Das Evangelische Wort

Sonntag, 24. 02. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

„Prägung im Glauben“

von Pfarrer Matthias Geist (Wien)

 

 

Heuer jährt sich meine Konfirmation zum 25. Mal. Die Konfirmation ist zwar kein Sakrament wie die Firmung in der katholischen Tradition. Aber sie ist als Segenshandlung die besondere Bestätigung der Zusage der Taufe. Zum heurigen Jubiläum werde ich wohl von meiner Heimatpfarrgemeinde eine Einladung erhalten – zur Jubelkonfirmation. „Wer sich da nach 25 Jahren wohl einfindet? Wer von unserer Gruppe hat sich wie weiterentwickelt?“, frage ich mich. Sind wir 14-Jährige von damals glaubenstreue evangelische Christen geworden? Und: Was hat uns bis heute geprägt, wovon haben manche Abstand genommen? Einen solchen Tag wie den Konfirmationstag vergessen wenige, ist meine Erfahrung. Aber für manche junge Menschen stellt dieser evangelische Schritt in ein erwachsenes, eigenverantwortliches Leben eine Überforderung dar.

 

Vor kurzem habe ich nachgelesen, wie mein Vor-Vorgänger in der Wiener Gefängnisseelsorge von seiner ersten Begegnung im Gefängnis berichtet: In der Passionszeit 1942, vor knapp 66 Jahren, erlebt er seine „Berufung durch den Hühnerdieb“, wie er sie nennt. Ein Malergeselle, 33 Jahre, hatte unter Ausnutzung der Verdunkelung während eines Fliegerangriffs einen Hühnerstall aufgebrochen und daraus etliche Hühner gestohlen. Der zum Tod Verurteilte verlangte nach dem Seelsorger und begrüßte Pfarrer Hans Rieger am Tag seiner Hinrichtung mit einem Zitat aus der Bibel. Dieser fragte: „Kennen Sie die Bibel so gut?“– „Ja“, meinte er, „ich bin in Berlin aufgewachsen und wir hatten einen Pfarrer, der ließ uns im Konfirmandenunterricht viele Bibelverse auswendig lernen!“ – „Konfirmiert wurden sie auch? Dann wissen Sie vielleicht noch ihren Konfirmationsspruch?“ Der Hühnerdieb antwortete: „Ja. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.“ Markant, eindrucksvoll und in den letzten Stunden eines Kleinkriminellen ist in dieser Begebenheit eine unglaubliche Verankerung im Glauben zu spüren, die Pfarrer Rieger da hautnah erleben und begleiten durfte.

 

Nicht immer wird es – wie in früheren Zeiten – ein Bibelvers, eine Strophe eines Kirchenliedes sein. Und in schweren Zeiten macht sich besonders bemerkbar, was einen trägt, was hängen geblieben ist und wie Gebet und Bibel, Leben und Glauben verbunden sind. Mir kann fast keiner der Gefangenen, die ich kennen lerne, einen Bibelvers auswendig aufsagen. Doch wenn, dann rüttelt es mich immer wieder wach: Wie kann jemand, der sich und anderen etwas angetan hat, doch auch seinen christlichen Glauben so deutlich zur Sprache bringen!? Was trägt auch jene, die es besser wissen hätten können und müssen, wenn sie gefehlt haben, wenn sie inmitten ihrer Schuld verstrickt und doch erlöst sind? Ein über 60-Jähriger meinte vor kurzem zu mir: „Sagen Sie es ruhig ihren Leuten: Es stimmt: Gott bewahrt uns nicht vor dem Leid und nicht vor der Schuld, aber er bewahrt uns im Leid und in der Schuld.“

 

Auch lange nach dem hingerichteten evangelischen Hühnerdieb höre ich immer wieder von Lebensgeschichten, die auf den Wert der Konfirmandenzeit verweisen. Und ich stelle mir vor, dass auch 2050 oder 2070 also in wirklich ferner Zukunft dem einen oder anderen Evangelischen in Österreich in Erinnerung kommt: „Ja, ich war Konfirmand, ja ich habe einmal die Alten- und Behindertenarbeit im Diakoniewerk Gallneukirchen in Oberösterreich erlebt. Ja ich war mit einer Jugendfreizeit auf der Burg Finstergrün im Lungau oder woanders. Und: Ich habe in dieser Zeit etwas Entscheidendes für mein Leben mitgenommen. Ja, ich erinnere mich auch an eine Liedstrophe, einen Bibelvers oder ein Gleichnis Jesu. Und ich habe es mir nicht nur gemerkt, sondern verinnerlicht. Ja, ich weiß auch in guten und schweren Zeiten, dass mich die Freundlichkeit Gottes angestrahlt hat. Wie jener Hühnerdieb, der sich ein Wort der Konfirmation gemerkt hat und getreu bis in den Tod die Krone des Lebens erwartet hat.“