Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Oberkirchenrat Karl Schiefermair

 

 

Sonntag, 1.7. 2012

Vieles erscheint einem vertraut, wenn man in der Bibel die Geschichten liest, die sich um Kinder drehen: Es gibt die freudige Geburt eines Sohnes nach langem Hoffen und Sehnen, Brüder streiten sich, dass es nur so kracht, da steht einer im Mittelpunkt als Liebling seiner Eltern, es muss ein Kind vor seinen Verfolgern gerettet werden, ein Kleiner wird gewählt und alle Großen nicht, ein Mädchen kommt in ein schwieriges Alter und will nur noch sterben. Themen, die auch wir kennen, werden berührt.

Extra Kindergeschichten kommen aber in der Bibel nicht vor – nur die eine ist überliefert: Eltern bringen ihre Kinder zu Jesus, einem bekannten Mann. Die Freunde Jesu wollen das nicht erlauben – Kinder haben keinen Zutritt zur Erwachsenenwelt! Aber Jesus zeigt Emotion, wie ganz selten beschrieben. Er wird zornig, weist seine Freunde zurecht und umarmt die Kinder, spricht ihnen Gottes Gegenwart zu. Die rechtlosen und abhängigen Kinder werden besonders gewürdigt.

Gott sei Dank, dass heute Kinder Rechte haben!

 

 

 

Montag, 2.7.2012

In den Zeiten der Bibel garantierten Kinder das Überleben einer Familie. Kinderlosigkeit war auch bei uns bis vor kurzem wirtschaftlich und sozial eine Katastrophe. Frauen, die nicht geboren haben, wurden diskriminiert, verstoßen und verachtet. Durchwegs wurde eine kinderlos gebliebene Ehe als Fehler der Frau angesehen.

Die Bibel erzählt: Dem Abraham wurde von Gott eine große Nachkommenschaft versprochen. Nur – das ersehnte Kind blieb aus, wie soll das mit der Familie und dem großen Segen weitergehen? Wie erfüllt sich das Versprechen Gottes? Schon zu alt fürs Kinderkriegen wird Abraham und seiner Frau Sara wirklich ein Sohn angekündigt. „Das ist doch zum Lachen!“, denkt Sara – aber wirklich, ein Jahr später lacht sie vor Freude: ihr Sohn Isaak wurde geboren. „Bei Gott ist nichts unmöglich“, heißt es in der Bibel dazu.

Das sollen auch alle hören, die heute nicht wissen, wie es weitergehen soll. Womit werden sie überrascht werden? Vielleicht bringt sie Gott auch zum Lachen.

 

 

 

Dienstag, 3.7.2012

Dass aus zwei Brüdern Feinde werden können, kommt vor und ist ein beliebtes Motiv für Geschichten, vor allem für Krimis. Zuletzt berichtet ein Buch aus Afghanistan davon: „Wir sind Brüder und Feinde“. Der eine Bruder ist Polizist, der andere Anhänger der regierungsfeindlichen Taliban.

Auch die Bibel schildert in einem langen Erzählreigen von einem verfeindetem Brüderpaar: Jakob und Esau. Vom Mutterleibe an: Betrügereien, Gaunereien, Lügen an der Tagesordnung. Am Ende langer Trennungsjahre steht der eine Bruder samt Sippe dem anderen samt 400 Männern gegenüber. In Afghanistan würden wir dazu sagen: zwei „warlords“ treffen aufeinander. In der Bibel versöhnen sich die Brüder und Familien. Sie können nun in einem Land in Frieden leben.

In Afghanistan ist der Riss in der ganzen Gesellschaft nicht gekittet. Nach wie vor verläuft er sogar durch ein- und dieselbe Familie. Können sich die zahllosen Clans und warlords versöhnen und ihr Land in gegenseitigem Respekt und Frieden aufbauen?

Wir wünschen es diesem Land, wir wünschen es allen verfeindeten Brüdern und Familien. Aber niemand kann sagen, wie viel Krisen es noch braucht zur Versöhnung. Und wie viele innere Kämpfe – wie bei Jakob und Esau.

 

 

 

Mittwoch, 4.7.2012

Ein Vater hat viele Söhne, aber nur einer ist sein Liebling. Ihm schenkt er Besonderes. Er wird bevorzugt, ihn liebt er am meisten. Das erzählt die Bibel vom Vater Jakob und von seinen 12 Söhnen, darunter von seinem Lieblingssohn Josef. Die Brüder beginnen Josef zu hassen, kein freundliches Wort gibt es mehr untereinander. Und einmal, weit weg von zu Hause, lassen sie ihre Wut an Josef aus: sie werfen ihn in eine leere Zisterne und dann verkaufen sie ihn als Sklaven nach Ägypten. Am Ende einer langen Geschichte kann Josef zu seinen Brüdern sagen: „Ihr hattet Böses mit mir vor; aber Gott hat es zum Guten gewendet!“

Das ist nicht nur eine alte Geschichte, sie passiert auch täglich bei uns: im Kinderzimmer, am Küchentisch, in den Kanzleien der Rechtsanwälte. Wut aufeinander ist ein starkes und anhaltendes Gefühl; sie verschwindet nicht, wenn man sie nicht zeigt. Und plötzlich bricht sie hervor, beim Autofahren, vor den Kindern, bei der Aufteilung des Erbes.

Nichts zu fühlen ist keine Alternative - allein die destruktive Wut in schöpferische Leidenschaft zu verwandeln; umwandeln in die kreative Leidenschaft der Liebe, die einen Neubeginn und Gutes bedeuten kann.

 

 

 

Donnerstag, 5.7.2012

Ein ganz kleiner Bub wird versteckt. Sein Leben ist in Gefahr. Er wird in ein Körbchen aus Schilf gelegt und dem Wasser des Nilflusses anvertraut. Die Tochter des Königs findet den Kleinen und gibt ihm den Namen Mose. Das heißt: ich habe ihn aus dem Wasser gezogen. So erzählt die Bibel die Geschichte von der Rettung des Mose. Er dürfte nach grausamen Regeln nicht leben – und wird im Zuge der Geschichte zum Retter seines Volkes.

Die den Kindern ans Leben wollen, sind Menschen, die sich in ihrem Herrschaftsanspruch bedroht fühlen und künftige Konkurrenten beseitigen wollen. Solche Retter-Kinder finden sich in verschiedenen Religionen. Wir treffen sie in Mesopotamien, sie heißen Zarathustra und Krishna, Zeus und Dionysos, sowie Romulus und Remus, nicht zuletzt Jesus.

Heute heißen sie Luke Skywalker, der Hobbit Frodo Beutlin und Harry Potter. Es scheint so, dass wir auch in unserer hochtechnisierten und durchrationalisierten Welt die Erzählung von Retter- und Erlöserkindern brauchen.

Gott sei Dank haben alle Retterkinder gute Freunde und Helferinnen; sie müssen nicht alleine auf der Erde sein. Das kann auch uns zu Nachfolgerinnen und Nachfolgern von Rettern machen.

 

 

 

Freitag, 6.7.2012

Wenn ein Kind geboren wird, ist es eine wichtige Aufgabe der Eltern, einen Namen für das Kind festzulegen. Bis heute ist die Namensgebung von großer Bedeutung. Ganze Familiengenerationen sind im gleichen Vornamen vereint. Man vergibt die Vornamen aber auch nach anderen Kriterien.

Seit 20 Jahren ist „David“ unter den fünf häufigsten Vornamen für die neugeborenen Buben in Österreich zu finden. Ungebrochen scheint die Attraktivität dieses Namens, der auf den jüdischen König David zurückgeht.

Auch von ihm finden wir eine Kindheitsgeschichte in der Bibel: Der Prophet Samuel ist von Gott beauftragt, einen neuen König für Israel zu salben. Er wird dazu zum Bauern Isai nach Bethlehem beordert. Der stellt ihm von seinen acht Söhnen sieben vor: alle groß gewachsen, stark und stattlich. Keinen von ihnen hat Gott als König auserwählt. Isai muss seinen Jüngsten von der Schafherde holen. Dieser David wird zum zukünftigen König gesalbt. 

„Ein Mensch sieht, was vor Augen ist. Gott aber sieht das Herz an.“ So lautet die Begründung für diese ungewöhnliche Wahl. Ist sie auch die Begründung für die Beliebtheit des Namens „David“? Für Eltern, die ihre Kinder mit Herz wahrnehmen?

 

 

 

Samstag, 7.7.2012

In der antiken Welt, aus der auch unsere Bibel kommt, waren die männlichen Kinder als Erben und Träger der Familientradition wichtiger als die Mädchen. So haben wir ganz wenige Kindergeschichten über Mädchen aus dieser Zeit. Und wenn, dann haben sie nicht einmal einen Namen.

So wie die Geschichte über das „Töchterlein des Jairus“, einem Synagogenvorsteher. Diese liegt und scheint gestorben. Jesus, der dazu gerufen wird, nimmt sie bei der Hand, ruft: „Talitha kumi“: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Und das Mädchen steht wieder auf.

Wir erfahren aus der Geschichte, dass das Mädchen 12 Jahre alt war. Ein Alter, in dem man damals eine erwachsene, heiratsfähige Frau wurde. Die Verzärtelung und Verkleinerung ihrer Person scheint mit ihrem Hinlegen zum Sterben zusammenzuhängen. Das „Töchterlein“ musste sterben, damit eine erwachsene Frau auferstehen kann.

Was richten Erziehung  und Vorstellungen der Eltern, Erzieher und Lehrerinnen mit den Kindern und Jugendlichen an? Antworten müssen alle Generationen dazu finden.

Kinder sollen nach den biblischen Geboten ihre Eltern ehren, Väter ihre Kinder nicht zornig machen oder kränken. Grundlage jeder Begegnung zwischen den Generationen ist gegenseitiger Respekt, gleichgültig wie jung oder alt das Gegenüber ist.