Das Evangelische Wort

Sonntag, 15. 01. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Jürgen Öllinger, Villach

 

Das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist. Somit kann sich kein Mensch vor Gott rühmen. (1. Korinther 1, 28f.)

 

Der moderne Mensch kann auf die Frage, wie eine Impfung funktioniert, schnell eine Antwort geben; zu komplexen Fragen der Welt wird in Cafes und an Stammtischen wortgewaltig diskutiert. Der moderne Mensch gerät aber ins Stottern, wenn er nach seinen Werten, nach seinem Wohin oder Woher befragt wird. 5jährige Kinder bringen Erwachsene ins Schwitzen, wenn sie fragen, was mit den Toten sei oder mit dem Anfang allen Lebens.

 

Wenn jemand fragt, "Warum lebst du, warum bist du da auf dieser Welt"?, dann hört man immer wieder eine Antwort: "Ich bin dazu da, um mich selbst zu verwirklichen". Selbstverwirklichung wird auf vielen Wegen gesucht:

 

- im persönlichen Bereich sucht man sie in der Begegnung mit einem Partner, in der Gründung und im Aufbau einer Familie. Manche meinen, der Kick, das Ausflippen sei "cool", und dabei könne man sich endlich spüren

- im beruflichen Bereich selbst verwirklichen: da geht es um Leistung. Über die Leistung werde ich selbst definiert

- und im politischen Bereich spüren wir, dass es Verantwortlichen oft nicht um ihre Aufgabe, sondern um ihre Selbstverwirklichung geht

Der französische Philosoph André Glucksmann macht in seinem unlängst erschienen Buch "Hass" auf eine erschreckende Erfahrung unserer Zeit aufmerksam. Es geht um den Versuch der Selbstverwirklichung im Zerstören und Vernichten. Überspitz formuliert: Ich hasse, also bin ich. Ich zerstöre, also bin ich.

 

Mir scheint es kein Zufall zu sein, dass die Zukunft unseres Landes, vornehmlich männliche Jugendliche, Stunden, Tage und Nächte damit verbringen, in virtuellen Welten Menschen, Mächte und Monster zu erschießen und zu zerstören. Auf grundlegende Fragen: wie geht es weiter, was hast du vor? kommt v. a. von jungen Erwachsenen ein ratloses Schulterzucken. Irgendetwas wird schon aus mir werden.

 

Mir scheint dies ein Echo der so genannten Erwachsenenwelt zu sein. Sie haben keine Werte mehr vermitteln können, sie denken nicht mehr nach über das Woher und Wohin. Die einzige Weisheit, die sie anbieten können, ist das Vermehren von Geld oder die Absicherung von Rechten. Aber jugendliche Zerstörung und Vernichtung von Umwelt oder Familie täglich.

 

Das Echo der Bibel ist ein anderes. Seht doch auf eure Berufung. Nicht viele Weise der Welt, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen, um diese Welt zu verändern.

 

Paulus sieht sehr klar, dass Christen durch Weisheit, Macht und hohes Ansehen nicht weiterkommen. Christen machen sich nicht selber, sondern sie sind in allen Lebensbereichen Menschen, die zu Gott gehören, weil er sie liebt. Sie reagieren auf den Ruf Gottes mit einem Echo, das zunächst nichts mit Weisheit, Macht und Ansehen zu tun hat.

 

Im 4. Jahrhundert hat übrigens der Kirchenvater Augustinus das "cor incurvatum in se", das auf sich selbst zurück verbogene Herz, als Gefahr für den Menschen erkannt. Kirche ist kein Selbstzweck. Sie ist nicht dazu da, damit wir uns selbst verwirklichen. Auch für Luther war das die Ursünde. Aber Gott "biegt sozusagen unser Herz wieder zurecht".

 

Seht auf eure Berufung. Habt einen offenen Blick in die Wirklichkeit, in die Welt, die uns umgibt. Wir können also unseren Blick weg wenden von der Nabelschau. Wer zulange darauf schaut, wird irgendwann ein großes Loch entdecken.

 

Und Paulus wäre natürlich missverstanden, wenn man meinte, Gott erwähle nur törichte und  schwache  Menschen für seine Gemeinde. Nein! Gott will Mühselige und Beladene stärken. Dafür braucht es moderne und offene Menschen.    

 

Er erwartet dabei, dass wir ihm glauben und vertrauen, dass wir auf ihn unsere Hoffnung setzen. Mögen sich die Leute auf vielerlei Art selbst verwirklichen wollen, vor Gott ist es nichts, weil er das Nichtige errettet hat.

 

Sie brauchen nicht die Abläufe einer Impfung wissen, sondern Sie lassen sich impfen, wenn es notwendig ist. Sie brauchen auch nicht alles über Gott zu wissen. Aber Sie denken wieder nach über Ihre Werte, über das Woher und Wohin. Und das braucht der moderne Mensch als Echo auf die Herausforderungen unserer Welt.