Das Evangelische Wort

Sonntag, 04. 06. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

Von Superintendent Dr. Gerold Lehner

 

 

Wenn es so ist, wie in diesen Tagen: es regnet, dann kommt wieder die Sonne kurz durch, es ist schwül und es dampft vom nassen Boden her - dann ist es angenehm, wenn eine leichte Brise diese drückende Atmosphäre in Bewegung bringt.

 

Auf der anderen Seite hat dieses Lüfterl, dieser Wind auch etwas bedrohendes, wenn er sich zum Sturm auswächst, wenn er die Bäume biegt bis an ihre Belastbarkeit und darüber hinaus.

Diese Naturgewalt ist ungreifbar. Das Wasser ist auch so eine Naturgewalt, aber man kann doch ein wenig damit umgehen, Dämme bauen und Entlastungsbecken.

 

Aber mit dem Wind, wie soll man das machen? Da schaut man durch die Finger.

 

Es ist von daher nachgerade spannend, dass die Christenheit für jenes geheimnisvollste Phänomen, die geheimnisvollste Erscheinung Gottes das Bild des Windes gefunden hat.

 

Der Geist Gottes, jene ungreifbare und doch wirkliche Wirkungsweise Gottes, wie ist sie zu glauben, wie ist sie anschaulich zu machen? Man schaut doch dabei im wahrsten Sinne des Wortes durch die Finger?

 

Das war am Anfang auch schon so. Man hat gemerkt: da ist etwas. Aber man konnte es nicht greifen. Es war nicht eindeutig, und so sind auch die Reaktionen sehr unterschiedlich.

 

„Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle, die Jüngerinnen und Jünger Jesu, an einem Ort beisammen. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.

 

(…) Und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist, und fingen an  in anderen Sprachen von Jesus zu erzählen, wie es ihnen der Geist gab. (…)

 

Die dabei waren entsetzten sich aber alle und sprachen einer zu dem anderen: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.“ (Apg. 2, 1-13 in Auswahl)

 

Was will das werden? Das ist eine gute Frage. Das war die Frage.

Was da geschieht, das war und ist immer neu der Anfang der Kirche.

Am Anfang der Kirche steht Begeisterung.

Der Geist, der in Bewegung setzt; der die Herzen weit werden lässt, jubeln lässt.

Am Anfang steht nicht die Ordnung, nicht die Institution. Ordnung und Institution sind wichtig, aber sie kommen nachher und sie haben dienende Funktion. Sie können der Begeisterung Struktur geben, aber sie können sie nicht hervorbringen. Das ist im Übrigen eine Lektion,  die wir als die Leiter der Institutionen immer neu zu lernen haben.

 

Am Anfang der Kirche steht Begeisterung. Da geht es nicht um Fanatismus, um Durchsetzung von Interessen. Das passiert, wenn der Geist abhanden kommt. Wenn man anstelle des Geistes Gottes den eigenen Willen setzt und durchsetzen will. Aber wo der Geist Gottes ist, da ist Freiheit, da ist Begeisterung über die großen Taten Gottes.

 

Wo der Geist Gottes ist, da ist Geistesgegenwart.

 

Das Gegenteil der Geistesgegenwart ist die Allgegenwart der Angst, die bindet und unfrei macht, uns zu mehr und mehr drängt, ohne doch je Erfüllung zu erreichen.

 

Geistesgegenwart, das ist es, was ich mir wünsche für unsere Herzen, für unsere Kirchen, für unser Land. Die Allgegenwart des Geistes und nicht die Gegenwart der Angst.

 

Begeisterung ist es, was ich mir wünsche für mich und unsere Herzen und unsere Kirchen und unser Land. Nicht Machtpolitik, nicht Interessenspolitik, weder im eigenen Leben noch in der Arbeit noch in der Kirche, noch in der Politik.

 

Das ist Pfingsten. Das ist immer aufs Neue die Geburt der Kirche.

Und Sie fragen vielleicht: aber der Geist, er weht doch wo er will, er ist doch nicht zu fassen, nicht zu haben und nicht zu halten?

 

Die alte Kirche hat das gewusst. Und deshalb hat sie immer aufs Neue gebetet und gerufen: Veni creator spiritus! Komm, Schöpfer Geist!

 

Und sie hat dabei die Arme und den Blick gehoben. Denn sie hat gewusst: wenn wir ihn bitten, dann kommt er, der Ungreifbare und doch Wirkliche, der große Verwandler der Herzen.

Der Wind, der weht, wo er will.