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Das Evangelische WortSonntag, 11. 12. 2005, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von
Prof. Ulrich Körtner
Weihnachten
ist ein Geburtstagsfest. Die Geburt Jesu wirft ein besonderes Licht
auf unsere eigene „Geburtlichkeit“, wie das die Philosophin
Hannah Arendt genannt hat. Von daher gesehen ist es eine zutiefst
christliche Angelegenheit, nicht nur die Geburt Jesu, sondern auch
den eigenen Geburtstag zu feiern.
Zum
Menschsein gehört unsere Endlichkeit. Eine verbreitete
philosophische Tradition setzt die Endlichkeit mit der Sterblichkeit
gleich. Aber zum Menschsein gehört nicht nur, dass wir streben müssen,
sondern auch, dass wir geboren werden. Niemand bringt sich selbst
auf die Welt. Man kann sich selbst wohl das Leben nehmen, aber nicht
geben. Niemand hat uns danach gefragt, ob wir auf die Welt kommen
wollten oder nicht. Darin besteht eine eigentümliche Grundpassivität
menschlichen Lebens.
Ebenso
wenig wie unsere Geburt ist auch das Kindsein keine irgendwann
abgeschlossene Phase unseres Lebens, sondern ein Umstand, der unser
ganzes Leben bestimmt. Wie wir auch als Erwachsene doch immer die
Kinder unserer Eltern bleiben, so verweist uns der Geburtstag jedes
Jahr auf unsere Herkunft, auf eine Familiengeschichte, die unsere
Identität prägt.
Christen
sind davon überzeugt, dass wir unser Leben letztlich nicht unseren
Eltern verdanken, sondern Gott. Wie Christus auf einzigartige Weise
Gottes Kind ist, so darf sich jeder Mensch als Kind Gottes
begreifen. Das bedeutet aber nicht, dass christlicher Glaube ein
Kinderglaube ist, der nach der Pubertät abzulegen wäre. Wie im natürlichen
Leben, so gibt es auch im Glaubensleben einen Prozess des Reifens,
des Erwachsen- und Mündigwerdens.
Die
Art, wie heutzutage Weihnachten gefeiert und vermarktet wird, lässt
davon nur wenig erkennen. Was wir erleben, ist eine erschreckende
Infantilisierung und Banalisierung des Festes, dessen christlicher
Sinn darüber verloren zu gehen droht.
Man
kann mit der eigenen Herkunft brechen, sich zum Beispiel mit den
Eltern überwerfen. Man kann sich von Traditionen lossagen oder eine
neue Identität annehmen. Doch die eigene Geschichte kann man damit
nicht völlig aus dem Gedächtnis streichen. Sie holt uns immer
wieder ein. So ist es auch mit Gott. Wir können uns von ihm
lossagen oder an ihm zweifeln. Er aber geht uns nach und gibt uns
nicht auf.
Ob
das eigene Leben, über dessen Ursprung wir nicht verfügen, ein
Geschenk oder ein Fluch ist, steht auf einem anderen Blatt. „Weh
mir, meine Mutter, dass du mich geboren hast“, hadert der Prophet
Jeremia im Alten Testament mit seinem Schicksal und seinem Gott.
„Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin“, bricht es
aus Hiob in seinem Elend heraus. Und auch heute gibt es Menschen,
die sich manchmal wünschten, nie geboren zu sein, weil ihnen das
Leben eine einzige Last und Qual ist.
Auch
das Leben Jesu war alles andere als ein Hit. Doch gerade von ihm heißt
es, dass Gott selbst in ihm die Endlichkeit, die Geburtlichkeit wie
die Sterblichkeit menschlichen Lebens erfahren und geteilt hat. Aus
dem Glauben daran können Menschen Kraft schöpfen, um ihr eigenes
Leben anzunehmen.
Weihnachten
erinnert uns nicht nur daran, dass wir alle geboren werden, sondern
auch daran, dass wir neu geboren werden sollen. „Ich fühle mich
wie neu geboren“, sagt jemand, der eine schwere Krankheit oder Prüfung
überstanden hat. So sollen wir alle aus dem Geist Gottes, dem Geist
der Liebe neu geboren werden. Wie die natürliche Geburt ist aber
auch der Glaube, der neues Vertrauen schöpft und dem Leben Halt und
eine neue Richtung gibt, eine Gabe und keine menschliche Leistung.
Die
Geburt Jesu war die Geburtsstunde einer neuen Hoffnung für diese
Welt. Darum haben wir allen Grund, das Hoffen neu zu lernen. Daran
gilt es zu erinnern in einer Zeit, die so sehr von
Hoffnungslosigkeit, von Angst und Resignation geprägt ist. Advent
ist die Zeit der Einübung in solche Hoffnung.
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