Das Evangelische Wort

Sonntag, 17. 09. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

„Alt und lebenssatt“

von Pfarrerin Christien Hubka

 

 

Abrahams Tod wird im ersten Buch Mose kurz und knapp mitgeteilt:

Und Abraham verschied und starb in einem guten Alter, als er alt und lebenssatt war, und wurde zu seinen Vätern versammelt. 1.Mose 25,8

 

Diese Todesanzeige für Abraham erzählt nicht von langem Leiden. Sie sagt auch nicht, dass er plötzlich und unerwartet verstorben ist. Die kurze Notiz zu Abrahams Tod erzählt etwas anderes: Er verstarb alt und lebenssatt. Lebenssatt – gesättigt mit Leben. Was für ein köstliches Wort!

Lebenssatt – nicht angefressen. Was für ein herrlicher. Nachruf!

 

In vollen Zügen gelebtes Leben geht diesem Zustand des Gesättigt-Seins voraus. So ein Leben umfasste Freud und Leid. Einer, der lebenssatt stirbt, hat gelacht und geweint. Er hat sich getrennt und versöhnt. Und manchmal gab es auch keine Versöhnung. Er hat Unrecht erlitten aber auch Vergebung nötig gehabt.

Ich hoffe, dass man auch von mir einmal sagen wird: Sie verstarb alt und lebenssatt.

 

Alt und lebenssatt stirbt Abraham – von Pflegenotstand vor seinem Tod ist nicht die Rede. Und es hat ihn wohl auch nicht gegeben. Die Bibel erzählt, dass seine Frau Sara schon vor ihm verstorben ist. Ein ganzes Leben ist sie ihm eine wunderbare Gefährtin gewesen. Viel haben sie erlebt. Mit Wehmut hat er sie begraben. Nach ihrem Tod hat Abraham sich dran gemacht, die neue Selbständigkeit zu gestalten. Ganz gegen die Gebräuche seiner Zeit hat er seine Großfamilie aufgelöst. Seine letzten Jahre verbringt er in einer Kleinfamilie. Das wird seine erwachsenen Kinder befremdet haben. Das hat wohl auch unter den Nachbarinnen und Nachbarn manches Kopfschütteln verursacht. Aber niemand hat ihm dreingeredet bei seiner Entscheidung.

 

Alt und lebenssatt – dazu gehört für mich, auch im Alter meine Lebensform selbst zu bestimmen. So, wie Abraham sich die Jahre seines Alters selber gestaltet hat, so können Seniorinnen und Senioren auch heute ihr Alter selber planen und gestalten und sie tun es auch:

 

Ein Taxifahrer in Hamburg hat mir die Geschichte seiner beiden Nachbarn erzählt: Als ihre Frauen kurz hintereinander versterben, ziehen die beiden Witwer gemeinsam in das eine Haus. Das andere verkaufen sie. Sie teilen die Kosten und die Hausarbeit und fahren zusammen auf Urlaub. Da plant ein Freundeskreis von Alleinstehenden eine Senioren-Wohngemeinschaft. Jeder wird seine eigene kleine Wohneinheit haben. Dazu wird es einen Bereich der Begegnung geben. Und gemeinsam werden sie sich die notwendigen Hilfen von außen finanzieren.

 

Auch das ist nicht neu. Schon im neuen Testament wird erzählt, dass sich die Alleinstehenden der Urgemeinde, meist waren es Witwen, im Alter zusammengetan haben. Die mit griechischem Hintergrund bildeten eine Gruppe. Die mit hebräischem Hintergrund eine andere. Sie haben miteinander gelebt und wurden gemeinsam von der christlichen Gemeinde versorgt.

 

In einem Modell der Diakonie geht es auch darum, dass Jung und Alt einander begegnen und miteinander leben: Demnächst werden in den oberen Stockwerken des Evangelischen Gymnasiums in Wien Wohneinheiten für Senioren eröffnet. So wird allein durch die gemeinsame Adresse schon eine Verbindung zwischen der jungen und der alten Generation hergestellt…

 

Von den Menschen der Bibel können wir lernen, das Alter als Lebensabschnitt zu schätzen, der gelebt und gestaltet werden kann – mit Fantasie und Freude, sodass auf der Todesanzeige eines Tages stehen kann: Sie verstarben alt und lebenssatt.