Das Evangelische WortSonntag, 30. 01. 2006, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
„Eiseskälte“ von
Pfarrer Matthias Geist In
diesen Tagen begegnet mir oft der kalte, eisige Wind. Er pfeift,
sobald ich außer Haus bin, an meinen Ohren vorbei. Von Zeit zu Zeit
mag ich diese Kälte durchaus. Wenn meine Hände und mein Gesicht
die klirrende Kälte spüren, wenn sich die Haut spannt. Das
Prickeln auf der Haut kann für kurze Zeit sogar angenehm sein, aber
nur deshalb, weil ich weiß: Bald werde ich mich wieder aufwärmen können.
Bei einem Tee, an einem Ofen oder im Bett, überall dort, wo es gemütlich
ist. Nach
unserer Rettung erfuhren wir, dass die Insel Malta hieß. Die
Bewohner dort waren überaus freundlich zu uns. Sie zündeten ein
Feuer an und holten uns alle dorthin. Denn es hatte angefangen zu
regnen und es war kalt. (Apg. 28,1-2) So
schreibt ein gewisser Paulus nach Gefangenschaft und Schiffbruch.
Sogar im Süden der Insel Malta kann es also ungemütlich und kalt
werden. Paulus erfährt, wie wohl menschliche Wärme tun kann. Denn
wenn Leib und Seele frieren, dann ist Kälte doppelt spürbar –
innerlich und äußerlich. Marco
ist so einer, der Tag und Nacht in seiner ungeheizten Wohnung
friert. Ölofen kann sich Marco keinen leisten, er schläft mit
Schal und dickster Winterjacke. Er erwärmt sich mit einigem Risiko
am Gasherd. Auch sonst weht ihm seit Jahren ein eisiger Wind
entgegen, vor dem er flieht und sich zurückzieht. Und schon
mehrmals ist er im übertragenen Sinn am Glatteis ausgerutscht. Und
nur mit Mühe kann er sich aufrappeln, bevor er wieder strauchelt.
Ja, aber wie kam es denn dazu? Ist er nicht selber schuld an der
Misere? Als er damals mit Drogen in Berührung kam. Und andere erst!
Die sich auf Betrügereien, auf Gewalt und Körperverletzung und
vielleicht auf Mord und Totschlag eingelassen haben. Die haben’s
ja verdient, heißt es. Die führen wir aufs Glatteis, die sollen
nicht nur ausrutschen, die sollen sich ihre Schrammen holen – eine
Lehre soll es ihnen sein! Und wer ins Eis einbricht, der soll gefälligst
einmal um sein Leben strampeln!
Die
Gewalt und Drogensucht unter Jugendlichen wird beklagt.
Familiendramen ereignen sich und doch hört man sie nicht: die, die
das schon einmal erlebt, ja mitbewirkt und mitverschuldet haben. Sie
sind Zeugen, ja sie wären Experten dessen, was verhindert werden
soll. Gehört werden sie in den Zusammenhängen meines Wissens nie.
Für sie ist es zwar zu spät. Aber gleichzeitig wäre es die
Chance! Gegen alle Verachtung, Abhärtung und Ausgrenzung, gegen
alle Eiseskälte von außen, innerlich wieder beginnen, Lebenssinn
und –ziel zu suchen, anderen Mut zu machen. Die
Erfahrung des Paulus schließt uns diese neue Wirklichkeit auf. Sie
übersteigt die Grenzen des Machbaren, sie ist Geschenk. Wärme
inmitten der kalten Jahreszeit kann durch Feuer, Ofen und heißen
Tee vermittelt werden. Marco braucht dies zuallererst. Er braucht
aber auch die Erfahrung, dass das Glatteis zu schmelzen beginnt,
damit er nicht mehr ausrutscht.
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