Das Evangelische Wort

Sonntag, 17. 12. 2006,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

"Siehe, Gott ist mein Heil..."

von Pfarrerin Renate Moshammer

 

 

Siehe, Gott ist mein Heil,

ich bin sicher und fürchte mich nicht; denn Gott der Herr ist meine Stärke und mein Psalm und ist mein Heil.

Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen

aus den Heilsbrunnen. Jes. 12, 2+3

 

Diese Verse sind, wie es in der Überschrift heißt, aus dem Danklied der Erlösten.

Davor, im 11. Kapitel,

erzählt Jesaja von einer wunderbaren Vision:

Er schreibt vom Stroh fressenden Löwen

vom Kind, das ohne Angst mit Giftschlangen spielen kann

vom Leben „ohne Sünde“, also in der Geborgenheit der Nähe Gottes,

er schreibt vom Ende von Sklaverei und Unterdrückung, von äußerer und innerer Entfremdung.

 

Kein Wunder, dass er dann in einen Jubel ausbricht. Das sind einfach schöne Worte.

Schöne Worte, die sich nicht mit unseren Erfahrungen dieser Welt und unseres Lebens decken. Mir fällt es schwer, ungebrochen in dieses Lob, in dieses Lied einzustimmen. Ein Gedicht von Marie Luise Kaschnitz ist mir da schon näher. Ihre Fragen, ihre Zweifel finden Widerhall in mir, wenn sie schreibt:

 

Ob wir davonkommen ohne gefoltert zu werden, ob wir eines natürlichen Todes sterben, ob wir nicht wieder hungern, die Abfalleimer nach Kartoffelschalen durchsuchen, ob wir getrieben werden in Rudeln, wir haben's gesehen.

Ob wir nicht noch die Zellenklopfsprache lernen, den Nächsten belauern, vom Nächsten belauert werden, und bei dem Wort Freiheit weinen müssen.

Ob wir uns fortstehlen rechtzeitig auf ein weißes Bett oder zugrunde gehen am hundertfachen Atomblitz, ob wir es fertig bringen mit einer Hoffnung zu sterben, steht noch dahin, steht alles noch dahin.

 

Es steht alles noch dahin.

Und trotzdem:

Die Worte des Propheten begleiten mich durch diese Wochen des Advents – ausgerechnet durch diesen hektischen, mit Erwartungen und Emotionen überladenen Monat.

 

Ich spüre, dass da trotz allem Trubel meine Seele zur Ruhe kommt.

Ich kann mich einschwingen in diese Worte von Sicherheit und Angstlosigkeit. Und ich spüre zugleich, wie ich das brauche – in einer Zeit, in der ein Termin den anderen jagt, in einer Zeit, in der die Besinnlichkeit bis zur Besinnungslosigkeit strapaziert wird.

 

Da, wo die Freude so oft der Erschöpfung weicht, sagt uns der Prophet:

 

Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen

aus den Heilsbrunnen.

 

Manchmal, in den seltenen Stunden, in denen es mir gelingt, aus dem Wirbel von Licht, Tönen und Gesichtern auszusteigen, da höre ich – nein, noch nicht das Rauschen dieser Quelle – aber ich höre wenigstens einen leisen Ton.

Ich höre, wie Eis knirscht und langsam bricht. Das Eis, das mich – trotz der vielen Leute rundherum – vom Menschen neben mir trennt. Das Eis, das ich zu meinem Schutz um mich aufgebaut habe. Ich höre es brechen. Und das macht mir Mut, in diese Zeit hineinzugehen – mit all ihren Dingen, den notwendigen und denen, die mir manchmal Not machen. Mit den Feiern und dem Lärm, mit den guten Wünschen und der aufgesetzten Fröhlichkeit. Und ich hoffe darauf, dass auch dieses Eis zur Quelle wird, die die Sehnsucht wach hält und von ihr erzählt. Die Quelle, die versteckte Gärten bewässert. Ich hoffe, dass Sie und ich so in diesen Tagen Jesajas Wort für uns erleben werden können:

 

Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen

aus den Heilsbrunnen.