Das Evangelische WortSonntag, 20. 11. 2005, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von
Pfarrerin Mag. Ingrid
Tschank Nichts vergeht für uns alle so deutlich spürbar wie die Zeit. Wir klagen oft darüber, dass sie uns zwischen den Fingern zerrinnt, dass ein Tag, eine Woche, ein ganzes Jahr wie im Flug an uns vorbei zieht. Aber nicht die Zeit vergeht, sondern wir Menschen vergehen. Die
Zeit ist nur ein Ausdruck für das Werden und Vergehen des Lebens.
Die Zeit, das ist die Spanne, die uns zwischen Geburt und Tod
geschenkt ist. Es kommt uns jedoch vielfach so vor, als würde die
Zeit vergehen und wir immer die Gleichen bleiben. Die Zeit ist
diejenige, die immer gleich bleibt. Wir dagegen sind diejenigen, die
anders werden. Wir werden älter und reifer. Wir werden müder und
schwächer. Nicht
die Zeit vergeht, sondern wir Menschen vergehen! Die
Zeit geht ihren Gang. Sie hat ihren Rhythmus, ihren Weg und ihr
Ziel. Genau genommen betrachtet sie uns gar nicht. Wir messen sie
mit unseren Uhren und Instrumenten, weil wir sie festhalten und
manchmal auch vorantreiben wollen. Aber den Gang der Zeit können
wir nicht bestimmen. Die Zeit ist immer gleich und unvergänglich.
Vergänglich sind nur wir Menschen. Vergänglich ist diese gesamte
Erde, auf der wir Menschen wohnen. Ewig ist nur die Zeit. Sie ist
uns geschenkt, damit wir sie ausfüllen mit unserem Leben. Jeden
Tag planen wir und machen, wir lieben und feiern, wir sorgen vor und
wir richten uns das Leben auf eine lange Zukunft ein. Wir leben als
würden wir die Zeit in unseren Händen halten. Aber wie rasch kann
sich der Lauf unseres Lebens ändern? Krisen ereilen uns oft
schneller als wir das erwarten: eine Krankheit, eine Trennung, der
Tod eines geliebten Menschen. Solche Ereignisse hinterlassen eine
tiefe Wunde und es wird uns dabei auf schmerzvolle Weise bewusst wie
kurz und vergänglich unser Leben ist. „Himmel
und Erde werden vergehen aber meine Worte werden nicht vergehen“,
sagt Jesus im Markusevangelium (13, 31). Wir Menschen haben hier auf
dieser Welt keine bleibende Statt. Aber Jesu Worte haben Bestand.
Sie verbürgen uns die bleibende Liebe Gottes, sie verheißen uns
eine neue Heimat. Sie trösten uns auch. Sie schenken uns die Verheißung
auf eine neue Zukunft im Reich Gottes. Die
Zeit gehört nicht uns Menschen, sie gehört Gott. Wir verstehen
letztlich auch nicht viel von Zeit und Ewigkeit. Das sind Maßstäbe,
die in Gottes Händen liegen. Er allein kann mit ihnen umgehen.
Unsere Maßstäbe sind Stunden, Tage, Monate, Jahre. Aber weil wir
aufgehoben sind in Gottes Händen, gehört uns doch auch ein Stück
der Ewigkeit. Gott hat sie uns in unser Herz gelegt. Sie bleibt als
eine ferne Sehnsucht in uns und Gott wird diese Sehnsucht erfüllen
zu seiner Zeit. Heute
ist der letzte Tag im Kirchenjahr 2005 und in vielen Evangelischen
Gottesdiensten wird heute der Verstorbenen dieses Kirchenjahres
gedacht. Dieser Sonntag, der vielerorts auch Totensonntag genannt
wird, ist ein Tag des Rückblicks aber ebenso sehr ein Tag des
Trostes, ein Tag der
Hoffnung, ein Tag der Zukunft.
Nicht der Tot steht heute im Mittelpunkt, sondern der Glaube daran,
dass Gott, trotz unserer Vergänglichkeit, noch viel mit uns vorhat.
Dietrich
Bonhoeffer hat diesen Glauben in die hoffnungsvollen Worte gefasst:
„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost was
da kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen, und ganz
gewiss an jedem neuen Tag.“
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