Das Evangelische Wort

Sonntag, 26. 11. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Prof. Ulrich H.J. Körtner

 

 

 „Wer sind wir. Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns? Viele fühlen sich nur als verwirrt. Der Boden wankt, sie wissen nicht warum und von was. Dieser ihr Zustand ist Angst, wird er bestimmter, so ist er Furcht. Einmal zog einer weit hinaus, das Fürchten zu lernen. Das gelang in der eben vergangenen Zeit leichter und näher, diese Kunst ward entsetzlich beherrscht. Doch nun wird, die Urheber dieser Furcht abgerechnet, ein uns gemäßeres Gefühl fällig. Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen.“

 

Mit diesen Sätzen beginnt eines der wichtigsten philosophischen Werke des 20. Jahrhunderts, das „Prinzip Hoffnung“ des marxistischen Philosophen Ernst Bloch, geschrieben in der Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs, durchgesehen und veröffentlicht 1959, also vor beinahe fünfzig Jahren.

 

Blochs Sätze gewinnen heute neue Aktualität. Verflogen ist der Optimismus, der sich 1989 ausbreitete, als das Ende des Kommunismus in Russland und Osteuropa den Menschen Demokratie und Freiheit brachte, der Ost-West-Konflikt endete und damit auch die Teilung Europas überwunden schien. Heute herrschen dagegen eher Skepsis, Angst und Resignation.

 

Terror und Krieg wecken neue Ängste. Die atomare Drohung steht wieder auf der politischen Tagesordnung. Die wirtschaftliche Globalisierung macht vielen Menschen Angst. Arbeitslosigkeit und neue Armut gehören zum Erscheinungsbild unserer immer noch wohlhabenden Gesellschaft. Auch hierzulande existiert am unteren Ende der Gesellschaftsleiter eine Schicht von Menschen, die von Sozialwissenschaftlern neuerdings als „abgehängtes Prekariat“ bezeichnet wird. Das sind Menschen die in prekären wirtschaftlichen und familiären Verhältnissen leben, ohne jede Lebensperspektive und ohne Aussicht auf sozialen Aufstieg.

 

Die Hoffnung, so heißt es, stirbt immer zuletzt. Wer ohne Hoffnung lebt, ist so gut wie tot. Wir haben es dringend nötig, das Hoffen neu zu lernen. Wir brauchen eine neue Theologie der Hoffnung, wie sie vor vier Jahrzehnten der evangelische Theologe Jürgen Moltmann formulierte, eine neue Theologie der Befreiung, die das Hoffnungspotential des Evangeliums bis in den politischen Bereich hinein praktisch werden lässt.

 

Die evangelischen Christen begehen heute den Totensonntag, auch Ewigkeitssonntag genannt. Neben der Trauer um die Verstorbenen des vergangenen Jahres, deren Namen heute in den Gottesdiensten verlesen werden, steht das Zeugnis der christlichen Hoffnung, die über den Tod hinaus reicht. Manche mögen das für einen billigen Trost halten. Allerdings gibt es trügerische Hoffnungen, Illusionen und leere Versprechungen, die uns um das Leben betrügen. Dass die Liebe Gottes zu uns Menschen stärker ist als der Tod, ist keine billige Vertröstung, sondern ein echter Trost, weil daraus die Kraft zur Veränderung wächst.

 

Wer liebt, hofft nicht zuerst für sich selbst, sondern für andere. Und Aufgabe des Glaubens ist es, einander zum Leben und zum Hoffen zu ermutigen. So gehören Glaube, Hoffnung und Liebe zusammen. Aus der Liebe Gottes kommt die Widerstandskraft, sich nicht mit der Welt abzufinden, wie sie ist. Und aus der Bitte des Vaterunsers: „Dein Reich komme“ spricht der Protest des Glaubens gegen die Macht der bestehenden Verhältnisse.

 

Der heutige Sonntag wie die bevorstehende Adventzeit erinnern uns an den Grund christlicher Hoffnung, nämlich an die göttlichen Verheißungen. Diese sind freilich nicht mit unseren menschlichen Wünschen und Vorstellungen zu verwechseln. Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer hat einmal gesagt: „Gott erfüllt nicht alle unsere Wünsche, wohl aber alle seine Verheißungen.“