Das Evangelische Wort

Sonntag, 06. 01. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

 „Unser Durchbrecher ist nunmehr vorhanden“

von Superintendent Mag. Hermann Miklas

  

 

Bekanntlich gibt es Situationen, wo Verhandlungen zwischen zwei (oder mehreren) Konfliktparteien ergebnislos abgebrochen werden, weil man sich auf keinen gemeinsamen Nenner einigen konnte.

 

Manchmal jedoch gelingt es, in einer fast schon aussichtslos erscheinenden Situation - nach zähen Verhandlungen – überraschend doch noch ein Ergebnis zu erzielen. Man spricht dann gerne von einem „Durchbruch“.

 

Ein plastisches Bild, das ja auch aus anderen Zusammenhängen bekannt ist. Anfangs nur noch Enge, Zwänge, Ausweglosigkeit, es ist rundum kein Handlungsspielraum mehr zu erkennen – aber plötzlich bricht etwas auf, der Horizont weitet sich und gibt den Blick frei auf ganz neue, überraschende Optionen.

 

Mit einem solchen Bild beschreibt der Dichter Johann Ludwig Konrad Allendorf auch Weihnachten: Mit der Geburt Jesu ist eine Kraft in unsere Welt gekommen, die es Menschen ermöglicht, aus gewohnten Mustern auszubrechen, sich aus beklemmenden Korsetts zu befreien und scheinbar unüberwindbare Hindernisse doch zu überwinden.

 

Allendorf war als Student Mitarbeiter bei August Hermann Francke, der um 1700 in Halle an der Saale als einer der ersten eine Schule und ein Haus für Waisenkinder, Kinder aus vernachlässigten Familien und schwer erziehbare Jugendliche gegründet hatte, (die Francke´schen Anstalten wurden bald übrigens ziemlich groß und berühmt.) In einer solchen Umgebung weiß man, was es heißt, dass Menschen offenbar festgelegt zu sein scheinen – festgelegt auf ihre Gene, auf ihre familiären Verhältnisse, auf ihre triste Herkunft..

Üblicher Weise hat man diesen Kindern damals keine Chance mehr gegeben; man hat in ihnen kein Entwicklungspotential gesehen und sie darum bloß weggesperrt und halt notdürftig irgendwie versorgt.

 

Doch nein! Das stimmt nicht, bei Gott ist nichts unmöglich, das war (und ist bis heute) die Botschaft des Evangeliums: Als Kind Gottes trägt jeder Mensch Entwicklungspotential in sich. Grenzen der Herkunft und der Umstände sind eben nicht unabänderlich!

 

Einige Jahre nach seiner Erziehertätigkeit in Halle hat Johann Ludwig Konrad Allendorf das folgende Lied gedichtet, in dem er zunächst das Weihnachtsgeschehen noch einmal kurz skizziert:

„Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude,

A und O, Anfang und Ende steht da.

Gottheit und Menschheit vereinen sich beide,

Schöpfer, wie kommst Du uns Menschen so nah...“

 

Und dann in der zweiten Strophe:

„Jesus ist kommen, nun springen die Bande,

Stricke des Todes, die reißen entzwei!

Unser Durchbrecher ist nunmehr vorhanden,

Er, der Sohn Gottes, der machet recht frei!

Bringet zu Ehren aus Sünde und Schande,

Jesus ist kommen, nun springen die Bande!“

 

Heute wird dieses Lied meistens nicht zu Weihnachten, sondern zu Epiphanias gesungen, also am 6. Jänner. Im Evangelischen Gesangbuch gilt es überhaupt als das Leitlied für den heutigen Tag. Epiphanias ist jenes eigentümliche altkirchliche Lichtfest, das sich in den verschiedenen Kirchen sehr unterschiedlich entwickelt hat: In der orthodoxen Tradition wurde es zum eigentlichen Weihnachtsfest, in der römisch-katholischen Tradition zum Fest der Hl. Drei Könige und in der evangelischen Tradition zum Fest der „Erscheinung des Herrn“, mit dem der Weihnachtszyklus abgeschlossen und die Kerzen auf dem Christbaum ein letztes Mal entzündet werden.

 

Was gäbe es Befreienderes, als dass wir das von Weihnachten mitnehmen ins Neue Jahr: Wir sind von unseren Umständen nicht für alle Zeiten festgelegt, jeden Tag haben wir vielmehr die Chance aus gewohnten Mustern auszubrechen, uns aus beklemmenden Korsetts zu befreien und scheinbar unüberwindbare Hindernisse doch zu überwinden.

 

„Jesus ist kommen, nun springen die Bande,

Stricke des Todes, die reißen entzwei!

Unser Durchbrecher ist nunmehr vorhanden,

Er, der Sohn Gottes, der machet recht frei!“