg wäre. Der Misserfolg ist unser bester Lehrer.“

 

 

 

 

Donnerstag, 14.6.2012

Um diese Tageszeit sind viele Menschen gerade auf dem Weg zur Arbeit. Einige werden sich vielleicht fragen: Bin ich eigentlich zufrieden mit und in meinem Job? Die Identifikation mit der jeweiligen Tätigkeit ist heute bisweilen sehr ambivalent. Die einen leiden darunter, dass sie kaum Möglichkeiten haben, ihre kreativen Fähigkeiten einzubringen, um dadurch der Arbeit ihren persönlichen Stempel aufzudrücken. Sie sehen sich dann nur als kleines Rädchen in einem unüberschaubaren Gesamtgetriebe, das jederzeit austauschbar ist. Andere identifizieren sich wieder so mit ihrer beruflichen Position, dass sie den Boden unter den Füßen verlieren, wenn das Pensionsalter naht. Sie glauben nur Ansehen und Anerkennung zu haben, wenn sie auf eine Karriere verweisen können. Auch dazu passt wieder ein Satz der neuen katholischen Seligen, der Sozialpionierin Hildegard Burjan: „Nicht die Arbeit bestimmt die Qualität des Menschen, sondern die Qualität des Menschen bestimmt die Arbeit.“

 

 

 

Freitag, 15.6.2012

Manches Mal passiert es mir, dass ich die Zeitung durchblättere und nur von Schrecklichem auf der ganzen Welt lese. Ich drehe den Fernseher oder das Radio auf und höre von Gewalt, Not, Armutsfallen. Ich mache meinen Postkasten auf und finde eine Unmenge an Bettelbriefen verschiedenster Organisationen. Manchmal habe ich das Gefühl, angesichts dieser Flut stumpft man irgendwie ab. Was soll man schließlich auch tun? Mein Reagieren besteht meist darin, dass ich einen Erlagschein für eine Spende ausfülle. Aber ist das wirklich genug? Bin ich in Verantwortung für den Nächsten nicht zu mehr gefordert? Ein bewusstes Einkaufen, der Schutz der Umwelt, einen Blick haben für die Not im unmittelbaren Umfeld wäre auch ein zusätzlicher Beitrag. Wie sagte doch die Gründerin der Schwesterngemeinschaft CARITAS SOCIALIS Hildegard Burjan: „Irgendwie fühle ich mich jeden Augenblick für das viele Traurige, das auf der Welt geschieht verantwortlich.“

 

 

 

Samstag, 16.6.2012

Wenn man die jährlich veröffentlichten Austrittszahlen aus der römisch-katholischen Kirche betrachtet, gewinnt man den Eindruck: Immer mehr Menschen wenden sich von dieser Kirche ab und suchen sich einen eigenen Weg. Diese Menschen deshalb einfach als „glaubenslos“ zu bezeichnen, wäre zu vereinfacht. Vielleicht wollen sie nur nichts mit der Institution Kirche zu tun haben weil sie sich aus sehr persönlichen Gründen nicht angenommen, bzw. ausgeschlossen vom kirchlichen Leben fühlen. Andere glauben zwar an Gott, wollen aber nicht an kirchlich vorgegebene Regeln gebunden sein. Wie auch immer, niemandem steht das Recht zu, sie als Glaubenslose abzustempeln. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass das Handeln von Menschen, die der Kirche distanziert gegenüber stehen, oft mehr von der Bergpredigt geprägt war, als das der sogenannten Kirchentreuen. Ihre individuelle Frömmigkeit, ihr Christsein zeigte sich im konkreten Tun. Sehr mutig meinte dazu die neue Selige der römisch-katholischen Kirche in Österreich, Hildegard Burjan: „Die Menschen müssen ihre Frömmigkeit so gestalten können, wie es ihrem innersten Wesen entspricht.“