von P. Gerwig Romirer,
Benediktinerstift St. Lambrecht, zum steirischen Festival für
zeitgenössische Kunst und Kultur REGIONALE12 in der Region Murau
Sonntag, 17. Juni 2012
Wo gehöre ich hin?
Zu den wesentlichen Fähigkeiten
des Menschen gehört es, Fragen stellen zu können. Und es ist ein
großes Geschenk, dass wir nicht alles, was uns vorgegeben ist,
gedankenlos akzeptieren müssen. Wir dürfen fragen. – Wir müssen
fragen!
Eine der großen Fragen, die uns
ein Leben lang begleitet, lautet: Wo gehöre ich hin? Wo ist mein
Platz? Wo kann ich leben und mein Leben mit anderen teilen?
Ein künstlerisches Projekt in
St. Lambrecht beleuchtet ab kommenden Samstag diese Fragestellungen.
„NISTEN ZIEHEN IRREN“ – drei Worte, die aufzeigen wollen, was
Menschen mit ihrer Heimat verbinden, die hörbar machen wollen, was
bleibt, wenn Menschen weggezogen sind aus ihren Wohnungen und
Häusern, die sich damit beschäftigen, wie Um- und Irrwege nicht nur
verlorene Zeit, sondern auch Entdeckungsreisen zu neuen Erfahrungen
sein können.
Wo gehöre ich hin? – Bleibt
auch die Frage ein Leben lang die gleiche, die Antwort wird sich
wandeln und verändern.
Wie auch immer sie ausfällt:
wichtig ist es nicht aufzuhören, um eine Antwort auf diese Frage zu
ringen: offen und geduldig, vertrauensvoll und aufmerksam, jeden Tag
neu.
Montag, 18. Juni 2012
Wo gehöre ich dazu?
„Keiner ist eine Insel“ lautet
der Titel eines Buches des Trappistenmönchs und Mystikers Thomas
Merton. Keiner von uns Menschen kann auf Dauer allein leben, völlig
isoliert und abgeschottet, wir sind auf Gemeinschaft hin angelegt.
Doch manchmal ist es für jeden
Menschen notwendig, sich zurückzuziehen, um Bezugslinien neu und
besser sehen zu können, manchmal braucht es den Rückzug und die
Konzentration in der Einsamkeit, wo Menschen oft stärker mit den
Sorgen dieser Welt verbunden sind als im Getriebe der
Schaltzentralen des politischen und wirtschaftlichen Entscheidens.
Am kommenden Wochenende wird
die kleine obersteirische Stadt Oberwölz für 40 Stunden ihre Tore
schließen. Sie tut das in der Absicht, den Blick zu schärfen für die
wesentlichen Aspekte sozialen Lebens und sich feiernd und
diskutierend, singend und betend, spielerisch und kreativ der Frage
zu stellen: Wo gehöre ich dazu und warum? Was heißt es drinnen zu
sein, und was draußen? Wie viel Verbundenheit brauche ich und wie
viel Freiheit?
Jede und jeder von uns braucht
ein Netzwerk, das trägt – jede und jeder kann zugleich ein Knoten
sein im tragenden Netzwerk für andere.
Dienstag, 19. Juni 2012
Wie viel Erde braucht der
Mensch?
Lange bevor vom ökologischen
Fußabdruck die Rede war hat Leo Tolstoi 1885 in einer seiner
Novellen eine Frage gestellt, die an Aktualität nicht nur nichts
verloren hat, sondern nur noch brisanter geworden ist: Wie viel Erde
braucht der Mensch?
Der vom Virus der Gier und der
Unzufriedenheit infizierte Bauer Pachom darf darin soviel Land
kaufen, wie er während eines Tages zu Fuß umrunden kann. Weil er in
seiner Maßlosigkeit seine Kräfte überschätzt, bricht er kurz vor
Sonnenuntergang auf den letzten Metern erschöpft zusammen und
stirbt.
Wie viel Erde braucht der
Mensch? – diese Frage trifft den wunden Punkt: Will ich nach dem
Motto leben „Immer mehr, immer weiter, immer höher“ oder stimmt
nicht doch die Aussage eines meiner Freunde „Was genug ist, ist zu
viel“.
Das Marschgepäck für die
Lebensreise ist für viele von uns zu groß, doch häufig merken wir es
nicht, weil andere für uns – meist ungefragt – als Gepäcksträger
eingespannt sind.
Nachhaltigkeit ist vor allem
eine Frage der Verantwortung – für mich selber – für die Menschen um
mich – für die Schöpfung – für die Zukunft auf dieser Welt.
Mittwoch, 20. Juni 2012
Wofür bin ich Feuer und
Flamme?
Eines der stärksten Bilder für
den Heiligen Geist ist das Bild des lebendigen Feuers. Geist –
Heiliger Geist – Begeisterung – Esprit: Was wäre das Leben ohne
dieses innere Feuer, ohne die Erfahrung der brennenden Begeisterung
für eine Idee, für ein Projekt, für einen Menschen?
Wofür brenne ich? Wofür bin ich
Feuer und Flamme?
Wir Menschen brauchen den
Kontakt zu unserem inneren Feuer, damit unser Leben einen Sinn
erhält, wir sind gefordert, die Glut diese Feuers zu hüten und nicht
ausgehen zu lassen und wir haben den Auftrag, mit der Lebendigkeit
dieses Feuers andere Menschen anzustecken. Auch wir brauchen immer
wieder andere Menschen, an deren Begeisterung wir Feuer fangen
können.
Gegenseitige Ansteckung mit dem
inneren Feuer der Begeisterung – ein schönes Projekt, das ohne
Impfschutz und ohne Vorsichtsmaßnahmen auskommt.
Jedes Feuer beginnt mit einem
kleinen Funken. Gewiss ergibt sich heute die Gelegenheit, ein wenig
Esprit zu versprühen oder selber einen Feuerfunken aufzufangen. Wäre
doch einen Versuch wert.
Donnerstag, 21. Juni 2012
Wofür bin ich empfänglich?
Von früh bis spät prasseln
Töne, Geräusche, Klänge, Worte und Musik an unsere Ohren. Wir sind
ihnen ausgeliefert, weil wir unsere Ohren nicht verschließen können
und werden als Gegenstrategie unweigerlich abgestumpft,
oberflächlich, mehrfach taub. Dabei bestimmt gerade die Frage „Wofür
bin ich empfänglich?“ sehr viel in unserem Leben.
Mehr Achtsamkeit auf das, was
wir an Signalen von außen bekommen, ist dazu unerlässlich. Noch
wichtiger aber ist es, auch auf die Botschaften zu hören, die in uns
da sind – meistens leise, behutsam und zart.
Seit einigen Jahren werden
durch die Initiative „Beschallungsfrei“, Orte ausgezeichnet, die auf
die Berieselung mit Hintergrundmusik zu verzichten. Anfangs ist das
vielleicht irritierend, letztlich aber wohltutend – nicht nur für
die Ohren: Was hören Sie, wenn Sie nichts hören? Probieren Sie’s
doch heute einmal aus und suchen Sie sich einen Ort, wo 10 Sekunden
Stille möglich sind. Ein lohnendes kleines Experiment. Sie werden es
hören!
Freitag, 22. Juni 2012
Wo will ich hin?
In acht Meter hohen Buchstaben
steht es hoch über der Stadt Murau geschrieben, das Wort ZUKUNFT.
Ohne Fragezeichen, ohne Rufzeichen, ohne Zusatz – einfach so:
Zukunft. Zeichenhaft stehen die Buchstaben während des steirischen
Kulturfestivals REGIONALE12, das in den nächsten vier Wochen in der
Region Murau stattfinden wird. Wo will ich hin? Welches Ziel habe
ich vor Augen? Worauf möchte ich zugehen, wohin wachsen? Entwicklung
braucht genaues Hinschauen, gewissenhaftes Prüfen der Motive,
geduldiges Gehen Schritt für Schritt.
Die Beschäftigung mit Kunst
bietet dazu oft eine gute Gelegenheit: Kunst hinterfragt, Kunst
inspiriert, Kunst kritisiert, Kunst regt die Phantasie an, Kunst
fordert heraus.
Kunst bietet die Gelegenheit,
Neues an mich heranzulassen, an Experimenten teilzunehmen,
Überraschungen zu erleben. Vielleicht erscheint sogar das eine oder
andere zuerst verrückt, erweist sich dann aber als Anfang eines
tragfähigen Weges – eines Weges in eine gute Zukunft.
Samstag, 23. Juni 2012
Was kann ich da schon tun?
Mangelndes Selbstvertrauen ist
eine weitverbreitete Haltung. Viele Ursachen können dafür aufgezählt
werden: Schlechte Pädagogen, ein unterdrückerisches Umfeld,
hierarchische Strukturen und und und ... So transportiert allein die
Frage: Was kann ich da schon tun? einen Gutteil der Antwort schon
mit: Nichts oder zumindest nicht viel.
Doch niemand von uns Menschen
hat gar keine Talente, jede und jeder hat Fähigkeiten, alle haben
wir unsere starken Seiten – es kommt nur darauf an, dass sie
entdeckt werden und dann auch zum Einsatz kommen können.
Wir dürfen nicht immer auf
andere warten, sondern müssen selber anfangen, aktiv zu werden und
unser Leben in die Hand nehmen auch wenn oft nur kleine Schritte
möglich sind.
Wenn Sie sich heute vielleicht
fragen: Was kann ich da schon tun? Antworten Sie sich doch nicht
gleich selbst: Nichts oder nicht viel. Versuchen Sie doch, einen
mutigen kleinen Anfang zu machen und damit ein Stück Selbstvertrauen
zurückgewinnen in die eigene Macht zur Veränderung.