Evangelischer Gottesdienst

Sonntag, 23. 05. 2010, 19.05 Uhr bis 19.30 Uhr Österreich 1

 

 

Predigt
von Oberkirchenrätin Dr. Hannelore Reiner

 

 

Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Gemeinde!

Das Wetter war nicht besonders einladend letzte Woche, freitagabends, in München…

Aber das konnte Tausende von Besuchern des 2. Ökumenischen Kirchentag nicht davon abhalten am Orionsmarkt zu feiern.

Eine feierliche, orthodoxe Liturgie, die den meisten eher fremd und ungewohnt war, versetzte in eine andere Zeit und in eine andere Welt.

Für diesen kalten Abend lang wurden die Herzen warm, da hat einer mit dem andern am Tisch gesprochen, obgleich sie sich vorher nie gesehen hatten;

für einen Abend war am Münchner Orionsmarkt  Friede eingekehrt. Friede, den nur einer schenken kann: Jesus, der Christus.

 

War es damals in Jerusalem ebenso? Die Zeichen und Bilder, die im Bibeltext beschrieben werden, zeigen so manche Parallele.

 

Vom Geist getrieben

 

Von den ersten Seiten der Bibel an wird der Geist Gottes mit Hauch oder Wind übersetzt. Das bedeutet: Bewegung ist angesagt, sich aufmachen, Neues wagen, ausprobieren, Leben schmecken…

Vielleicht rüttelt in unseren Tagen der Hl. Geist besonders laut an unsere Gemeinden – und Kirchentüren. Einschließen hat da längst keinen Sinn mehr.

Das ist schon viel zu lange geschehen… Nach den vielen Medienberichten über schreckliche Übergriffe in den Kirchen in diesem Frühjahr sind wir alle wach gerüttelt und hoffentlich auch bereit, im Namen Gottes aufzustehen, um zu tun, wozu uns der Geist Gottes drängt – manchmal mit leiser Stimme, wie das Klangspiel vorhin, oder eben auch laut und schallend, wie Orgel und Bläser; ein starkes Rütteln an der Kirchentür.

 

Der Wind des göttlichen Geistes trieb die ersten Apostel regelrecht aus den Häusern auf die Straßen.

Wenn wir uns von diesem göttlichen Wind als einzelne Christinnen und Christen, als Gemeinden und Kirchen antreiben lassen, dann wird es uns leichter fallen, unser Christsein zu leben und zu bezeugen, beim Feiern in der Kirche, aber auch im Alltag.

Allerdings kann es dabei aber auch geschehen, dass manches verblasen wird. Wo der Wind dreinbläst, fliegt davon, was nicht verwurzelt ist. Da scheidet sich die Spreu vom Weizen. Faule Ausreden oder Beschwichtigungen werden ganz rasch entlarvt. Das Echte und Wahrhaftige aber wird getragen und gestärkt.

 

Vom Feuer entzündet

 

Das zweite Bild für den Geist sind die Feuerflammen. In vielen Darstellungen  der biblischen Pfingstgeschichte wird die Geistbegabung durch kleine Flammen über den Köpfen der Apostel ausgedrückt: Feuerzungen!

Die Faszination des Feuers, seine Wohltat und zugleich seine Gefährlichkeit sind bis heute ungebrochen.

Die Strahlkraft und Wärme, die das Feuer verströmt, lässt sich leicht auf unseren Auftrag als Christenmenschen übertragen: Licht der Welt sollen wir sein; ein Leuchtturm, der den Weg nach Hause weist; eine weithin sichtbare Stadt auf dem Berg. Nicht weil wir so wichtig wären oder die besseren Menschen, sondern weil der Geist Gottes, der Geist der Liebe durch uns hindurch scheinen will, bei allem, was wir tun, zu allen Menschen, denen wir begegnen.

Spannend ist dabei: Das griech. Wort „glossae“ kann mit Sprache oder auch mit Zunge übersetzt werden. Das Feuer des Geistes löst auch die menschliche Zunge.

Aber Vorsicht: Es geht nicht um die bekannte „scharfe Zunge“, die über andere nur Schlechtes zu sagen weiß. Unsere Zungen werden durch Gottes Geist frei und gelöst zum Gotteslob, zum Singen und Musizieren, zum Danken und Bekennen. Die Wunder Gottes in unserer Welt, die sollen sichtbar gemacht werden, davon sollen wir reden.

Aber woher die Geschichten und Berichte nehmen? In diesem Buch, in der Bibel sind sie zu finden. Wer beginnt, darin zu lesen, am besten täglich ein kleines Stück, wer die alten Lieder und Gebete der Psalmen mitbetet, wer die Geschichten von Jesus weiter erzählt, ja, wer beginnt, die eigenen Gotteserfahrungen mit anderen zu teilen, bei der und bei dem geschehen die Pfingstwunder auch in unseren Tagen.

Die eigene Zunge löst sich; die alten Geschichten werden lebendig und helfen zum heutigen Leben.

Manchmal scheint mir, über alles in der Welt lässt sich leichter reden als über unseren christlichen Glauben. Religion ist zur Privatsache verkommen, die keinen andern etwas angeht.

Pfingsten aber bedeutet: Alle sollen wissen, dass Gott uns Menschen liebt, und dass wir das erfahren sollen und auch können in dem, wie wir einander begegnen, lieben und verstehen.

Eine recht bunte Schar war damals zum jüdischen Erntedankfest in Jerusalem versammelt. Sie haben die fremdländisch klingenden Namen von all den Landstrichen im Vorderen Orient und in Nordafrika gehört. Überall gab es so genannte Diasporajuden. Exegeten sind den verschiedenen Völkernamen nachgegangen und haben festgestellt, dass die Namen nach den 4 Himmelsrichtungen angeordnet sind: Die Botschaft von Gottes Liebe soll alle erreichen, in Nord und Süd, in Ost und West.

Wahrlich eine bunte Schar, aber sie alle konnten damals, so bezeugt es Lukas, der Schreiber der Apostelgeschichte, die Männer in ihrem galiläischen Dialekt verstehen.

Petrus und die anderen erzählten von Jesus, von seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung, von seiner Nähe durch den Geist, die sie ermutigt – und sie wurden auf wunderbare Weise verstanden.

Am Freitag der Vorwoche haben wahrscheinlich die meisten an den Tischen am Münchner Orionsmarkt Deutsch gesprochen. Aber eine gemeinsame Sprache bedeutet noch lange nicht, dass einer den anderen auch wirklich versteht. Sonst hätten wir keine Probleme mehr in den Familien, zwischen Jung und Alt, zwischen den Kirchen und auch unter den Völkern.

Es war die Atmosphäre, die beim Kirchentag trotz aller Fremdheit das Verstehen ermöglichte. Der Hl. Geist trieb die Kirchentagsbesucher zum gemeinsamen Gotteslob ohne Scheu und ohne Peinlichkeit sondern aus fröhlichem Herzen.

Durch den guten Geist wird es möglich, auch in einem englisch gesungen Spiritual, wie heute am Schluss dieses Gottesdienstes, die gemeinsame Grundlage herauszuspüren, auch wenn die englische Sprache nicht so gut beherrscht wird. Die Atmosphäre, der Geist bewirkt es, sich auch mit Menschen, die eine ganz andere Muttersprache sprechen, zu verstehen…

In München wurde es, trotz der wetterbedingten Kälte warm auf dem Orionsmarkt, warm vom Feuer der Geistkraft Gottes, warm von der Atmosphäre des gegenseitigen Verstehens.

 

In Liebe vereint

 

Auch Petrus, der erste Pfingstprediger, greift auf die Bibel zurück. Er liest aus dem Buch des Propheten Joel: In den letzten Tagen spricht Gott.

Die „letzten Tage der Menschheit“ sind also damals angebrochen. Die Weissagung des Joel hat sich erfüllt. Nicht bloß für ein paar Apostel, nicht bloß für einige Auserwählte, nein, allen ist der Geist zugesagt, wirklich allen!

Grenzen spielen keine Rolle mehr, weder die der Sprache, noch die des Geschlechts – von Söhnen und Töchtern ist die Rede. Auch die Grenzen zwischen den Generationen spielen keine Rolle mehr: Junge und Alte sind gleichermaßen begabt! Diese pfingstliche Verheißung scheint in der Christenheit lange Zeit vergessen gewesen zu sein.

Aber es ist noch keine 2 Wochen her, da wagte der römisch-katholische burgenländische Bischof Iby davon zu sprechen, dass auch das Priesteramt für Frauen denkbar wäre…

Und es ist noch keine 100 Jahre her, seit es in den protestantischen Kirchen Frauen im Pfarramt gibt. Heute ist es freilich in den evangelischen Kirchen selbstverständlich.

Aber wo werden die Alten noch gehört; wo wird ihre Lebenserfahrung ernst genommen; wo wird ihren Geschichten, auch wenn sie vielleicht schon öfters erzählt wurden, noch gelauscht? Die Alten werden Träume haben.  Wer bemüht sich, den Jungen geduldig zuzuhören, auf das, was sie zu sagen haben? Und sie haben etwas zu sagen!
Es ist Gottes Geist, der durch Alt und Jung zu uns spricht. Es ist der Geist der Liebe, der uns verbindet über alle natürlichen und von Menschen gesetzten Grenzen hinweg.

 

Beim 2. Ökumenischen Kirchentag in München in der vergangenen Woche gab es leider noch immer keine offizielle, alle Christen verbindende Eucharistie/Abendmahlsfeier. Aber es gab an jenem Abend Brot und Äpfel und Öl auf 1000 Tischen, Essen, das gesegnet und geteilt wurde – ein Mahl der Liebe, ein Mahl der Gemeinschaft.

Einen Abend lang waren die Unterschiede aufgehoben – jeder und jede erhielt sein und ihr Stück; jeder gab dem andern, der andern, gleich aus welchem Land, aus welcher Kirche er oder sie gekommen waren.

Die Geistkraft Gottes hat alle verbunden.

Der ökumenische Kirchentag kommt erst in einigen Jahren wieder, aber die Gemeinschaft jenes Abend können wir überall erfahren, in München, in Timelkam und hoffentlich auch wieder in Jerusalem oder wo immer wir wohnen.

Alles, was es von uns dazu braucht, ist die Bereitschaft und Offenheit für Gottes Geist, jeden Tag neu. Amen