Das Evangelische Wort

Sonntag, 04. 03. 2007,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

„Sichern und loslassen“

von Pfarrer Matthias Geist

 

 

An manchen Tagen fühle ich mich beinahe abhängig von ihm. Die Rede ist von meinem Computer. Eigentlich ist es ja ein Laptop, der mir brav und täglich seine Dienste erweist. Da starte ich ihn, dann schreibe ich oder lese etwas im Internet nach oder lade mir etwas herunter. Ein hilfreicher Geselle ist mir mein Laptop geworden. Und am Ende der Arbeitssitzung fahre ich den Laptop dann wieder herunter. Ich sehe nicht nur mit meinen Augen, wie mein Arbeitstag endet, sondern höre auch, wie der Computer seine Dienste einstellt und sich zur Ruhe begibt. Endlich! Feierabend! Ruhe und aufatmen, an etwas anderes denken, ja auch etwas vergessen dürfen. Es ist ja jetzt ganz gut und sicher abgespeichert!

 

Faszinierend, was in dem kleinen elektronischen Gehirn an Speicherkapazität drinnen steckt. Aber manchmal habe ich genug, von diesem Surren, vom Bildschirm und seinem Flimmern, und vor allem von aller Erinnerung, die in diesem Gerät steckt. Es lässt mich nicht mehr los. Es verfolgt mich auch, nachdem ich mich schon verabschiedet habe. Es surrt noch nach, es flimmert in meinen Augen weiter, und: die Erinnerung wird spätestens am nächsten Tag offenkundig. Der Computer registriert alle Veränderungen. Auch das, was ich mir nicht gemerkt habe, ja auch das, was ich mir nicht mehr merken, ja löschen wollte, ist abgespeichert. Wunderbar - zugleich aber auch gnadenlos! Über die Veränderung lesen wir im Alten Testament:

 

Weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit; behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit; zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit. [Pred. 3, 4-7]

 

Manches hat eben seine Zeit und hört auch wieder auf, weil etwas Neues angesagt ist. Ein Gedanke lässt mich erst los und bohrt nicht mehr weiter, bis ich loslasse. Eine ernste, schwere Sache kann mich irgendwann zu einem Lächeln hinführen. Heute lache ich über meine schulischen Misserfolge, über Dinge, die ich im Schweiße meines Angesichts geschafft habe. Manche Lebensprüfung wird zu einem kleinen Gschichterl und manches Aktenlager werfe ich später in den Altpapiercontainer und fühle mich endlich befreit. Was loslassen bedeutet, können wir täglich üben, auch im Miteinander. Denn das Flimmern und Surren in unseren Beziehungen ist nicht immer angenehm. Die Erinnerung an Kränkungen und Mühen, an Fehler und Versagen bleibt oft im Unbewussten abgespeichert. Und auch mein Urteilen über andere ist so endgültig. Hier und da loszulassen, eine Wendung zuzulassen, fordert mich enorm. Manchmal habe ich genug von diesem hundertprozentigen Abspeichern, von diesem Festhalten und Festnageln. Weil es mich nicht loslässt. So wie ein Surren einmal zu Ende ist und so wie es gut ist, vor dem Einschlafen ein anderes Bild als das der Flimmerkiste vor Augen zu haben. So will ich auch manches wieder loslassen und loswerden, was ich mir oder anderen aufgeladen habe. Ich will nicht verdrängen oder ignorieren, sondern will abladen, was sich an schwerer Lebenserinnerung gesammelt hat.

 

Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun. [Hes. 36,26f]

 

Mein Laptop ist ein hilfreicher Geselle. Aber er hält gnadenlos alles fest. Was ich an Dingen festhalte, kann mir ein steinernes Herz verleihen. Die wunderbare Seite des Lebens, die uns angeboten ist, lebt aber im fleischernen Herz besser. Sie, diese lebendige, fleischerne Seite wandelt sich. Sie hält nicht an Meinungen und Vorurteilen fest. Sie will mich und alles, was versteinert ist, befreien.