Das Evangelische Wort

Sonntag, 24. 06. 2007,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

Spielende Kinder und unsere Nerven

von Pfarrerin Marianne Fliegenschnee (Wien)

 

 

Spielende Kinder - mir fällt das Bild von Pieter Bruegel dem Älteren aus

dem 16. Jh. ein.

Spielende Kinder - mir fallen die Kinder im Kindergarten unserer Gemeinde ein. Ich höre sie oft im Garten spielen, wenn ich an meinem Schreibtisch sitze und arbeite.

Spielende Kinder - mir fällt meine kleine Nichte ein, die ich vor kurzem beim Spielen beobachten konnte. Spielende Kinder haben viel von dem, was wir Erwachsenen verloren haben.

 

Spielende Kinder sind voll dabei. Mit ihrem ganzen Wesen vertieft in ihr Tun. Sie sind so ganz bei der Sache, wie wir Erwachsenen das kaum noch einmal sind, weil unser Kopf immer voll ist mit hunderttausend anderen Dingen.

 

Spielende Kinder lernen. Das können wir uns kaum vorstellen, aber es ist so. Die Forscher haben es bewiesen: Kinder lernen spielend. Können wir das auch noch?

 

Spielende Kinder sind kreativ. Da wird im Handumdrehen ein Stock zu einem Tier, eine Badewanne zu einem Ozean, ein Joghurtbecher zu einer Trompete. Wie viel Phantasie haben wir Erwachsenen noch?

 

Spielende Kinder können auch laut sein, weil sie lachen, weil sie laut in ihrer Rolle schreien, rufen, quietschen, ... und manchmal auch laut weinen. Kinder bringen noch sehr unmittelbarer ihre Gefühle zum Ausdruck. Können Erwachsene das überhaupt noch?

 

So sind spielende Kinder. Aber so wollen viele Erwachsene die Kinder nicht haben. Kinder dürfen lieb Grüß Gott sagen und sollen ordentlich bei Tisch essen. Aber sie dürfen in der Straßenbahn kein Lied singen und schon gar nicht endlos und laut Warum-Fragen stellen. Kinder dürfen in der Wohnung nicht auf dem Boden springen, um die unterhalb Wohnenden nicht zu stören. Kinder haben im Hof und am Spielplatz gefälligst zu flüstern, alles andere wäre viel zu laut. Es ist unzumutbar, einen Spielplatz vor dem Fenster zu haben, den Krach hält ja keiner aus. Das höre ich immer wieder von Anrainern unseres Kindergartens.

 

Letzte Woche wurde der Gipfel des Eisbergs der Kinderfeindlichkeit in unserem Land sichtbar: Ein Kind wurde beim Spielen auf einem Wiener Spielplatz angeschossen. Sind wir schon so weit gesunken, dass wir Kinder lieber abschießen, als ihren Lärm zu ertragen?

 

Warum halten wir Kinder, die spielen, so schlecht aus?

 

Haben wir vergessen, dass wir selbst einmal Kinder waren? Haben wir vergessen, dass unsere eigenen Kinder auch nicht leise gespielt haben? Haben wir vergessen, dass diese Kinder unsere Zukunft sind?

 

Spielende Kinder - Als ich darüber nachgedacht habe, sind mir Kinder eingefallen, die in der Bibel vorkommen. Dort habe ich gelesen, dass Jesus anders mit ihnen umgegangen ist. Er hat sie zu sich kommen lassen. Er war sich nicht zu gut, auch für sie da zu sein. Ihm waren sie nicht zu laut und nicht zu lästig. Er hat sie in den Arm genommen und gesegnet. Jesus hat sogar gesagt: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.

 

Vielleicht hat er damit gemeint, wir sollen sein wie die Kinder beim Spielen: voll dabei, lernend, kreativ und fähig Gefühle zu zeigen. Ist dann das Himmelreich da? Es könnte sein.

 

Eines weiß ich jedenfalls: Vieles könnte ich von einem Kind lernen. Vieles, was ich schon längst verlernt habe.

 

Ich habe mit vorgenommen, das nächste Kind, das mir auf meine erwachsenen Nerven geht, mit den Augen Jesu anzusehen. Ich habe mir vorgenommen, es zu fragen, ob es mir nicht etwas davon wieder beibringen kann, was ich vor Langem verlernt habe.