Das Evangelische Wort

Sonntag, 06. 08. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

                        

von Oberkirchenrätin Dr. Hannelore Reiner (Wien)

 

 

Immer wenn sich der 6. August nähert und damit der Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima, fällt mir die Geschichte des japanischen Mädchens Sadako ein.

 

Ich hatte das Buch in der Bibliothek meiner Volksschule ausgeliehen. Es beschreibt die lange Krankheitszeit eines Mädchens, das an den Folgen des Atombombenabwurfs schwer zu leiden hatte und schließlich daran gestorben ist.

Die Geschichte lebt von der Spannung, in der einerseits die Krankheit des Mädchens trotz aller medizinischen Hilfe ständig fortschreitet und unweigerlich zum Tod führt. Demgegenüber klammert sich Sadako an eine alte japanische Vorstellung, die ihr hilft, den Kampf mit der Krankheit aufzunehmen. Sie faltet Kraniche, eine kunstvolle Handarbeit nach einer alten Vorlage. Die Kraniche helfen nicht bloß die langen und einsamen Tage und Nächte im Krankenbett zu verkürzen. Sie stehen auch symbolhaft für Freiheit und Fliegenkönnen, weit über alle Schmerzen und Ängste hinweg. In die gefalteten Flügel der Papierkraniche legt Sadako all ihre Sehnsucht und Hoffnung nach Leben und Überleben hinein. So werden die Kraniche zu Friedensvögeln, ähnlich dem Bild der Friedenstaube. 1000 Stück sollte Sadako falten, dann würde sie es schaffen, so ihre Vorstellung. Knapp vor diesem Ziel stirbt das Mädchen.

 

Auch wenn in diesem Kinderbuch der historische Hintergrund von 1945 und das tödliche Grauen des Atombomben-abwurfs nur angedeutet sind, eines wird deutlich: Was ein einziger Knopfdruck zur Auslösung solch verheerender, todbringender Waffen bewirkt, braucht eine unendlich lange Zeit, um wieder heilen und verheilen zu können. Gegen die todbringenden bleiernen Vögel aus der Luft brauchen die papierenen Kraniche mit ihren zarten Flügeln Jahre und vielleicht Jahrzehnte, um neues Vertrauen wachsen zu lassen, oft erst nach Generationen. Krieg und Gewalt, erst recht Atomgewalt, werden niemals zur Lösung eines Konflikts beitragen, weder 1945 noch heute. Vielmehr gilt der Rat des Apostel Paulus, den er den Römern gibt: „Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Nehmt euch vor, allen Menschen Gutes zu erweisen. So weit es an euch liegt, tut alles, um mit jedermann in Frieden zu leben.“ (Röm. 12, 17-18)

 

Das sind die „Kraniche“, die wir alle falten können: Unser Einsatz für Frieden und Versöhnung im Kleinen und im Großen, in der Fürbitte, in der Politik und vor allem im Zusammenleben unter einander.

 

Nur auf diese Weise werden uns Menschen Flügel für ein neues und friedvolles Miteinander weltweit zuwachsen.