Das Evangelische Wort

Sonntag, 09. 09. 2007,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Mag. Roland Werneck, Studienleiter an der Evangelischen Akademie Wien

 

 

Was unterscheidet die europäischen Städte Basel, Graz und Sibiu oder Hermannstadt in Siebenbürgen/Rumänien von Mariazell?

In allen drei genannten Städten fanden Europäische Ökumenische Versammlungen statt, also große Treffen von Christinnen und Christen aus unterschiedlichen Ländern und unterschiedlichen kirchlichen Traditionen. Heute geht in Sibiu die dritte Versammlung dieser Art zu Ende. Die Konferenz Europäischer Kirchen und der Rat der katholischen Europäischen Bischofskonferenzen haben dazu unter dem Motto eingeladen: „Das Licht Christi scheint auf alle. Hoffnung auf Erneuerung und Einheit in Europa“.

 

Nach dem protestantisch geprägten Basel 1989 und dem katholisch geprägten Graz 1997 wurde diesmal eine orthodox geprägte Stadt in Osteuropa als Gastgeber ausgewählt. Hier leben Menschen  verschiedener kultureller und religiöser Identität zusammen, sie sprechen verschiedene Sprachen: rumänisch, ungarisch, deutsch.

 

Für die Bewohner von Sibiu ist wie in ganz Siebenbürgen seit langer Zeit selbstverständlich, was in weiten Teilen Europas noch ungewohnt ist: Religiöse Vielfalt gehört zum Stadtbild dazu, es gibt rumänisch-orthodoxe Kirchen, römisch-katholische, evangelisch-reformierte und evangelisch-lutherische.

 

„Das Licht Christi scheint auf alle. Hoffnung auf Erneuerung und Einheit in Europa“.

 

Was dürfen wir von den Ergebnissen der Diskussionen dieser vergangenen Tage erwarten? Werden sie Impulse für die Zukunft beinhalten? „Erneuerung und Einheit in Europa“ sind starke Worte. Kann eine solche Versammlung das leisten?

 

Ich muss gestehen, dass ich manchmal skeptisch bin, gerade wenn ich mir die nicht sehr ermutigenden Signale der letzten Zeit zum Thema Ökumene ansehe. Manche sprechen von einer Phase der  Ernüchterung. Von einem gemeinsamen Mahl am Tisch des Herrn sind die Kirchen Europas weit entfernt. Die sogenannten einfachen Gemeindemitglieder, die Christinnen und Christen an der Basis verstehen die Gründe immer weniger, warum es nicht möglich sein soll, dass evangelische, katholische und orthodoxe Gläubige ein zentrales Sakrament miteinander teilen dürfen. Was empfinden Kinder in Familien, wo z.B. der Vater katholisch, die Mutter evangelisch ist? Sie gehen überall gemeinsam hin, aber das Abendmahl, die Eucharistie, die dem christlichen Glauben wichtig und heilig ist, darf die Familie nicht gemeinsam erleben.

 

In der evangelischen Kirche war es ja lange Zeit üblich, das Abendmahl nur an ganz besonderen Feiertagen zu feiern, drei- oder viermal im Jahr. Ich bin selbst in einer Gemeinde aufgewachsen, wo das so war. Mit ernsten Gesichtern stellten sich Frauen und Männer getrennt an, um dann kniend das Abendmahl zu empfangen. In den letzten Jahren hat sich hier nicht zuletzt dank der ökumenischen Bewegung viel geändert. Von der katholischen Kirche haben wir Evangelische gelernt, dass für die Feier eines Gottesdienstes nicht nur das Wort wichtig ist – in der Predigt, im Gebet oder in den Liedern – sondern eben auch andere sinnliche Erfahrungen. Essen und trinken gehören selbstverständlich dazu. Heute wird das Abendmahl in allen evangelischen Gemeinden regelmäßig und öfter gefeiert. Weil Jesus Christus selbst der Gastgeber ist, wird niemand ausgeschlossen. Sein Licht scheint auf alle. Alle Getauften werden eingeladen, auch die Kinder. Abendmahl ist Gemeinschaft mit Jesus und  Gemeinschaft untereinander. Die Abendmahlsgemeinde steht im Kreis, teilt das Brot und den Wein oder den Traubensaft. Ich bin froh über diese Entwicklung in meiner evangelischen Kirche.

 

Auch wenn die Frage des gemeinsamen Abendmahls in Sibiu nicht gelöst wurde, erhoffe ich mir von der Versammlung, dass sie über ihren heutigen Abschluss hinaus als ein deutliches Zeichen für die gemeinsame Zukunft der Kirchen Europas wirken wird. Dieser Kontinent braucht neue Visionen und die Kirchen tragen hier eine wichtige Verantwortung. „Das Licht Christi scheint auf alle.“ Die, die oft im Schatten stehen, erfahren besondere Beachtung und Zuwendung. Das ist eine Verheißung, die uns alle einlädt, das Europa von morgen mitzugestalten! Wir können voneinander in unserer Verschiedenheit lernen und die Unterschiede als Bereicherung erkennen. Wenn das die Botschaft ist, die von Sibiu ausgeht, ist das ein wichtiger Schritt in der Ökumene, dem hoffentlich noch viele weitere folgen werden.