Motive - Glauben und Zweifeln

Sonntag, 06. 05. 2012, 19.04 Uhr bis 19.30 Uhr Österreich 1

 

 


„Wider die Rechthaber“ –

Martin Walsers Nachdenken über die Rechtfertigung

 


"Der Text klingt wie ein Fanfarenstoß, ganz wie die ersten Takte von Richard Strauß' sinfonischer Neudichtung von Nietzsches 'Also sprach Zarathustra'", beschreibt der evangelisch-reformierte Theologe Ulrich Körtner Martin Walsers neuestes Werk "Über Rechtfertigung, eine Versuchung". Das Buch gehöre zu den aufregendsten theologischen Texten, die er in letzter Zeit gelesen habe. "Mit ihm können sich jene theologischen Dünnbrettbohrer nicht messen, die uns neue blühende Religionslandschaften versprechen und im Feuilleton die 'Verbuntung' der Religion feiern, als erlebten wir gerade die technische Revolution vom Schwarz-Weiß- zum Farb-Fernsehen", meint Körtner. Walsers Essay erinnere an Karl Barth und die Dialektische Theologie, jenen theologischen Aufbruch nach dem Ersten Weltkrieg, der die neuprotestantische Synthese von Christentum und moderner Kultur in Frage stellte.

 

Walsers Streitschrift zeige deutlich, dass eine zeitgeistige Spiritualität und der neue Atheismus beinahe identisch seien. Und er mache deutlich, dass mit dem Verlust Gottes zugleich auch die Frage nach Rechtfertigung verlorengegangen sei. "Eine Gesellschaft, der die Rechtfertigungsproblematik in ihrer radikalen religiösen Dimension, wie sie allen voran bei Paulus, dann bei Augustin, Luther und Calvin durchbuchstabiert wird, abhanden gekommen ist, verfällt dem Irrtum, es genüge zur Rechtfertigung der eigenen Person, Recht zu haben. Das Rechthaben aber gerät zur Rechthaberei." Insofern sei Luthers Frage nach dem gnädigen Gott auch radikaler als die Frage nach der Existenz Gottes.
Gestaltung: Martin Gross