Das Evangelische Wort

Sonntag, 27. 01. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Pfarrer Harald Kluge (Wien)

 

 

„Davon geht die Welt nicht unter sieht man sie manchmal auch grau. Einmal wird sie wieder bunter, einmal wird sie wieder himmelblau.“

 

So optimistisch hat Zarah Leander in ihrem berühmten Liebesleidlied 1942 gesungen. „Das ist doch kein Weltuntergang!“, ist heute ein beliebter Versuch, ein bisschen Trost zu spenden. Wenn der Sohn mit einem Fleck in Deutsch nach Hause kommt. Oder wenn die Tochter von ihrem ersten Freund wegen einer anderen stehen gelassen wird.

 

„Das ist doch kein Weltuntergang!“ So hat Jesus seinen Jüngern klar zu machen versucht, dass sie nicht immer gleich alles für den Anfang vom Ende halten sollen. Erdbeben, Kriege, Hungersnot, selbst wenn kein Stein auf dem anderen bleibt. Das sei noch nicht das Ende.

 

Passt das auch in meinem Leben? Diese Botschaft von Jesus: „Erschreckt nicht! Das muss geschehen, aber das Ende ist es noch nicht!“

 

Wenn auch nicht gleich die ganze Welt auseinander fällt – da haben wir noch einige Millionen Jahre vor uns – so erlebe ich als Mensch hin und wieder meinen ganz persönlichen und intimen Weltuntergang. Und ich suche verzweifelt nach Worten und hilfreichen Bildern. Solche Gedanken eines geschundenen, kranken und verspotteten, trauernden Menschen, so einen Menschen, der mir zeitweise in seinen Regungen ganz nah ist, finde ich in Psalm 22.

 

„Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen,  bist fern meiner Rettung, den Worten meiner Klage? Mein Gott, ich rufe bei Tag, doch du antwortest nicht, bei Nacht, doch ich finde keine Ruhe. Wie Wasser bin ich hingeschüttet, und es fallen auseinander meine Gebeine. Trocken wie eine Scherbe ist meine Kehle, und meine Zunge klebt mir am Gaumen, Du aber Herr, sei nicht fern, meine Stärke, eile mir zu Hilfe. Hilf mir vor dem Rachen des Löwen,  vor den Hörnern der Wildstiere. Um mich sind Hunde, eine Rotte von Übeltätern umzingelt mich, sie binden mir Hände und Füße.“

 

Hier schreit ein Mensch, der völlig am Ende ist, seine Klage heraus. Und der Glaube steht auf dem Prüfstand. Wenn eine Frau Mitte Zwanzig bei einem Verkehrsunfall ums Leben kommt und einen Mann mit drei kleinen Kindern hinterlässt. Wenn eine alleinerziehende Mutter zweier Buben plötzlich an einem Herzschlag stirbt. Wenn ein Mann Ende 30, lebenslustig und hoch gebildet, erneut in eine Entzugsklinik eingeliefert werden muss und sein Leben als völlig gescheitert erlebt.

 

Wo ist da Gott?

Genügt es, zu behaupten, an ihrer Seite und auf Seiten der Angehörigen und Traurigen?

 

Keine Versicherung, sei es ein noch so fester Glaube, kann hier beständig halten, wenn alles zu rutschen beginnt. Da setzt die Schwerkraft aus und es zieht mir den Boden unter den Füßen weg. Ich will mir hier das Mitleid auch nicht verbieten. Dass es auch gar nicht geht, merke ich schon rein körperlich. Wenn ich mit dramatischen Ereignissen konfrontiert bin, wird mein Gaumen trocken und die Zunge schwer. Und wenn ich selbst einmal sage: „Ich kann nicht mehr. Ich bin am Ende meiner Kräfte und meiner Weisheit“. Dann werde ich auch wieder ganz Kind. Und ich verwandle alles Bedrohliche in verständliche Happen und Bilder.

 

Aus der bedrohlichen Todesangst wird flugs eine Horde von Stieren, die mich bedrohlich anschnaubt. Aus Mitarbeitern, die ein bisserl mobben, wird eine Meute von Hunden, die mich umzingeln. Aus der Angst vor der Arbeitslosigkeit wird ein Rudel brüllender Löwen, die ihr Maul weit aufreißen und dabei ungeputzte Zähne zeigen. Mit solchen Schreckensbildern kann ich besser umgehen. Denn diese Viecher kann ich auf unzählige Arten vertreiben. Wir stehen als Christen in einer wunderbaren und reichen Erzähltradition. Wir teilen sie mit Juden und Muslimen. Stiere, Löwen und Hunde kann ich als Viecher allesamt zum Teufel schicken. Und wenn sie fragen: „Wie?“ Psalm 22 meint:

 

„Erzählen wird man vom Herrn der Generation, die noch kommt, und verkünden seine Gerechtigkeit dem Volk, das noch geboren wird.“

 

Wir sind diese Generation, der aufs Neue weitergereicht wird, wie wir mit unseren Sorgen und Ängsten, Verlusten und unserer Trauer umgehen könnten.

 

Unsere Frage, die wir wie ein nerviges Kind immer wieder stellen sollen: „Mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ findet so eine Antwort „Gott. Du hast mich erhört. Du hast es vollbracht.“

 

Gott hört meine Frage und meine Verzweiflung. Gott hört nicht nur, sondern erhört mich und antwortet auch.