Das Evangelische Wort

Sonntag, 28. 05. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrerin Johanna Zeuner

 

 

„In einer Zivilisation ohne Schiff versiegen die Träume.“ Dieser Satz des postmodernen Philosophen Michelle Foucault begleitet mich seit einiger Zeit – „In einer Zivilisation ohne Schiff…?“

 

Vor einigen  Wochen war ich auf einer ganz selbstverständlich ökumenischen Konferenz in Dortmund. Citykirchenprojekte trafen und vernetzten sich. In Österreich gibt es bisher eines, in Linz unter dem schönen Namen ‚Urbi et Orbi’  mit dem sachlichen Untertitel ‚Kircheninfocenter’. Citykirchenarbeit - eine Bewegung, die aus der Not geboren ist.

 

In deutschen Innenstädten gab es vor ca. 20 Jahren plötzlich seelenlose Kirchen - kein Mensch wohnte mehr in der Innenstadt, man musste sich etwas einfallen lassen. Citykirchenarbeit : Arbeit am Passantenstrom - Aufnahme von Themen, die der Zeit auf der Zunge liegen: Gottesdienst für Verliebte am Valentinstag und Gottesdienst für Getrennte und Geschiedene auch. Alles zu seiner Zeit.

 

Ein roter Teppich wird ausgerollt, ganz gegenständlich den Menschen, die vorübergehen, die sonst vorbeigehen würden an dem was wir als Kirchen noch sind. „Treten sie ein“ titelte eine Wiedereintrittskampagne in Nürnberg vor einigen Jahren und rollte eben jenen roten Teppich von der Straße in ihr Kirchenportal. Und es passierte und passiert bei dieser Arbeit tatsächlich: Menschen treten ein - wenn nicht gleich in die Institution so doch in das Gebäude oder Angebot das gerade läuft, Kirche zum Versuchen, Tasten, Wiederentdecken.

 

Stellen sie sich vor, sie betreten einen weiten, weißen, hohen Raum der ist leer, Sonne ruht in ihm, erst langsam beginnt er sich zu füllen. Menschenstimmen. Dann wird es still. Einer spricht.  Er beginnt zu singen. Raum. Ruhe. Wandel.

 

Einer sagt: „Christus ist unser Friede“ (Eph 2,16). In diesem Satz wendet sich die Welt. Licht. Land. Ein Mensch hält einem anderen die Tür auf. Der dem Nächsten. Neuland.

                                                                                                                      

...Citykirchenarbeit ist so ein Raum, Versuchsraum, experimenteller Raum - Neuland für Suchende. Alte Kirchen werden zum neuen Erfahrungsraum. Auf der ökumenischen Konferenz vor drei Wochen haben wir Citykircheprojekte im Ruhrgebiet besucht. Die Stadtkirche in Unna zum Beispiel, eine alte gotische Hallenkirche, deren Altarraum  ausgeräumt und freigeräumt ist und durch ein Lichtspiel belebt wird. An den Wänden Gobelins von EmigrantInnen. So wird eine ehemals verschlafende Kleinstadtkirche zum Gedankenraum, Ruheraum, mittigen Raum  in einer ehemaligen Kohlebergbaustadt- auch für die weitere Region.

 

Grundsätze der Citykirchenarbeit sind längst auch aufs Land gewandert, weil unsere Leitkultur städtisch geworden ist. Zu den Grundsätzen einer gelingenden Citykirchenarbeit gehören offene Kirchentüren und offene Menschen. Das Zauberwort lautet ‚Niedrigschwelligkeit’, und das meint wie der Präses der westfälischen Kirche Alfred Busse in seinem Grußwort betonte „nicht Oberflächigkeit, sondern punktuelle Begegnung mit Menschen und ihren existenziellen Fragen“. Dazu gehört auch eine offensive und ideenreiche Öffentlichkeitsarbeit, ebenso wie ein Zeitbewusstsein, das Kirche vertritt.

 

Mittagsgebete für Gestresste und Touristen, stehen mittlerweile auf der Tagesordnung vieler Innenstadtkirchen, und werden angenommen. Christnacht, Bibelnacht , Osternacht erfahren eine Renaissance, ein neues liturgisches Bewusstsein auch unter uns Protestanten fällt ebenfalls in diese Kategorie.

 

Christnacht, Osternacht ..., Lange Nacht !

Am 9.Juni stehen in Wien und Linz die Türen der Kirchen weit offen. Und innen drin tobt das Leben. Ganz ungewohnt - liest man das Programm quer, weiß man was Citykirchenarbeit meint.

Ich wünsche mir, dass ein wenig von dieser Langen Nacht Tag wird - denn: „In einer Zivilisation ohne Schiff versiegen die Träume“.