Das Evangelische Wort

Sonntag, 05. 11. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Oberkirchenrat Dr. Michael Bünker

 

 

Beim Propheten Jesaja steht (Jes 51,2f):

 

„Blickt auf Abraham, euren Vater,

und auf Sara, die euch gebar.

Er war allein, als ich ihn rief;

Doch ich habe ihn gesegnet

Und ihm viele Nachkommen geschenkt.“

 

Im Wiener Kunsthistorischen Museum ist derzeit eine Ausstellung zu sehen, die die wichtigsten Werke von drei Malern aus Venedig des 16. Jahrhunderts zeigt. Venedig, die größte Handelsmacht der damaligen Welt, befand sich in einer dramatischen Zeit des Umbruchs. Mehrere Wellen der Pestepidemie, zumindest zwei verheerende Großbrände, dazu kriegerische Auseinandersetzungen mit den christlichen Nachbarn im Westen und den muslimischen Nachbarn im Osten. Alte Verhältnisse lösten sich auf, das Neue war noch nicht erkennbar.

 

Auf diesem Hintergrund ist das Bild zu sehen, von dem ich erzählen will. Es stammt von Giorgione da Castelfranco, der von 1478 bis 1510 gelebt hat, und trägt den Titel „Die drei Philosophen“. Der Betrachter sieht ein zweigeteiltes Bild, auf der einen, der rechten Seite sind drei männliche Figuren zu sehen. Sie sind an ihrer unterschiedlichen Kleidung zu erkennen. Neuere Deutungen behaupten, dass hier drei antike Philosophen dargestellt sind. Daher auch der Titel des Bildes. Aber in modernen Gewändern! Sie erscheinen als Repräsentanten der drei Religionen, Judentum, Christentum und Islam. Giorgione – so die Kunsttheorie - wollte bewusst ein Bild zur Verständigung der drei monotheistischen Religionen malen. Aber dieses Thema war zu seiner Zeit nicht nur unerwünscht, sondern regelrecht verboten. So weicht er halt auf ein unstrittiges Thema aus, die drei antiken Philosophen, und versteckt gleichsam dahinter seine eigentliche Botschaft. Nur wer Augen hat zu sehen, kann’s erkennen. Der Giorgione-Code.

 

Was sagt er nun mit seinem Bild zum Verhältnis der drei großen Religionen? Dazu ist es notwendig, einen Blick auf die zweite, die linke Seite des Gemäldes zu werfen. Dort ist eine dunkle Höhle zu sehen und ausgerechnet aus dieser geheimnisvollen Dunkelheit fällt das Licht auf die drei Figuren auf der rechten Seite. So will Giorgione sagen, dass das Licht aus dem dunklen Geheimnis Gottes in gleicher Weise auf Judentum, Christentum und Islam fällt.

 

Judentum, Christentum und Islam. Die drei Religionen, die sich jede für sich auf Abraham berufen. Daher spricht man auch von der abrahamitischen Ökumene. Abraham und seine Frauen Hagar und Sara gelten als Urbilder des unbedingten Vertrauens auf Gott. Nur dieses Vertrauen trägt sie und lässt sie den Verheißungen Gottes glauben. Abraham vertritt seinen Glauben auf eine sehr eindeutige und klare Weise, aber er tut es nie gegen den Glauben anderer. Er baut seinem Gott einen Altar, lässt aber die Altäre der anderen daneben stehen. Abraham setzt sich unentwegt für den Frieden ein: in der eigenen Familie, in der Sippe, im Land zwischen den Königen der einzelnen Städte. So ist er zu einem Vorbild geworden für einen ganz eindeutigen Gottesglauben, der sich aber für das Zusammenleben verschiedener Religionen nicht als konfliktfördernd, sondern als friedensfördernd erweist.

 

Will Giorgione mit seinem Bild daran erinnern, dass es die gemeinsame Aufgabe der abrahamitischen Religionen ist, miteinander für Frieden und Verständigung trotz unterschiedlicher Glaubensüberzeugungen einzutreten? Ich finde es von daher sehr erfreulich, dass wir in Österreich mehrere Plattformen und Foren haben, in denen diese Religionen miteinander im Gespräch verbunden sind und wodurch sie gemeinsam gegen Verhetzung auftreten können.

 

Giorgione wusste noch nichts von Martin Luther. Und doch lebten sie zur selben Zeit. Einer Zeit des Umbruchs und der Veränderung. Und beide treten dafür sein nicht durch Verschärfung und Anheizung der Konflikte den Streit um die Wahrheit anzuheizen, sondern sie treten ein für Gewissensfreiheit, Verständigung, Friedfertigkeit und Gewaltlosigkeit. In dieser Tradition sehen sich auch die evangelischen Kirchen. Das Gespräch mit dem Judentum und dem Islam könnten sie sehr gut unter dem Bild Giorgiones führen im Kunsthistorischen Museum in Wien.