Das Evangelische Wort

Sonntag, 07. 01. 2007,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

„… dass Friede ein guter Leitstern sei!“

von Oberkirchenrätin Dr. Hannelore Reiner

 

  

Es geschah in der Nähe Jerusalems, noch im alten Jahr, fernab von der Weltpresse. Vor einer Tankstelle stehen circa 50 israelische Friedensaktivisten, Männer und Frauen. Alle haben sie Trommeln und Tamburine mit dabei. Das Trommelklopfen ist weithin hörbar. Auch auf der anderen Seite der Mauer, die zwischen den beiden Menschengruppen neun Meter hoch aufragt. Drüben stehen vielleicht zehn Palästinenser. Sie hören nicht bloß den israelischen Trommelwirbel, sie sehen auch gleichsam durch die Mauer. Eine Videoinstallation lässt sie alles bildlich miterleben, was sich jenseits der Mauer abspielt. Als die Installation schon längst wieder ausgeschaltet ist, stehen noch immer palästinensische Familien vor der Mauer. Ein Bild wurde herabgelassen, ein Bild von Jerusalem, gemalt als die Stadt des Friedens. Über der Stadt eine Taube und ganz oben gaukelt eine weiße Strickleiter, die freundlich einlädt zum Überwinden der Mauer.

 

Zugegeben, es sind nicht viele, weder diesseits noch jenseits … Die meisten Passanten schütteln nur den Kopf. Weltfremde Idealisten und manchmal gar Spinner werden sie genannt. Mir aber geben solche Zeichenhandlungen Hoffnung, gerade auch am Beginn eines neuen Kalenderjahres. Hinter der Trommelmusik wird die alte Verheißung hörbar:

 

Die Geisteskraft Gottes liegt auf mir, weil Gott mich gesalbt hat. Gott hat mich gesandt, den Armen frohe Botschaft zu verkünden, die zu verbinden, die ein zerbrochenes Herz haben, auszurufen die Freilassung für die Gefangenen, den Gebundenen, die Lösung ihrer Fesseln; auszurufen ein Jahr des Wohlgefallens für Gott. 

 

Die erste Predigt, die von Jesus überliefert ist, beruft sich auf eben dieses Prophetenwort. Ein gnädiges Jahr, ein Friedensjahr wird ausgerufen, ein Jahr des Wohlgefallens für Gott. Ich weiß, dass dies im Blick auf den Nahen Osten und so manche andere blutenden Orte und Länder der Erde nur schwer vorstellbar ist. Ist es doch schon schwer genug, in Österreich eine gut arbeitende Regierung zustande zu bringen. Und in den Kirchen ist es nicht viel anders. Innerhalb und zwischen den Gemeinden und Konfessionen Mauern aufzurichten und einzuzementieren, das geht oft sehr rasch.

 

Aber wo Kreativität und Menschenfreundlichkeit am Werk sind, da werden Mittel und Wege gefunden, die die höchsten Mauern überwinden und feindliche Gräben wieder überbrücken können. Die dritte Europäische Ökumenische Versammlung, die im September in Rumänien stattfinden wird, vereint die christlichen Kirchen Europas, um gemeinsame Schritte in eine friedliche Zukunft auf unserem Kontinent und auch darüber hinaus zu setzen.  Denn die Verheißung gilt heute ebenso wie zur Zeit der Bibel: Ein gnädiges Jahr will Gott uns 2007 schenken. So möchte ich vertrauensvoll bitten für alle, die sich nach einem friedvollen Miteinander sehnen.

 

Du nimmst das Alte, Herr, du schickst uns neu hinaus ins Jahr, mit tausend fremden Schritten. Noch an der Schwelle stehend wollen wir bitten, dass Friede uns ein guter Leitstern sei.