Motive - Glauben und Zweifeln
Sonntag, 05. 02. 2012, 19.04 Uhr bis 19.30 Uhr Österreich 1
„Listig, lästig, gotteslästerlich“ - Was ist heute noch
blasphemisch?
Der liebe Gott und das
Strafrecht – eine lange Geschichte, vor allem im Christentum. Denn
das Christentum, dessen zentrale Aussage, Gott sei in Jesus Christus
Mensch geworden, vom zeitgenössischen Judentum als Gotteslästerung
empfunden wurde, hatte selbst bald wenig Verständnis für
blasphemische Provokationen.
Die Motivationen der Künstlerinnen und Künstler für solche
Provokationen reichen von einem – meist biografisch bedingten –
Religionshass als Stimulus künstlerischer Arbeit bis zur Lästerung
als Lustgewinn. Und oft führt dabei das Sakrileg zu einer
Wertsteigerung des Sakralen „ex negativo“. In vielen Fällen ist auch
nicht die Religion selbst das Ziel der Blasphemie, sondern ihre
Instrumentalisierung durch die Macht – so etwa im Bild von Christus
mit Gasmaske, mit dem George Grosz 1928 die christlich motivierte
Kriegshetze im Ersten Weltkrieg anprangerte.
Wer beleidigt Gott eigentlich mehr? Derjenige, der lästert – oder
der, der glaubt, er müsse Gott mit Paragraphen schützen und aufgrund
seines persönlichen Empfindens Einspruch im Namen Gottes erheben? Je
mehr die Bedeutung der Religion und ihre Kenntnis in liberalen
Gesellschaften abnehmen, umso deutlicher stellt sich auch die Frage:
Funktioniert Blasphemie überhaupt noch? Nicht nur die
Mohammed-Karikaturen 2005 in der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“
haben gezeigt, dass in der Blasphemie noch immer ein explosives
Potenzial steckt. Die Aufregung um Martin Kippenbergers gekreuzigten
Frosch mit herausgestreckter Zunge und Bierkrug in der Hand, der im
Mai 2008 in Bozen gezeigt wurde, oder Alfred Hrdlickas Bild
"Leonardos Abendmahl, restauriert von Pier Paolo Pasolini" im selben
Jahr im Wiener Dommuseum haben gezeigt, dass Blasphemie auch im
christlichen Kontext noch funktioniert. Und erst recht der
internationale Proteststurm gegen das Buch „Das Leben des Jesus“ des
Karikaturisten Gerhard Haderer im Jahr 2002. Außerdem ist der Film
„Das Gespenst“ von Herbert Achternbusch in Österreich noch immer
verboten.
Blasphemie funktioniert also noch. Doch die Terminologie hat sich
geändert: Von der „Gotteslästerung“ über die „Herabwürdigung
religiöser Lehren“ bis zur „Verletzung religiöser Gefühle“ ist es
ein weiter Weg. Und auch wenn religiöse Provokationen noch
skandalträchtig sind – die Deutungshoheit der Kirchen über das
Christentum hat abgenommen.
Gestaltung: Cornelius Hell
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