Das Evangelische Wort

Sonntag, 23. 07. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

                        

von Mag. Barbara Knittel

(Feldkirch, Vorarlberg)

 

Die Wärme, die Farben, immer wieder der blaue Himmel. Ein ganz besonderer Sommer ist das jetzt! Mir kommen dazu Bilder in den Sinn – wie sie z.B. Karl Heinrich Waggerl in seinem Wiesenbuch beschreibt: "Oft liegt im Sommer wochenlang eine heiße Wolke von Gerüchen über den Beeren. Es riecht nach Kräutern, nach zerstäubter Erde. Die Zeit wächst über mich hinaus. Hier bin ich tausend Jahre alt und im Wesen nicht mehr verschieden von der Luft, vom Gras, vom Gestein der Berge."

 

Fast eins mit dem Sommer - und doch hat Waggerl diese Zeilen in einer schweren Zeit geschrieben, in der sich der 2. Weltkrieg angekündigt hat.

Hat er das ausgeblendet oder hat er eine merkwürdige Gleichzeitigkeit erlebt? Einen wundersamen Sommer und zugleich einen heranrückenden Krieg?

 

Ähnlich, und doch im Kontrast dazu ein anderes Sommergedicht von Ingeborg Bachmann. Mitten im Krieg, mitten im Sommer schreibt sie als 19-jährige:

Zwischen Schlaf und Träumen / In üppigen Wiesen / Wandert mein Blick auf / in die unendlichen Höhen./ Welch ein schäumendes Leben! Wolke um Wolke entschwebt / Wie die glühenden Stunden. / Die werden versinken / Mitten ins dunkle Weh.

Schäumendes Leben bricht für sie um, ins dunkle Weh. Kriegserfahrung mitten im aufblühenden Leben des Sommers.

 

Wenige Jahre später, schon nach Kriegsende schreibt sie: "Der Krieg wird nicht mehr erklärt, sondern fortgesetzt. Das Unerhörte ist alltäglich geworden. Der Held bleibt den Kämpfen fern. Der Schwache ist in die Feuerzonen gerückt." Wie eine Visionärin kommt sie mir da vor. Auch jetzt in diesem hellen Sommer gibt es Krieg, anders gesagt, setzt sich Krieg fort. Die so genannten Helden bleiben in ihren Büros, zetteln in Israel und im Libanon einen Krieg an oder unterstützen ihn und die Schwachen rücken in die Feuerzone vor. Dabei denke ich an Kinder, die um ihre Kindheit gebracht werden, an Frauen und auch Männern, deren Häuser zusammenbrechen, die in diesem Chaos umkommen.

 

Die Schönheit des Sommers und zugleich Krieg, auch wenn er für uns hier nicht so hautnah ist. An diese Gleichzeitigkeit kann ich mich einfach nicht gewöhnen. Vielleicht deshalb, weil ich mich selbst noch dunkel an die Bombennächte meiner Kindheit erinnere. Von mir und auch von vielen anderen weiß ich,  da bleibt etwas Brüchiges zurück, genau so, wie Ingeborg Bachmann das beschrieben hat. Das Vertrauen ins Leben ist nicht mehr selbstverständlich. Die Helligkeit des Sommers trübt sich plötzlich ein und das kann sich mit einer alten Hoffnungslosigkeit verbinden.

 

So paradox das auch ist, zugleich erinnere ich mich an ein uraltes Wort, das ausgerechnet in der langen Geschichte Israels so bedeutsam war. Ich denke an den Schalom. Im Deutschen übersetzt man das mit 'Friede'. Als man versucht hat, die hebräische Bibel, also das alte Testament zum ersten Mal ins Griechische zu übersetzen, brauchte man 20 Worte um der Bedeutungsfülle dieses Wortes gerecht zu werden. Schalom ist kein friedvoller Zustand, keine Lebensversicherung gegen schwere Leiderfahrung. Eher meint es eine aufblitzende Gotteserfahrung womöglich mitten in schwierigen Konflikten. Heilendes und Lösendes, Wärmendes und Helles - trotz allem.

Über Jahrtausende hinweg hat der Gedanke an den Schalom eine Hoffnung wach gehalten. So wie mit dem Zuruf des Propheten Jesaja:

 

Schalom, Schalom, denen in der Ferne und denen in der Nähe. So spricht Gott, ich will sie heilen. (Jes.57/19)