Das Evangelische Wort
Sonntag, 19. 08. 2007, 6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1
„Befiehl dem Herrn deine
Wege“
von Pfarrerin Ulrike Wolf-Nindler (Tulln, NÖ)
Seit Sommeranfang zieren wieder einige Ansichtskarten meine Tafel in der
Diele: Eine Postkarte mit drei einsamen Palmen an einem Strand hat
sich da neben eine vom Britischen Museum gesellt und eine Kärntner
Sommerrodelbahn neben eine Ferienanlage in der Türkei.
Liebe Menschen sind dorthin verreist, haben ein paar Worte auf ihre Karte
geschrieben und damit dokumentiert: „Ich habe hier an dich gedacht.“
Nun könnte man ja meinen: „Na und? Steht doch nur ein kurzer Gruß
drauf.“
Also, ganz so sehe ich das nicht: So eine Karte dokumentiert nämlich
nicht nur, wo einer war, sondern auch, wer er ist und wonach er sich
sehnt.
Der Mensch pendelt ja sein Lebtag lang zwischen der Sehnsucht nach
Geborgenheit und der nach Autonomie: Geborgenheit bedeutet
Stabilität und Nähe und damit Gelassenheit und Liebe. Autonomie
hingegen bedeutet Selbstbestimmung und Freiheit und damit Anregung
und Neugierde.
Und genau in diesem Zwiespalt verreisen Menschen: Aus Abenteuerlust
und Bildungshunger, um Fremdes und Fremde kennen und achten zu
lernen. Manche verreisen ganz alleine, um sich selbst zu stärken und
zu verändern. Isolation lehrt in diesem Falle Selbstorganisation,
Einsamkeit, Tiefe, Gefahr und Wachsamkeit.
Und wieder andere machen sich auf den Weg, um etwas Schönes zu
sehen. Denn das Schöne stärkt in uns den Willen, selbst etwas
Schönes zu kreieren so wie das Gute uns hoffentlich dazu animiert,
selbst etwas Gutes zu tun.
Auf Reisen erleben etliche ja auch gern Gemeinschaft, kommen
einander näher als im Alltag, im Positiven wie im Negativen. Und
last, but not least, vermute ich, dass gar nicht so wenige
verreisen, nur, um danach zu wissen, wie gut sie es doch daheim
haben. Ja, vielleicht ist sogar das Heimkommen das einzige Ziel
vieler. Denn als Fernweh spüren wir unsere Sehnsucht nach einem
unbekannten, erträumten Ort, und als Heimweh die Rückbesinnung auf
das Einstige, das dann oft als ideal erscheint.
Ich selber reise gern, aber mäßig. Auf Reisen erlebe ich die Zeit anders.
Nicht als Fließband, an dem ich das und jenes auch noch abzuarbeiten
habe, sondern als erfüllte Zeit, in der ich meine Erlebnisse und
Gefühle bewusst in mein Gehirn hinein fotografiere und so in meine
Erfahrungswelt einordne.
Dieser Schatz an Erinnerungen ist für mich auch mein Schatz an
Energie. Im Übrigen - ein schönes Wort: „Erinnerung“. Geht es doch
darum, dass etwas in mir drinnen Teil von mir geworden ist. Wenn ich
mich erinnere, dann erinnere ich mich an die Stimmung damals wieder,
- ein Lied, ein Lachen, eine Verlegenheit, einen Kuss.
Und all die Anderen? Die zu Hause geblieben sind, weil es nicht anders
ging? Die Handelsreisenden und die LKW-Fahrerinnen, die Kranken und
ihre pflegenden Personen, die Mindestrentnerinnen und solche, die
keine Urlaubsvertretung gefunden haben? Die schreiben mir zumindest
in der Regel keine Postkarten. - Schade!
Ich würde mich auch über ein Foto von einem Wohnzimmer oder eine Karte
mit der Einladung zu einem Milchshake am Balkon freuen!
Lernen und erleben die alle nichts? Vielleicht unternehmen sie ja
Ausflüge, besuchen Schlösser, radeln in die nächste Stadt oder
picknicken im Grünen. Und manche kommen ja auch in ihrer Phantasie
sogar sehr weit, bis zum „Mittelpunkt der Erde“ wie einst Jules
Verne.
In biblischen Zeiten war Reisen ja beschwerlich. Es bedeutete weite Wege
zu Fuß zurücklegen. Man beschrieb Reisetermine nicht wie heutzutage
mit Abreise- und Ankunftszeit, sondern in Stunden, Tagen und Wochen.
Eine oder zwei Tagesreisen z.B. bis nach Jerusalem zum Tempel,
Wellness für die Seele dort, sozusagen.
Wir hören das, erkennen in den ganz großen Reiseberichten der
Weltliteratur unsere eigenen Lebenswege wieder und ahnen vielleicht,
was der 37. Psalm folgendermaßen ausdrückt:
“Befiehl dem HERRN deine Wege und hoffe auf ihn, er wird's wohl
machen.“ (Psalm 37,5)
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