Das Evangelische Wort

Sonntag, 12. 11. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Peter Pröglhöf, Fachinspektor für den evangelischen Religionsunterricht in Salzburg, Tirol und Vorarlberg.

 

 

Im Psalm 139 heißt es: “Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich’s meine”.

 

Haben Sie sich schon einmal überlegt, wie viele Entscheidungen Sie täglich treffen könnten und wie vieles jeden Tag einfach automatisch abläuft?

 

Glücklicherweise laufen die Handgriffe morgens im Bad wie von selbst ab. Es wäre ja entsetzlich, wenn ich mir jeden Tag in der Früh wieder neu überlegen müsste, wo ich mich zu rasieren anfange. Was ich zum Frühstück esse, wie ich zur Arbeit fahre, was ich als erstes tue, wenn ich am Schreibtisch sitze, all das entscheide ich normalerweise nicht jeden Tag neu.

 

Gewohnheiten helfen mir. Ich könnte gar nicht alles jeden Tag neu entscheiden. Aber ich habe mich schon manchmal gefragt, woher diese Gewohnheiten kommen. Wie viel davon ist Erziehung, wie viel davon habe ich mir selbst einmal so angewöhnt und es hat sich im Laufe der Jahre bewährt?

 

Die Gewohnheiten bergen aber auch eine Gefahr. Bei manchen von ihnen merke ich erst viel zu spät, dass sie sich in Wahrheit gar nicht mehr bewähren, sondern dass sie schädlich für mich sind. Wenn ich mich jahrzehntelang falsch ernähre und zu wenig Bewegung mache, werden die gesundheitlichen Schäden vielleicht schon sehr weit fortgeschritten sein, bis mein Körper mich zwingt, sie zu bemerken.

 

Natürlich besteht ein Tag nicht nur aus dem ständigen Wiederholen von Gewohnheiten. Ich treffe ja auch täglich Entscheidungen. In letzter Zeit fällt mir immer stärker auf, dass bei vielen Menschen eine Frage die Entscheidungsfindung ganz stark beeinflusst: Wie kommt das an, was ich tue? Also nicht die Frage, die ich erwarten würde, wenn es um Entscheidungen geht: Was halte ich für richtig? Was entspricht meiner Überzeugung? Sondern nur noch: Wie stehe ich vor den anderen da?

Danach treffen Menschen im privaten Bereich ihre Entscheidungen - junge Leute, für die nur zählt, ob sie von den anderen als cool angesehen werden und Erwachsene, die sich ständig überlegen, was die Nachbarn denken könnten. Danach richten Politiker und Politikerinnen ihre Programme und ihr Auftreten aus, wenn nur noch zählt, wie etwas in den Medien ankommt, welche Frisur oder welche Garderobe Beliebtheitswerte steigern könnte, welches Spiel mit den Emotionen Schlagzeilen bringen könnte. Sogar in der Kirche spielen Überlegungen, wie sich Entscheidungen verkaufen lassen, und wie man da in der Öffentlichkeit dasteht, immer wieder eine große Rolle.

 

Mir kommen da die Fragen zu kurz: Was ist das, was meinen Überzeugungen entspricht? Was ist für mich und für meine Umgebung das Richtige? Was ist das Gute? Und in der Kirche würde ich die Frage erwarten: Was ist das, was Jesus tun würde? Wenn ich meinen Tagesablauf einmal unter diesen Fragen anschaue, komme ich wahrscheinlich drauf, dass ich viel mehr Entscheidungen treffen könnte, als ich das normalerweise tue. Ich kann meine Gewohnheiten einmal gründlich überprüfen: Muss ich eigentlich mit dem Auto zur Arbeit fahren und einer von Millionen Alleinfahrern sein, die im Stau stehen und die Umwelt vergiften? Oder kann ich nicht meiner Gesundheit und unserer Umwelt etwas Gutes tun und eine halbe Stunde länger unterwegs sein und mit dem Fahrrad fahren?

Muss ich eigentlich beim Einkaufen die Lebensmittel kaufen, die ich halt immer schon gekauft habe, oder kann ich nicht einmal darauf schauen, dass sie aus meiner Region kommen und nicht schon quer durch Europa transportiert worden sind?

 

Ich habe in meinem kleinen privaten Bereich viel mehr Entscheidungsspielraum, als ich im Alltag ausnütze. Und ich vermute, bei den großen Entscheidungen in Wirtschaft und Politik ist das im Grunde genauso. Da heißen die Gewohnheiten dann eben Sachzwänge, und es gibt viel zu wenig Kreativität und Mut, es einfach einmal ganz anders zu probieren und dabei nicht sofort zu fragen: Wie stehe ich denn dann da?

Gewohnheiten überprüfen, neue Entscheidungen treffen: Das braucht Zeit und Mut und auch den Austausch mit den Menschen, mit denen ich lebe. Ein Sonntag könnte dafür eine Gelegenheit sein.