Das Evangelische Wort

Sonntag, 25. 06. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

„In den Händen des Meisters“

von Pfarrer Martin Müller, Waiern

 

 

Von einer bewegenden Begegnung mit Jesus, die das Leben verändert und bei Nathanael Gaben wachruft, erzählt Johannes in seinem Evangelium.

 

Philippus findet Nathanael und spricht zu ihm: „Wir haben den gefunden, von dem die Propheten sprechen: Jesus, den Sohn des Josef aus Nazareth“. – „Was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?“, antwortet Nathanael. „Komm und sieh“, sagt Philippus.

 

Als Jesus Nathanael kommen sieht, sagt er: „O, ein rechter Israelit, ein aufrichtiger Mann!“ - „Woher kennst du mich?“, fragt Nathanael. „Noch bevor Philippus dich angesprochen hat, sah ich dich unter dem Feigenbaum“, sagt Jesus. „Meister, du bist wirklich Gottes Sohn!“, ruft Nathanael.  „Du wirst noch größere Dinge zu sehen bekommen!“, sagt Jesus. (Joh 1, 45 - 50)

 

In unserer Kirche gibt’s eine kleine Orgel, die zum Gotteslob einlädt und unsere Gottesdienste musikalisch bereichert. Es wird von den Leuten geschätzt, wenn unsere beherzten Musikerinnen am Sonntag den Gesang mit der Orgel begleiten, oder wenn sie mit ihr ins Lob der Instrumente einstimmen. Weil Singen und Musik das Herz berühren und Orgelklänge für viele zur kirchlichen Feier dazugehören.

 

Aber unsere Orgel ist eine kleine Orgel, wie sie in Landgemeinden öfter zu finden sind: mit ihren Manualen und Registern hat sie nur einen begrenzten Umfang, große Konzerte oder gar Kantaten lassen sich auf ihr nicht begleiten. Und so wurde sie selbst von guten Organisten immer wieder einmal unterschätzt, unsere kleine Orgel. Manche haben sogar extra ein elektronisches Keyboard mitgebracht, wenn sie Lieder zu begleiten oder Chorgesang zu unterstützen hatten.

Und als es dann drum ging, die Orgel zu renovieren, waren selbst einige unter uns unsicher, ob das bestehende Instrument überhaupt renovierungswürdig ist.

 

In dieser Unsicherheit hat mich ein Erlebnis besonders beeindruckt: aus dem benachbarten Ausland kam ein bekannter Musiker und Komponist für einige Monate zu uns und wohnte auf einer Berghütte. Er hatte sich für ein Kompositionsprojekt aus dem Norden in die Stille der Kärntner Bergwelt zurückgezogen und in dieser Zeit immer wieder unsere Gottesdienste besucht. Bescheiden und unaufdringlich hat er sich im Hintergrund gehalten, aber bevor sein Aufenthalt zu Ende ging, hat er angeboten, am Sonntag die Orgel zu spielen.

 

Ich werde nie vergessen, wie unsere kleine, schlichte Orgel unter den Händen des Meisters zu einem beeindruckenden Klangdenkmal emporgewachsen ist und das Gotteslob zu einem echten Hörerlebnis hat werden lassen: vom zarten Pianissimo der Flötenstimmen bis hin zum kraftvoll brausenden Fortissimo aller Register, vom langsamen, getragenen Adagio bis zur  lustig-fröhlichen Leichtigkeit der feinen Klänge. Eine kleine, schlichte Orgel – unter den Händen des Meisters kann sie ihre Möglichkeiten zur Entfaltung bringen.

 

Als Nathanael Jesus begegnet, ist das für ihn eine ganz besondere Erfahrung: da ist einer, der ihn als Mensch in seiner Eigenart und in seinem Charakter ernst nimmt. Der nicht urteilt, sondern wahrnimmt. Der Offenheit, Ehrlichkeit und Geradlinigkeit schätzt. Und Nathanael hat das Gefühl, ich werde erkannt, meine Begabungen werden wahrgenommen und zugleich werde ich geliebt und geschätzt. Und das macht ihn stark. Und weil Jesus ihm zutraut, einer seiner engsten Freunde und Mitarbeiter zu werden, weil er ihm begegnet wie einer, der ihn kennt und liebt, wächst Nathanael in seinen Begabungen und wird ein Apostel nach dem Herzen Gottes.

 

Die Tradition setzt ihn später mit dem Apostel Bartholomäus gleich, der auch nach der Auferstehung mit den übrigen die Jesusbewegung weiter trägt.

 

Menschen, die sich in die Hand ihres Schöpfers und Erlösers begeben und seinem Willen folgen, werden stark und entdecken oft ungeahnte Möglichkeiten und Begabungen, die durch die Begegnung mit dem Evangelium erst entdeckt werden und zur Entfaltung kommen. Vielleicht werden Sie selber davon überrascht?