Das Evangelische Wort

Sonntag, 19. 02. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

„Geliebt um Gottes und um meiner selbst willen“

(Rechtfertigung aus Gnade)

von Pfarrerin Gabriele Lang-Czedik

 

 

Er sitzt im Gefängnis, weil er pädophil ist: Kleine Kinder hat er sexuell belästigt.

Das gilt auch im Knast noch als unterste Kategorie. „Du bist kein Mensch mehr“, haben sie zu ihm gesagt - sogar dort noch - und ihn entsprechend fertig gemacht…

Dabei ist er ein sensibler junger Bursch. Ich habe ihn kennen gelernt, früher schon, wie er noch frei war…

 

Was heißt da Rechtfertigung aus Gnade, fragen sich viele. Das Herzstück evangelischen Glaubens…Heißt es: Ist schon o.k., was er getan hat? Kein Problem? Ist es eine Rechtfertigung für alles, was wir getan und angestellt haben? Ist es vielleicht sogar ein Blanko-Schein für alle Untaten, die wir noch tun könnten, einzeln und weltweit?

 

Das werde ich manchmal besorgt gefragt, wenn wir über Luthers Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnade reden. Nein, sage ich, das heißt zuallererst einmal, dass der junge Mann im Gefängnis ein Mensch bleibt, egal was er getan oder nicht getan hat. Ein Mensch mit dem Recht auf Würde, auf faire Behandlung, auf Gespräch und Zuhören wie jeder andere auch.

 

Das Gleiche gilt für mich selber: Ich bleibe ein Mensch, egal, was mir gelungen oder misslungen ist, egal, was ich vergessen oder verkehrt gemacht habe, auch wenn es bisweilen schlimme Folgen hat. Vor Gott bleibe ich ein Mensch mit Würde, geliebt, ein Kind Gottes.

 

Aus diesem Vertrauen leb´ ich und kann ich immer wieder neu anfangen: Das Erbarmen Gottes steht zu mir, steht hinter mir, steht auf für mich gegen alles, was mich niedermachen will – in mir und um mich.

 

Und ich sehe diese Gnade Gottes auch geradezu leuchtend hinter jedem Menschen stehen, der mir begegnet. Sie steht zu ihm, sie steht auf für ihn gegen alles, was ihn niedermachen will. Denn die Maßstäbe sind hoch und die Urteile beim Scheitern schnell gefällt.

Du sollst ganz locker sein, aber keinen Fehler machen.

Du sollst dich voll einsetzen, aber kein Burn Out kriegen.

Du sollst reich werden, aber kein Ding drehen.

Du sollst jung und schön sein noch im Alter, aber ganz natürlich.

Du sollst sexy sein, aber immer korrekt.

Du sollst Schlupflöcher im Leben nutzen, aber Dich nicht erwischen lassen.

und so fort, niemand, der da nicht scheitert, so oder so.

 

Viele von unseren Fehlern haben Folgen für uns selbst und für andere. Das wird kein aufrichtiger Mensch leugnen. Auch die Leute im Knast geben es ehrlich zu. Vielen tut es sehr leid, was sie getan haben. So wie es mir leid tut, wenn ich andere enttäuscht oder ihnen wehgetan habe.

 

Rechtfertigung aus Gnade heißt für mich nicht: Vor anderen oder vor mir selber rechtfertigen, was ich angestellt habe, sondern wissen: Vor Gott bleib ich ein Mensch mit meiner Würde trotz allem. Grad dadurch kann ich versuchen, meine Fehler wieder gut zu machen und es nächstens besser angehen. Und grade, weil ich weiß, dass ich selber aus der Gnade lebe, kann ich mich auch nicht erheben über Menschen, die nur etwas offensichtlicher gescheitert sind als ich.

 

Und daraus kommt ein neues ethisches Handeln: Schau den Menschen vor dir an wie einen Bruder, wie eine Schwester – mit ihrer ganzen Würde – oft mitten in ihrer ganzen Verzweiflung! Gott selbst steht mit seiner ganzen Liebe hinter ihr! Schau mit dem Herzen hin! Schau, was sie braucht oder er! Vergiss das Zubehör: Kein Reise-Pass gibt oder nimmt jemandem die Menschenwürde. Keine Scheckkarte, keine Hochzeits- oder Scheidungsurkunde, keine ärztliche Diagnose und kein Strafregisterauszug ist entscheidend. Sondern Gottes Gnade ist das Siegel auf der Würde jedes Menschen, auch auf meiner. Das macht mich froh.