Das Evangelische Wort

Sonntag, 21. 05. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Dr. Christoph Weist

 

 

„Für Erwachsene ist Respekt eine Einbahnstraße.“ Eine bittere Feststellung, die jüngst in Dornbirn auf einer Tagung über gelebte Demokratie zu hören gewesen ist. Wie wahr! Wahr ist aber auch, dass diese Erfahrung keineswegs allein auf das Verhalten älterer Menschen gegenüber Jugendlichen zutrifft. Auch unter Erwachsenen selbst wird Respekt nur allzu oft als Einbahnstraße gesehen. Und natürlich auch zwischen Staaten und Religionen. Aber bleiben wir bei den einzelnen Menschen.

 

Die Vorliebe für Ordnungen mit einem konkreten Oben und Unten, mit Menschen, die „anschaffen“, und solchen, die – auf irgend eine Art – zu „gehorchen“ haben, diese Vorliebe scheint unausrottbar zu sein. Und je nach der Geschichte einer Gesellschaft, sei sie feudalistisch bestimmt wie die österreichisch-ungarische oder revolutionär wie die französische oder ein Mittelding wie die deutsche, ist diese Vorliebe mehr oder weniger ausgeprägt. Aber sie ist da.

 

Wie selbstverständlich wird Respekt eingefordert in der Staats- und Beamtenhierarchie, in den Betrieben und Firmen, aber umgekehrt nur selten gewährt. So sagen Höflichkeitsformen wie etwa die Frage, wer wen zuerst unbedingt zu grüßen hat, viel darüber aus, was in einer Gesellschaft unter Respekt verstanden wird. Und woher weiss ich, ob der kleine Bub, der von seinem Sitzplatz in der Straßenbahn nicht aufsteht, nicht einen mindestens eben so schweren Tag hinter sich hat wie ich? Oder ist es wirklich witzig, wenn im Fernsehkrimi die flotte Kommissarin ihre Sekretärin mit einem lächerlichen Spitznamen anredet. Ganz zu schweigen vom rüden Umgang mit Verdächtigen, die sich dann später als schuldlos erweisen. Eigentlich noch niemals habe ich dafür eine angemessene Entschuldigung gehört. Die Unschuldsvermutung, auch in einem spannenden Unterhaltungsfilm, mag umständlich erscheinen, sie ist aber ein kostbares Gut europäischen Rechtsdenkens. Übrigens gehört sie unbedingt dazu, wenn von der Verteidigung „westlicher Werte“ die Rede ist. Denn auch sie hat mit Respekt zu tun, mit dem Respekt, den Menschen einander schulden, und der - um des Himmels Willen - keine Einbahnstraße ein kann.

 

Warum sich ein Kirchenmann für so etwas echauffiert? Wie gesagt, er tut es um des Himmels Willen.

 

Dass Kirchen sich gern mit Fragen der Humanität und des menschenwürdigen Umgangs miteinander befassen, hat natürlich seinen Grund. Ich weiß, in der langen Geschichte des Christentums ist da leider vieles anders gelaufen, aber seit ein paar hundert Jahren hat ein sorgfältigeres Lesen in der Bibel klar gemacht: Ohne Respekt vor ausnahmslos jedem Menschen geht es nicht. Denn nach christlichem Glauben gehört der Mensch ganz eng zu Gott, er ist sein Ebenbild. Das kann nicht oft genug gesagt werden.

 

Und daher kann es zwischen Menschen kein Gefälle geben, auch wenn sie von Geschlecht, Alter, Herkunft oder Aussehen noch so verschieden sein mögen. Ja, die Überzeugung, dass alle Menschen Gottes Ebenbild sind, ist eine bewusste „Gleichmacherei“, ein Gleich machen von Geschöpfen, die nur zu oft ungleich, das heißt ungerecht und unfair behandelt werden.

 

Diese Gleichmacherei leistet sich der christliche Glaube. Das kann man ruhig illusorisches  „Gutmenschentum“ nennen. Wichtig ist, dass dort, wo die Vorliebe für alte Ordnungen verblasst, wo die Einbahnstraße aufgehoben und Respekt nach beiden Richtungen selbstverständlich ist, das Leben lebenswerter wird. Für Jugendliche, für Erwachsene, zwischen Staaten und Religionen. Und wichtig ist, dass es das ist, was Gott gewollt hat.