Das Evangelische Wort

Sonntag, 08. 01. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Dr. Jutta Henner

 

 

Heute möchte ich an den Geburtstag einer Persönlichkeit erinnern, der sich 2006 zum hundertsten Mal jährt. Ein runder Geburtstag, der zum Nachdenken anregt, der herausfordert. Ein runder Geburtstag, den zu bedenken sich jedoch allemal lohnt: Dietrich Bonhoeffer, Evangelischer Theologe, Pfarrer, Dichter und Widerstandskämpfer gegen das Dritte Reich wurde am 4. Februar 1906 in Breslau geboren. Kurz nach seinem 39. Geburtstag, wenige Wochen vor Ende des Zweiten Weltkrieges, wurde er nach achtzehn Monaten Gefangenschaft im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet.

 

Vielen ist Bonhoeffer als eines der herausragendsten christlichen Opfer des Nazi-Regimes, als Widerstandskämpfer und Märtyrer bekannt. Andere kennen Bonhoeffer als geistlichen Schriftsteller, der in unruhiger Zeit Kirche und einzelne Christen zur Besinnung auf den Kern des Glaubens ermahnt. Wenigen ist Bonhoeffer als herausragender und scharf denkender Theologe bekannt, dessen Ethik ungemindert aktuell geblieben ist, auch für moderne Fragen wie die der Bioethik.

 

All das gehört zusammen in der Persönlichkeit Dietrich Bonhoeffers: die tiefe Spiritualität und das leidenschaftliche gesellschaftspolitische Engagement, der weite Horizont und die Konsequenz, mit der er seinen Glauben lebte. Das Ringen mit Gott im Gebet und die realistische Sicht der politischen Entwicklung. Glauben und Verantwortung, die beiden sind untrennbar, wie Bonhoeffer selbst einmal treffend formulierte. Es käme darauf an, „jeden Tag zu nehmen, als wäre er der Letzte, und doch in Glauben und Verantwortung so zu leben, als gäbe es noch eine große Zukunft.“ Glaube, tiefe Verbundenheit mit Gott, Gebet und Frömmigkeit, Leben aus der Heiligen Schrift, das ist die eine Seite. Das wache Wahrnehmen gesellschaftlicher Entwicklungen und das mutige Handeln, das Eintreten für Gerechtigkeit, die gelebte Solidarität mit den Schwachen und Leidenden ohne wenn und aber, ist die andere Seite. Gerade so, den Menschen zugewandt, ist aber der Glaube Bonhoeffers ein glaubwürdiger, überzeugender und einladender Glaube gewesen.


Bonhoeffer war ein unbequemer Mensch: Unbequem seiner Kirche und ihren Vertretern, die er an ihre Verantwortung für die Bewahrung und Erneuerung des Glaubens und das Eintreten für die Verfolgten ermahnte. Unbequem auch den Vertretern eines unmenschlichen Regimes, denen er laut widersprach. „Frei, stark und mündig“ solle der Christ sein, geradezu sprichwörtlich ist Bonhoeffers Formulierung „dem Rad in die Speichen fallen“ geworden.

 

Eine in Leben und Werk glaubwürdige und authentische Persönlichkeit, im besten Sinne, die im heurigen Jahr kennenzulernen und ihre Aktualität zu entdecken sich lohnt: Nicht nur für Kirchenverantwortliche, Theologen und Christenmenschen. Leben und Werk dieses scharfsinnigen und selbstkritischen, wach beobachtenden und gesellschaftliche Entwicklungen erahnenden Menschen sind bewegend. Eines wollte Bonhoeffer jedoch keinesfalls: missverstanden werden als vermeintlicher Heiliger, als unerreichbares Vorbild: „Ich möchte kein Heiliger werden, ich möchte glauben lernen.“ Gerade hier wird etwas von der entdeckenswerten Person deutlich.

 

An vielen Kirchtürmen Deutschlands und sicher auch einigen in Österreich wird demnächst ein großformatiges Transparent an den 100. Geburtstag Dietrich Bonhoeffers erinnern. Dort kann man die letzte Strophe seines wohl bekanntesten Gedichtes lesen, als Lied weit verbreitet. Es entstand an der Jahreswende 1944/45 in Gefangenschaft. Mutige Zuversicht in vordergründig aussichtsloser Situation spiegelt dieses Gedicht, ein unerschütterliches Gottvertrauen, das zu kompromisslosem Handeln befähigte. Bonhoeffer hat diese Zuversicht gelebt, bis zum letzten Tag: Andere zu eben dieser Zuversicht zu ermutigen, ist Anliegen der Aktion: „Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost was kommen mag. Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“