Das Evangelische WortSonntag, 05. 03. 2006, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
von Pfarrer Olivier Dantine
Österreicher
und Verantwortung – das ist ein schwieriges Verhältnis. Geraten
österreichische Sportler unter Doping-Verdacht, sind die anderen
schuld, sind es Intrigen gegen Österreich, sind wir das Opfer. Das
hat doch nichts mit dem eigenen Verhalten zu tun, dass der Verdacht
noch immer besteht, die anderen sind es, die sind so böse zu uns. Verantwortung
wegschieben, die Schuld beim anderen zu suchen und nicht bei sich
selbst, auch in dieser Disziplin ist Österreich einer der heißesten
Medaillenkandidaten. Diesen Eindruck habe ich, wenn ich ein wenig in
unsere Vergangenheit schaue: Dass
Österreich ein Opfer der Nationalsozialisten war, konnten wir der
Welt erfolgreich weismachen. Die Welt war dann aber gemein zu uns,
als sie vor 20 Jahren gegen einen Bundespräsidenten eine „Campaign“
lanciert hat. Damals hieß es nicht: Wie geht er mit seiner
Verantwortung um, sondern: „Wir Österreicher wählen, wen wir
wollen.“ Und
heute? Wir tragen doch keine Verantwortung dafür, dass Millionen
Kinder jedes Jahr verhungern, dass täglich tausende an AIDS
sterben, weil in vielen Ländern die nötigen Medikamente fehlen.
Wir sind doch Spendenweltmeister, sollen doch die anderen ihre
Verantwortung wahrnehmen, sie, die ganz reichen Länder sind doch
schuld! Und
du, glückliches Österreich? Bist du sicher, dass du nicht
irgendwann aus dieser Illusion eines Paradieses, aus der Insel der
Seligen vertrieben wirst? Gott rief nach dem Menschen: „Wo bist du?“
Der antwortete: „Ich hörte dich kommen und bekam Angst,
weil ich nackt bin. Da habe ich mich versteckt!“ „Wer
hat dir gesagt, dass du nackt bist?“, fragte Gott. „Hast du etwa
von den verbotenen Früchten gegessen?“ Der Mensch erwiderte:
„Die Frau, die du mir an die Seite gestellt hast, gab mir davon;
da habe ich gegessen.“ Gott
sagte zur Frau: „Was hast du da getan?“ Sie antwortete: „Die
Schlange ist schuld, sie hat mich zum Essen verführt!“ Das
Ende dieses Dialogs ist bekannt: Adam und Eva werden aus dem Garten
Eden vertrieben. Das Paradies ist für uns Menschen verloren. Nicht,
wie leider oft behauptet wurde, weil der Mann der weiblichen Verführungskunst
erlegen ist. Nein, der Mensch hat das Paradies verloren, weil er
nicht fähig war, Verantwortung zu übernehmen. Gott
redet uns Menschen an, er fragt uns: „Wo bist du?“ Und der
Mensch antwortet nicht: „Hier bin ich“, oder „Ja, ich
war’s“, er übernimmt mit seiner Antwort nicht Verantwortung,
sondern er weicht aus: „Die Frau ist Schuld“, sagt Adam, „sie
hat mir die Frucht gegeben“, „Nein“, stimmt Eva in dieses Lied
ein, „die Schlange ist schuld, sie hat mich verführt.“ „Wo
bist du?“, fragt Gott auch mich. Und ich höre diese Frage, ich
lese die Geschichte von der Vertreibung Adams und Evas aus dem
Paradies und weiß: Ich kann dieser Frage nicht ausweichen, auch
wenn ich es versuche. Auch ich werde in die Verantwortung gerufen für
das, was in der Welt geschieht. Da kann ich nicht sagen: „Was
haben die verhungernden Kinder mit mir zu tun, sollen doch die
anderen ihren Lebensstil ändern, was geht mich die Klimaerwärmung
an, sollen doch die anderen auf das Auto verzichten, ich brauche
es.“ Die
Welt zu verändern, das beginnt bei mir selbst, im Kleinen, das
beginnt damit, dass ich der Frage Gottes: „Wo bist du?“ nicht
ausweiche, sondern Verantwortung übernehme. Leicht ist das nicht,
es schmerzt auch, weil ich mich selbst und mein Leben dabei immer
wieder in Frage stellen muss. Aber
was ich gewinnen kann ist viel mehr als ich riskiere: Wenn auch das
Paradies für immer verloren ist kann ich doch mit vielen anderen
Menschen in den Ruf einstimmen: „Eine andere Welt ist möglich“.
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