Das Evangelische Wort

Sonntag, 10. 02. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Peter Pröglhöf, Fachinspektor für den evangelischen Religionsunterricht in Salzburg, Tirol und Vorarlberg

 

 

1522. Martin Luther befindet sich auf der Wartburg. Sein Landesherr, Kurfürst Friedrich der Weise, hat ihn dort in Sicherheit gebracht. Über Luther war ja der Bann und die Reichsacht verhängt worden, er war damit vogelfrei und in Lebensgefahr. Auf der Wartburg konnte ihm nichts geschehen.

 

Doch in Wittenberg, wo er an der Universität gelehrt hatte, werden seine reformatorischen Ideen vorangetrieben. Vielen geht es zu langsam. Es kommt zu Unruhen und Zerstörungen in den Kirchen, dem so genannten Bildersturm. Luther erfährt davon in seinem Versteck. Es lässt ihm keine Ruhe, dass zu Gewalttätigkeiten führt, was er mit Worten und Schriften begonnen hat. Und so beschließt er, aus seinem Asyl aufzubrechen. Er kann sich nicht länger heraus halten, auch wenn er gewarnt wird, dass das Verlassen der Wartburg für ihn gefährlich werden könnte.

 

So tritt er wieder in Wittenberg auf und hält eine Reihe von acht Predigten. Es gelingt ihm, durch die Kraft des Wortes die Unruhen zu beenden und verhindert so weitere Zerstörungen und Gefährdungen von Menschenleben. Diese Predigten hat er am ersten Sonntag der Passionszeit des Jahres 1522 begonnen, der nach dem lateinischen Stichwort des Psalms den Namen „Invokavit“ trägt. Und so sind Luthers Ansprachen als Invokavitpredigten berühmt geworden.

 

Heute ist wieder der Sonntag Invokavit, der erste Sonntag der Passionszeit. Und mir scheint, die Ereignisse des Jahres 1522 haben uns auch heute etwas zu sagen.

 

Für mich ist zum Beispiel wichtig: Die Kirche hat keine Macht, außer der Macht des Wortes. Kein Bischof kann gleichzeitig irgendwo Staatsoberhaupt sein. Kein für alle Menschen gültiges Gesetz kann von einer Kirche erlassen werden. Die Kirche hat keine Macht, außer der Macht des Wortes. Aber diese Macht hat sie, und mit dieser Macht muss sie verantwortungsvoll umgehen. Nur allzu oft ist die Macht des Wortes dazu missbraucht worden, Menschen aufzuhetzen, Hass zu schüren und Gewalt und Krieg zu rechtfertigen. Auch Luther selbst – dazu bekennt sich die evangelische Kirche – war von diesen Irrwegen nicht frei. Seine Aussagen gegen die Juden sind ein trauriges Beispiel dafür. Mit seinen Invokavitpredigten hat Luther aber die Richtung angegeben, wohin die Macht des Wortes führen soll: zu einem friedlichen Miteinander der Menschen. Unterschiedliche Meinungen müssen fair ausgetragen und manchmal auch ausgehalten werden.

 

Und was für mich noch wichtig ist: Die Kirche darf sich nicht heraus halten, wenn Menschen in Gefahr sind. Das kann manchmal auch unbequem sein. Martin Luther hat sich damals in große Gefahr begeben, als er beschloss, nicht in seinem Versteck auf der Wartburg zu bleiben. Für das friedliche Miteinander der Menschen einzutreten, kann bedeuten, mit denen in Konflikt zu geraten, die sich aus der Spaltung der Gesellschaft Profit erwarten. Wer der Macht des Wortes vertraut, bekommt Zivilcourage.

 

Es hat nach Luther noch eine ganze Weile gedauert, bis der Begriff der Menschenrechte aufgekommen ist und die Kirchen gelernt haben, sich für die Menschenrechte einzusetzen. Heute treten die Kirchen gemeinsam auf, wenn es darum geht, das Wort für die Menschenrechte zu ergreifen: das Recht auf ein menschenwürdiges Leben, auch für die Fremden unter uns, auch für die Pflegebedürftigen, auch für die sozial Schwachen.

 

Übrigens: Kirche sind wir alle, die wir zu einer Kirche gehören, und nicht nur ihre offiziellen Sprecher und Sprecherinnen. Auch in unseren Auseinandersetzungen um richtige Wege und ein friedliches Miteinander tut es uns gut, der Macht des Wortes etwas zuzutrauen.