Das Evangelische Wort

Sonntag, 20. 05. 2007,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Ulrich H. J. Körtner

 

 

„Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“, sagt das Sprichwort. Wie viel Unsinn und wie viel Schlechtes kommt uns über die Lippen, das besser ungesagt bliebe. Wir reden viel und plappern gedankenlos.

 

Schweigen kann eine Tugend sein. Aber nicht weniger kann Schweigen ein Unrecht sein. Wo Unrecht geschieht, ist es geboten zu reden oder zu schreien, statt feige zu schweigen. Wer die Wahrheit verschweigt, wird zum Lügner. Reden und Schweigen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Vielmehr kommt es darauf an, mit beidem richtig umzugehen. Wir müssen lernen, zur rechten Zeit zu reden und zur rechten Zeit zu schweigen.

 

Schweigen kann freilich noch eine ganz andere Bedeutung erhalten. Schweigen kann heißen, in der Betriebsamkeit des Alltags innezuhalten. Wir werden still und lauschen. Und wir entdecken dann vielleicht eine Seite des Lebens, die uns gewöhnlich verborgen bleibt. In der Stille erfahren wir etwas über uns selbst und lernen, die Welt und die Menschen um uns herum mit ganz anderen Augen zu sehen.

 

Wir wissen freilich aus Erfahrung, wie schwer es ist, stille zu werden. Wir leben in großer Unrast. Im Arbeitsleben zählen Leistungsfähigkeit, Ideenreichtum und Geschwindigkeit, denn die Konkurrenz schläft nicht. Der Termindruck lässt uns keine Zeit zur Besinnlichkeit. Wir rennen und hasten durch eine laute Welt. Und wehe dem, der nicht Schritt halten kann oder die Kraft zum Laufen nicht hat.

 

Lärm macht besinnungslos. Er übertönt die Leere des Lebens, die sich einstellt, wenn wir nicht zur Besinnung kommen. Auch der vielfältig beklagte Verlust Gottes lässt sich darauf zurückführen, dass seine Stimme vom Lärm der modernen Welt übertönt wird. Je lauter der Mensch ist, desto leiser wird Gott. Ja, wir können so laut und rastlos werden, dass wir Gott überhaupt nicht mehr hören. Wir bringen Gott zum Schweigen. Und tatsächlich kann Gott schweigen. Mitten im Lärm unseres Lebens hören wir auf einmal das – Schweigen Gottes. Nichts ist unheimlicher als dieses Schweigen Gottes.

 

Alle Sprache, die etwas zu sagen hat und kein bloßes Gerede ist, kommt aus der Stille. In der Stille der Sprache kann das Schweigen Gottes sein Ende finden, so dass er neu zu reden beginnt und sich hörbar macht. Gott liebt die leisen Töne. Das erlebte der Prophet Elia am Gottesberg. Er suchte Gott, aber der erschien nicht im brüllenden Sturm und nicht im Getöse des Erdbebens und nicht im Brausen des Feuers. Nein, Gott erschien im Flüstern eines leisen Wehens, in einem verschwebenden Schweigen, wie Martin Buber übersetzt hat.

 

Wer Gott hören will, muss sein Ohr schulen in der Stille der Sprache. Eine Schule des Schweigens ist das Gebet. Rechtes Beten will freilich gelernt sein. Wie gern möchten wir Gott reden hören, aber wir bleiben mit uns selbst beschäftigt, fahrig und zerstreut. Wir verlieren uns in unseren Gedanken und bleiben für Gottes Reden verschlossen.

 

Der französische Dichter Antoine de Saint-Exupéry hat einmal geschrieben, „dass das Erlernen des Gebets im Erlernen des Schweigens besteht“. Beten heißt Zwiesprache mit Gott halten. Im Laufe dieses Zwiegespräches werden wir immer weniger selbst reden und dafür immer mehr Gott zuhören.

 

Dag Hammarskjöld, der zweite Generalsekretär in der Geschichte der Vereinten Nationen, hat seine Gebetserfahrung folgendermaßen beschrieben: „Als mein Gebet immer andächtiger wurde, da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen. Zuletzt wurde ich ganz still. So ist es: Beten heißt nicht sich selbst reden hören, beten heißt still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört“.

 

Das Gebet kann als Weltflucht missverstanden werden. Wer sich schweigend für Gott öffnet, wird jedoch ganz neu aufmerksam für die Welt und die Menschen um ihn herum. Das Beten hat seine Zeit, wie auch das Handeln seine Zeit hat. Im Gebet finde ich Kraft und Orientierung für mein Tun.