Das Evangelische Wort

Sonntag, 22. 10. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Mag. Gisela Ebmer

 

 

Am letzten Sonntag war ich mit ein paar Freunden bergwandern. Es war ein traumhaft schöner Tag und wir haben es sehr genossen, Zeit zu haben, die gute Luft und die Ruhe zu genießen. Irgendwann bei einer gemütlichen Pause hat sich ein Gespräch über das Cholesterin entwickelt. Wir hatten nämlich einen Arzt dabei und eine Freundin von mir nutzte die Gelegenheit, ihn zu befragen, was man tun kann gegen zu hohe Cholesterinwerte. Denn sie macht genug Bewegung, ist schlank und fit, ernährt sich gesund und dennoch passt irgendetwas nicht.  Unser Arzt meinte, vielleicht sei es einfach nötig, Stress abzubauen.

 

Mir ist dann eingefallen, wie viele Menschen in meinem Umkreis immer öfter über Stress klagen. Oder wie viele Menschen unter körperlichen Stress-Symptomen leiden, obwohl sie behaupten, gar keinen Stress zu haben. Und die Wirtschaft hat sich gut eingestellt auf diese moderne Krankheit. Unzählige Zaubermittel gegen Stress gibt es im Angebot, schnell geschluckt tritt angeblich sofort die Wirkung ein. Ein Urlaub im Wellnesshotel verspricht Entspannung, sodass man nachher wieder so richtig loslegen kann. Oft mit dem Erfolg, dass nach kurzer Zeit wieder alles beim Alten ist. Die Migräne und die Magenprobleme sind wieder da, der Blutdruck ist zu hoch und die ständige Müdigkeit macht zu schaffen. Denn die  Lebensumstände haben sich nicht geändert.

 

Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln. Auf grünen Auen lässt er mich lagern, zur Ruhstatt am Wasser führt er mich. Er stillt mein Verlangen.

 

Im Paradies haben Adam und Eva noch in dieser Einheit mit Gott und mit der Natur gelebt. Paradiesisch ist es ihnen da gegangen, wie das Wort schon sagt. Da gab's keinen Stress und keinen Leistungsdruck. Da gab's kein Nachdenken, was soll ich jetzt machen und wie geh ich's an, wie löse ich dieses Problem und wie kann ich am besten alle zufrieden stellen. Sie hatten noch nicht vom Baum gegessen, der ihnen die Erkenntnis von Gut und Böse gab. Erst mit dem Erkennen und mit dem Nachdenken darüber, was gut und böse ist, ging das Paradies verloren. Wir Menschen wollen alles gut machen, indem wir viel leisten und tüchtig sind, oder indem wir immer für alle da sind, stets hilfsbereit ohne auf die eigenen Grenzen zu achten. Und ich glaube, auch die Menschen, die in unseren Augen Böses tun, tun das in dem Bewusstsein, etwas Gutes zu tun. Auch Kriege werden geführt, um eine Verbesserung herbeizuführen – zumindest in den Augen der Anführer. Das Essen vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen wird daher auch oft als Sündenfall bezeichnet. Wir Menschen haben die Einheit mit Gott verloren. Wir spüren kaum mehr die Ruhe, die er uns schenkt, den natürlichen Rhythmus der Natur, den unser Körper noch wahrnimmt. Wir machen uns selber Stress: Unsere Gedanken wollen etwas Bestimmtes erreichen, unser Körper, der ehrlicher ist, jedoch zeigt uns, was wirklich zählt.

 

Wir könnten den Herbst dazu nützen, uns an der Natur ein Vorbild zu nehmen. Die Bäume verlieren ihre Blätter. Sie lassen los. Sie begeben sich zur Ruhe. Eine Pause ist nötig um wieder blühen und Früchte tragen zu können.

 

Wir Menschen können wieder lernen, ein wenig mehr diese Ruhe, die Gott uns schenkt und die unser Körper einfordert, genießen zu können. Wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich stehe, dann stehe ich, wenn ich gehe dann gehe ich. So lehrt eine alte buddhistische Weisheit.  Ruhe kann einkehren, wenn ich mit Körper, Geist und Seele bei der Sache bin, die ich gerade tu. Den Duft, den Geschmack, die Temperatur des Morgenkaffees wieder bewusst wahrnehmen statt schon an die heutigen Termine zu denken. In Gedanken leer sein und den Augenblick leben und ganz einfach spüren, wie Gott als guter Hirte für uns sorgt.