Das Evangelische Wort

Sonntag, 08. 10. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrerin Gundula Hendrich (Kitzbühel, Tirol)

 

 

Schon wieder eine. Die scharfe Falte in meinem Gesicht – die von der Nase zum Mundwinkel -hat Nachwuchs bekommen. Eine Querfalte Richtung Ohrläppchen.. Ja, leider ist es keine Morgenknitterfalte, die dann nach dem Duschen wieder verschwindet, nein, diese wird mir erhalten bleiben. Sie befindet sich übrigens in guter Gesellschaft - bei meinen Hexenhaaren, Sie wissen schon, diese schwarzen Damenbarthaare, die nach jedem Auszupfen borstiger werden. Davon hab ich mehrere, aber die sieht keiner, die hab ich im Griff. Die neue Falte nicht.

 

Darüber werde ich heute noch mit meiner Schwester sprechen. Mit ihr kann ich ganz herzlich über jeden neuen Befund von Alterserscheinung am Telefon lachen. Das hatten wir uns so vorgenommen: Wenn die Kinder aus dem Haus sind, dann nehmen wir uns Zeit, Schwesternzeit, und werden miteinander alt und schrullig. Die Zeit ist kostbar geworden, weil sie krebskrank ist und so pflegen wir die Schrulligkeit vorsätzlich und ganz besonders intensiv. Das geht gut mit ihr. Eine ihrer Schrulligkeiten ist ihre Ansage „Ich find’ mich gut“ - das kann ich von ihr hören, wenn jemand, so vor allem ihre Töchter, sie etwas peinlich finden, weil sie so verspielt ist.

 

Sie findet sich gut; so ein Satz erzählt trotz Krankheit von allen, die ihr so ein Selbstbewusstsein geschenkt haben.

 

Da ist ihr Mann, der sie zärtlich foppt und ihr zusichert, es zu genießen, ihren Dickschädel endlich ohne Haare richtig zu Gesicht zu bekommen, da sind die Kinder, die anbieten, dem zarten Flaum auf ihrem Schädel, der leider unterschiedlich schnell ganz sichtbar länger wird, einen coolen Haarschnitt zu verpassen. Zu Hause fliegt der Fiffi, wie sie die Perücke zärtlich nennt, ganz schnell an seinen Platz hoch oben im Bad, hoch genug, damit der Hund nicht damit spielt.

 

Sie findet sich gut – wenn sie das sagt, dann ist mir oft, als habe sie da einen an ihrer Seite, der sie trägt. Den, der uns zu seinem Ebenbild geschaffen hat, wie es ganz zu Anfang in unserer Bibel heißt. - „Stell Dir vor“, sagt sie vor ein paar Jahren, „auch mit Orangenhaut und Falten“. An diesen Gott, der uns zu seinem Bild geschaffen hat und das gut fand, glaubt sie, ja sie liebt und sucht diese Ebenbildlichkeit gerade dort, wo jemand nicht nur glatt und schön ist, sondern eben schrullig.

 

Diese Frau hat Kraft. Sie selbst geht in die Knie, wenn ein neuer positiver Befund kommt, wird leise und ernst, erzählt, dass sie mit der neuen Situation erst dann zurechtkommen wird, wenn sie sich auf einen Rhythmus zwischen Therapie und Frei einstellen kann. Ihre Heiterkeit bezüglich der Ebenbildlichkeit aller Menschen mit Gott wird radikal angefragt, wenn sich im Wartezimmer der Krebsstation die eigene Verletzlichkeit in den anderen Patienten und Patientinnen spiegelt. Kaum aushaltbar. Bis sie dann jemandem erzählen kann von dem Arzt mit den zwei verschiedenen Socken und anderen komischen Seiten der Menschen, die mit ihr therapiert werden. Dann wird sie frei, auch von den Apparatemonstern zu erzählen, den widerlichen Infusionen und ihren eigenen komischen Reaktionen.

 

Manchmal wird sie auch ganz still, schluckt Tränen. Dann ist mir, als habe sie die Nase voll von allem Sehen, von all der Ebenbildlichkeit und suche, greife nach Gottes Hand, schmiege sich hinein und ruhe aus – bis sie dann keck hinausschaut über seinen Handtellerrand und nach mir fragt. „Und Du?“ Das ist, als rücke sie ein Stück für mich, dort wo sie ist, und dann erzähl’ ich ihr von meiner lächerlichen, neu entdeckten Querfalte und schenk ihr, wenn es sein muss, auch die präzise Angabe meines Körpergewichts.