Das Evangelische Wort

Sonntag, 10. 09. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Krankenhauspfarrer Bernd Hof aus Innsbruck

 

 

Jede Wahl ist für mich eine Gewissensfrage. Denn da geht es ja darum, wer in den nächsten Jahren im Namen des Volkes, also auch in meinem Namen, Regierungsverantwortung tragen soll. Darum sind wir als Christen in diesen Tagen besonders herausgefordert, dem Wahlkampf aufmerksam zu folgen, damit wir dann in der Wahlzelle eine gut begründete Gewissensentscheidung treffen können.

 

Vor zwei Wochen hat ein Journalist Leute auf der Straße gefragt, welchen Eindruck sie vom Wahlkampf haben; da haben die meisten geantwortet, sie merken noch nichts davon. Na, das wird sich inzwischen wohl geändert haben: Von den Plakatwänden lächeln uns jetzt ja überall die Damen und Herren Spitzen- und anderen Kandidaten an, im Fernsehen folgt ein Interview dem anderen, und die Zeitungen bringen seitenweise Analysen, Gespräche und Meinungen - schließlich sind es ja nur mehr drei Wochen bis zur Nationalratswahl am 1. Oktober. Auch Verdächtigungen, zynische Bemerkungen und Beschimpfungen der Wahlwerbenden sind nicht ausgeblieben.

 

Nun, ich finde: Der Wahlkampf ist ein wichtiger Bestandteil jeder Demokratie. Zu echten Wahlen gehört eben, dass die Gruppen, die sich der Wahl stellen, sich bemühen, möglichst viele Stimmen zu gewinnen. Dazu müssen sie sich, ihre bisherigen Verdienste und ihre Vorhaben für die Zukunft möglichst positiv darstellen und auch klar machen, was sie von den anderen unterscheidet und warum sie meinen, dass die anderen Wahlwerber den bevorstehenden Aufgaben nicht so gut gewachsen sind wie sie selbst.

 

So ist mir wichtig, dass die Parteien Farbe bekennen und Profil zeigen, dass mir gesagt wird, wen ich wähle und was ich wähle, wenn ich den einen oder den anderen meine Stimme gebe. Sachliche Argumente, aber auch persönliche Stellungnahmen gehören notwenig zum Wahlkampf, Meinungsverschiedenheiten sollen ausgetragen werden, und auch von den Schattenseiten der Konkurrenten möchte ich erfahren. Mein Informationsbedürfnis ist groß, denn ich möchte nicht irgendwen wählen, sondern gezielt und mit Verantwortung meinem Gewissen folgen.

 

So interessiere ich mich für die Vergangenheit der Politikerinnen und Politiker, für ihre Leistungen und ihre Schwächen. Denn daraus kann ich doch bis zu einem gewissen Grad schließen, wie sie sich wahrscheinlich künftig verhalten werden. Noch wichtiger aber ist mir, zu erfahren, wie die wahlwerbenden Gruppen und Parteien sich den Problemen stellen wollen, die auf uns zukommen: Wie zum Beispiel soll es weitergehen mit unserem Gesundheitswesen, wo die Spitzenmedizin immer neue und immer teurere Möglichkeiten anbietet? Wie soll erreicht werden, dass junge und auch ältere Menschen Arbeit finden? Was können wir tun gegen Hunger, Gewalt und Krankheit in der Welt? Und wie kann bei uns die Verkehrslawine und die Ausbeutung der Natur in Grenzen gehalten werden?

 

Ich finde es unerträglich, dass Existenzfragen in diesem Wahlkampf eine so geringe Rolle spielen. Natürlich sind solche Fragen nicht mit einem Schlagwort zu beantworten. Aber sie werden unsere Zukunft bestimmen. Und ich bin überzeugt, dass die meisten Wählerinnen und Wähler sich dafür mehr interessieren als für die Fotos und das Privatleben der Politikerinnen und Politiker oder für irgendwelche griffige Werbe-Slogans.

 

Als Demokrat und Christ bin ich sehr empfindlich dafür, wer mich ernst nimmt und wer mich für dumm verkaufen will. Ich achte genau darauf, wer im Wahlkampf Verantwortung wahrnimmt und wer verantwortungslos mit Vorurteilen, Verdächtigungen und Tricks Stimmen gewinnen will: Schließlich glaube ich ja, dass Gott will, dass Recht und Ordnung herrschen sollen. Und die Volksvertreter sind verantwortlich vor dem Volk und vor Gott für das, was sie sagen und tun - vor den Wahlen und auch nachher. Darum ist für mich die Wahl eine Frage des Gewissens.