Das Evangelische Wort

Sonntag, 21. 10. 2007,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrerin Gundula Hendrich (Kitzbühel, Tirol)

 

 

„Schirm kaufen“, notiere ich kurz auf einem gelben kleinen Zettel. Nach den wunderschönen Oktobertagen dürfte es jetzt kalt und regnerisch werden. Ja, so ein Sonnengelber wäre fein – oder noch besser, so einer wie der Lieblingsschirm meiner Schwester. Der leuchtet in den Farben des Regenbogens, und ist riesengroß und heiß begehrt in ihrer Familie. Weil er schön und außerdem so praktisch ist. In geschlossenem Zustand mag ihn ihr Mann, weil er sich gern einmal drauf stützt, ihre Töchter nehmen ihn trotz Gewicht und Größe abends mit, weil er nicht nur gegen Regen sondern auch vor eventuellen Belästigungen schützt und sie selbst genießt die bunten Farben und dreht ihn bei ihren Spaziergängen gedankenverloren langsam am Knauf. Ja, so einen Schirm könnte ich ihr vielleicht als Weihnachtsgeschenk für mich nahe legen.

 

Bei unserem wöchentlichen Telefonat erzähle ich ihr von den Hinterlassenschaften von Reisegruppen, die unsere Gottesdienste besuchen, also von diesen oft edlen, farblich eher gedeckten Schirmen, die dann lange unseren Schirmständer zieren und will dann sachte überleiten zu meinem Weihnachtsgeschenkanliegen. Da unterbricht sie mich und erklärt, dass sie selbst nur bunte Schirme habe. „Ich brauche Farben, wenn es so trist und nass und grau ist“, sagt sie, „sonst kriecht mir dieses Wetter so unter die Haut und macht mich traurig“.

 

Und dann erzählt sie mir schmunzelnd, dass sie leider ihren grünen Schirm mit den Schafen und den Gänseblümchen verloren habe. Und dass es jetzt sogar Schirme mit Ohren gebe. „Für Kinder – leider nur für Kinder, aber so einer in etwas größer, der wäre doch ideal für dich.“

 

Als jüngere Schwester liebt sie solche Provokationen. Sie weiß eigentlich genau, dass ich als Pfarrerin wirklich nicht mit so einem kindischen Ohrenschirm herumlaufen könnte.

 

„Ich meine das ernst“, erklärt sie dann versöhnlich. „Ein Schirm ist doch ein biblisches Bild für Gott. Dafür, dass er uns beschützt und behütet und zwar egal bei welchem Wetter, also in jeder Lebenslage. Steht schon in den Psalmen. „Und außerdem“, nun etwas verschmitzt, „hat Gott immer ein offenes Ohr.“

 

Dann macht sie eine Pause und spricht etwas ernsthafter weiter. „Ich bin selbst so, wie diese Leute, die ihre Schirme bei euch in der Kirche lassen. – Wenn die Sonne scheint, also wenn es mir gut geht, dann denke ich selten an Gott und dann lasse ich sogar meinen Schäfchenschirm stehen. Aber dann, wenn es schüttet, also wenn ich Hilfe brauche, dann erinnere ich mich wieder und bete.“ Sie schluckt.

 

„Finde ich fein, wie du das eben gesagt hat“: Sie ‚lassen’ ihre Schirme in der Kirche. Sie vergessen sie also nicht wirklich, sondern lassen sie an einem guten Ort. Gott selbst aber geht mit. Der bleibt nicht im Schirmständer. „Deine Ohrenschirme müssten“, ergänze ich, um den predigtartigen Ton abzuschwächen, „auch noch Beine bekommen“.

 

„Die gibt es auch“, lacht sie leise. Und dann nehme ich innerlich Anlauf, um auf die Anlässe ihres Betens zuzugehen und trau mich zu fragen, wie es ihr geht, wirklich geht mit ihrer Krankheit und den Therapien. Und während sie erzählt, bin nun ich diejenige, die versucht, die Tränen hinunterzuschlucken. – Es bleibt bei dem Versuch, wir weinen beide, aber es tut unendlich gut, nicht nur zu scherzen und zu lachen, sondern auch die Ängste zu teilen.

 

In solchen Momenten der Nähe spüre ich ihn ganz stark, den Schutz und Schirm Gottes. Weil gerade dann eine Nähe entsteht, die das Erstarrtsein vor lauter Angst löst und wieder lebendig macht.

 

„Ihr könntet eigentlich einen Schirmverleih aufmachen, wenn das so weitergeht mit den Reisegruppen im Gottesdienst und ihren Schirmen“, sagt sie plötzlich unvermittelt. „Das brauchen wir gar nicht organisieren“, kichere ich, „wenn es regnet, dann gehen die Schirme, die lange schon da stehen, nämlich einfach mit.