Das Evangelische Wort

Sonntag, 25. 03. 2007,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

„Schistocerca Gregaria“

von Pfarrer Michael Chalupka

 

 

 Am Wirtschaftshimmel unserer Republik schien in der vergangenen Woche der fünfte Engel der Apokalypse in seine Posaune zu blasen, der, der den Brunnen des Abgrundes auftut, wie es im neunten Kapitel der Apokalypse heißt:

 

„Er tat den Brunnen des Abgrunds auf, und es stieg auf ein Rauch aus dem Brunnen wie der Rauch eines großen Ofens, und es wurden verfinstert die Sonne und die Luft von dem Rauch des Brunnens. Und aus dem Rauch kamen Heuschrecken auf die Erde, und ihnen wurde Macht gegeben, wie die Skorpione auf Erden Macht haben.“

 

Auf mysteriöse Weise erlebten die Aktien eines österreichischen Stahlerzeugers einen Höhenflug, danach meldete ein britischer Equity Fund sein Interesse an einer Übernahme des Stahlkonzerns an und Österreich hatte seine Heuschreckendebatte. Die, die eben noch am Halsband des amerikanischen Höllenhundes eine österreichische Traditionsbank erstanden hatten, forderten eine österreichische Lösung. Wir können doch nicht unsere heimischen Wirtschaftsschätze ausländischen Heuschrecken überlassen.

 

Investmentfonds werden im allgemeinen Sprachgebrauch erst seit kurzer Zeit Heuschrecken genannt. Der Begriff wurde während der „Heuschreckendebatte“ im April/Mai 2005 geprägt. Auslöser war eine Äußerung des damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering. Er verglich das Verhalten mancher „anonymer Investoren“ mit Heuschreckenplagen. Im politischen Sprachgebrauch hat sich der Begriff „Heuschrecken“ durchgesetzt. Er richtet sich neben Private-Equity-Gesellschaften auch gegen andere Formen der Kapitalbeteiligung mit mutmaßlich zu kurzfristigen oder überzogenen Renditeerwartungen.

 

Das Bild von den Heuschrecken stammt natürlich aus der Bibel. Gott selbst schickt die Heuschreckenschwärme, um den ägyptischen Pharao wachzurütteln und sein Volk Israel in die Freiheit ziehen zu lassen. Doch im Buch der Apokalypse wird das Bild ins groteske übersteigert.

 

Den Heuschrecken wurde „gesagt, sie sollten nicht Schaden tun dem Gras auf Erden noch allem Grünen noch irgendeinem Baum, sondern allein den Menschen, die nicht das Siegel Gottes haben an ihren Stirnen. Und ihnen wurde Macht gegeben, nicht dass sie sie töteten, sondern sie quälten fünf Monate lang; und ihre Qual war wie eine Qual von einem Skorpion, wenn er einen Menschen sticht. Und in jenen Tagen werden die Menschen den Tod suchen und nicht finden, sie werden begehren zu sterben, und der Tod wird von ihnen fliehen. Und die Heuschrecken sahen aus wie Rosse, die zum Krieg gerüstet sind, und auf ihren Köpfen war etwas wie goldene Kronen, und ihr Antlitz glich der Menschen Antlitz; und sie hatten Haar wie Frauenhaar und Zähne wie Löwenzähne und hatten Panzer wie eiserne Panzer und das Rasseln ihrer Flügel war wie das Rasseln der Wagen vieler Rosse, die in den Krieg laufen, und hatten Schwänze wie Skorpione und hatten Stacheln, und in ihren Schwänzen war ihre Kraft, Schaden zu tun den Menschen fünf Monate lang.

 

Und ihr Antlitz glich der Menschen Antlitz. Wer das Bild von den Heuschrecken für Kapitalgesellschaften, bei all den Risiken und Nebenwirkungen, die diese haben mögen, verwendet, sollte bedenken was mit diesem Bild verbunden ist, auch wenn die Menschen hinter den glitzernden Fassaden der Londoner City nicht immer erkennbar werden.

 

Doch auch den Heuschrecken wird man nicht gerecht, indem sie nur verteufelt werden. Immerhin dienten sie Johannes dem Täufer als Nahrung, verfeinert mit Honig, mögen sie gar nicht so schlecht gemundet haben.

 

Die Ehrenrettung der Heuschrecke ist Albrecht Dürer zu verdanken. Im Kupferstichkabinett der Akademie in Wien findet sich sein Werk aus dem Jahre 1495 mit dem Titel: Die Heilige Familie und die Heuschrecke. Maria mit dem Kind thront auf der Umfriedung eines Kräuterbeets, Josef hält erschöpft ein Nickerchen und ganz rechts unten am Bildrand springt eine Heuschrecke ins Bild. Und die Heilige Dreieinigkeit sieht vom Himmel mit Wohlgefallen auch auf die Heuschrecke herab.

 

Ob die Heuschrecke nun als Vorankündigung des Jüngsten Gerichts oder als Symbol der Auferstehung Jesu zu deuten sei, das überlassen wir den Kunsthistorikern. Ich finde sie allerliebst und nicht erschreckend. Sie ist allerdings auch allein und wohl, soweit das aus der Darstellung des Sees im Hintergrund zu deuten ist, auch einheimisch, und nicht vom Londoner Finanzplatz.