Das Evangelische Wort

Sonntag, 14. 05. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Superintendentin Luise Müller (Innsbruck)

 

 

Warum mir heute Text und Melodie des Liedes „So nimm denn meine Hände“ nicht aus dem Kopf gehen, weiß ich nicht. Weil ich überarbeitet bin und jemand an meiner Seite möchte, der mich begleitet und einiges abnimmt? Weil ich älter und damit sentimentaler werde? Immerhin ist dieses Lied aus dem 19. Jahrhundert eines, bei dem Menschen, wenn sie es singen, schon mal Tränen in die Augen bekommen. Vielleicht kommt es mir auch in den Sinn, weil es das Lieblingskirchenlied meines Vaters war, dessen Todestag sich bald wieder jährt. Wie gesagt: Ich weiß es nicht, warum ich gerade dieses Lied vor mich hin summe. Tatsache ist aber auch: Die Lieder, die ich als Kind gelernt habe, die begleiten mein Denken und Tun, die schleichen sich immer wieder in mein Bewusstsein. Sie tun mir gut.

 

In unserer Evangelischen Kirche wird heute der Sonntag Kantate gefeiert. Ein Sonntag, an dem in den Gottesdiensten das Thema Musik und Glaube, Glaube und Lied thematisiert wird. Das ist  ein herausragendes Kennzeichen der evangelischen Gottesdienste: dass sie ein Ort sind, an dem miteinander gesungen wird. Schon allein deswegen ist es ein Gewinn, in die Kirche zu gehen. Auch wenn sich viele Menschen scheuen zu singen: singen tut einfach gut. Es verändert die Stimmung zum Positiven, es macht gesünder. In einem Gottesdienst, in dem die Musik sorgfältig behandelt wird,  die Lieder singbar sind und eine unterstützende Begleitung durch Orgel oder andere Musikinstrumente angeboten wird, da kann sogar die Predigt mal etwas schlechter ausfallen: ich werde diesen Gottesdienst trotzdem bereichert verlassen.

 

Natürlich weiß ich, dass Musik nicht nur positive Aspekte hat. Sie kann verwendet werden um Menschen zu verhetzen. Sie kann krank machen, dort, wo sie in Lärm ausartet. Bestimmte Musik fördert möglicherweise auch die Gewalt. Auch Musik ist nicht vor Missbrauch geschützt.

 

Als Kirchenmusik ist sie Antwort auf Gottes Wort. Und im Gottesdienst wird ihr Festcharakter deutlich. Denn Musik gehört seit alters her zum Fest als den Ort, wo das Leben intensiver, bewusster, reicher, weniger alltäglich als sonst ist.

 

So nimm denn meine Hände und führe mich, bis an mein selig Ende und ewiglich. Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt. Wo du wirst gehen und stehen, da nimm mich mit. Das ist der Text der ersten Strophe des Liedes das mir durch den Kopf geht. Gottes Führung ist das Thema. Und dieses Thema ist reichlich unemanzipiert ausgedrückt. Aber diese simplen Worte in Verbindung mit der eingängigen Melodie rufen eine unwahrscheinliche Zuversicht hervor, ein großes Vertrauen. Das ist Glaubensgewissheit.

 

Wahrscheinlich ist das heute für mich wichtig: Glaubensgewissheit zu spüren. Und offensichtlich nicht durch analytische Bibellektüre und theologische Auseinandersetzung sondern durch emotionales, spirituelles Reagieren auf Musik.

 

Es hat bei allen Erklärungsansätzen immer noch etwas Geheimnisvolles, von Musik berührt zu werden. Noch dazu von selbst gesungener Musik. Ich finde meinen Ton und mein ganzer Körper gerät in Schwingung. Es ist wie eine Umarmung, wie ein Streicheln. Wie ein zu mir Finden und gleichzeitig von mir Befreit werden. Es tut gut. Meinem Körper, meinem Geist, meiner Seele. Es überwältigt mich immer wieder: Und ich finde darin Gott ganz nahe, schon jetzt. Heute.