Das Evangelische Wort

Sonntag, 23. 12. 2007,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Oberkirchenrat Michael Bünker

Evangelische Kirche A. B.

 

 

Heute, am vierten Adventsonntag werden in vielen Häusern und Wohnungen alle vier Kerzen am Adventkranz angezündet. Gerade in den Tagen der fortschreitenden und zunehmenden Dunkelheit in der Natur wird es so in bei den Christenleuten immer heller, weil Gott im Dunkeln zur Welt kommen und sie hell machen will. Der Adventkranz mit seinen vier Kerzen steht dafür. Manche denken, das ist altes Volksbrauchtum. Aber weit gefehlt! Der Adventkranz wurde im Jahr 1839 in Hamburg im wahrsten Sinn des Wortes erfunden. Und zwar von Johann Hinrich Wichern, dem Leiter des sogenannten Rauhen Hauses, einer Einrichtung für unbegleitete Jugendliche und verwahrloste Kinder, zumeist Waisen, Straßenkinder würde man heute sagen. Sie hatte Wichern aufgenommen, und um ihnen die ungeduldige Wartezeit bis zum Weihnachtsfest erträglich zu machen, hat er ein großes Rad aufgestellt und so viele Kerzen draufgegeben, wie der Advent Tage hat, dazu für jeden Sonntag eine große Kerze. So wurde im Rauhen Haus Tag für Tag eine Kerze mehr entzündet. Bald verbreitete sich dieser Brauch, reduziert auf die vier Kerzen der Sonntage, in ganz Deutschland bis nach Österreich und in viele andere Länder. Der Adventkranz ist also nicht nur eine Reaktion auf die Zunahme der natürlichen Dunkelheit und Kälte, sondern er ist auch ein Symbol für Licht und Wärme, angesichts zunehmender sozialer Dunkelheit und Kälte.

 

In unserer Zeit hat wieder ein Evangelischer in Hamburg ein Hilfsprojekt für Kinder ins Leben gerufen. Ich erzähle von Pfarrer Thies Hagge. Ganz Hamburg war im Jahr 2005 erschüttert, als ein siebenjähriges Mädchen namens Jessica von seinen Eltern so schlimm vernachlässigt wurde, dass es schlicht und einfach verhungert ist. Mitten in Hamburg, der reichsten Stadt in Deutschland. Das hat Pfarrer Thies Hagge und die evangelische Gemeinde an der Friedenskirche nicht in Ruhe gelassen. Soviel er und die engagierten Gemeindemitglieder tun können, wollen sie tun, damit so etwas nie wieder vorkommt! Pfarrer Hagge gründete in Hamburg das Hilfsprojekt namens Arche, es heißt wie das rettende Schiff, in dem das Leben durch die tödliche Sintflut bewahrt wurde. Von Anfang an war der Zustrom zur Arche weit größer als vermutet. Hunderte Kinder und Jugendliche kamen gleich an den ersten Tagen. Über 50 000 Kinder leben in Hamburg in Armut! Kein Wunder, dass bald ein Neubau der Arche notwendig wurde. Er ist vor wenigen Tagen eingeweiht worden.

 

Pfarrer Hagge warnt davor, dass mitten im Wohlstand die Zahl der Kinder, die ohne Betreuung ihrer Eltern und in Armut leben müssen, stark steigt. Er weiß, wovon er spricht. Dementsprechend scharf geht er auch mit der Stadtverwaltung und der Politik insgesamt ins Gericht. Dass die Stadt, die in Punkto Wohlstand in Deutschland Nummer eins ist aber in der Bekämpfung von Kinderarmut das Schlusslicht abgibt, ist ja wirklich nicht einzusehen. Aber – so Thies Hagge - es darf auch nicht alles dem Staat überlassen werden! Kinder brauchen die Liebe und Zuwendung ihrer Eltern und haben auch ein Recht darauf. Aufgabe von Stadt und Politik insgesamt ist es, die Eltern dabei zu unterstützen und wirksame Hilfen anzubieten.

 

Pfarrer Johann Hinrich Wichern und sein Rauhes Haus im 19. Jahrhundert; Pfarrer Thies Hagge und seine Arche im 21. Jahrhundert. Typisch für Evangelische, dass sie sich nicht damit begnügen, für die Opfer schlimmer Umstände und untragbarer Verhältnisse Hilfe zu organisieren. Das auch, das ist immer der erste Schritt. Aber es ist nicht der letzte. Zur Hilfe für die Opfer kommt immer der Einsatz dazu, dass sich auch die Verhältnisse ändern, die diese Opfer hervorbringen. Protest und politisches Engagement sind also der notwendige zweite Schritt. Das führt nicht selten zu Konflikten, auch parteipolitische Vereinnahmung und Instrumentalisierung ist möglich. Aber davor sollte keine Gemeinde, kein einzelner Christ, keine Christin zurückschrecken.

 

Was treibt evangelische Christinnen und Christen dazu, sich für Kinder und Jugendliche einzusetzen? Es ist natürlich einmal das Vorbild Jesu, der sich den Kindern in ganz außergewöhnlicher Weise zugewendet hat.  Es ist noch viel mehr Gott selbst, der beschließt Mensch zu werden und dazu nicht etwa als Erwachsener vom Himmel kommen will, sondern wie alle Menschen von einer Frau ausgetragen wird, geboren wird und so auf die Welt kommt – als ein Kind.