Das Evangelische Wort

Sonntag, 02. 03. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Dr. Jutta Henner

 

 

Vor kurzem war ich einige Tage in der Türkei.  Es war eine internationale Tagung der Bibelgesellschaften Europas und des Nahen Ostens. Eine Fülle von Eindrücken und Anregungen, Ermutigungen, aber auch Fragen habe ich von dort mitgebracht. Freilich, das gemeinsame Anliegen der Arbeit der Bibelgesellschaft  in den verschiedensten Ländern Europas und des Nahen Ostens ist, dass in Zusammenarbeit mit Kirchen und allen, die guten Willens sind, die Bibel zu den Menschen kommt. Dass die Projekte von Kompetenz, Liebe, aber auch Kreativität geprägt sein müssen, versteht sich von selbst.

 

Vor allem konnte ich in diesen Tagen einen Einblick in die Arbeit der Bibelgesellschaften im Nahen Osten und die – aus jeweils verschiedenen Gründen -  schwierigen Bedingungen, unter denen sie arbeiten, gewinnen. Ja, ganz allgemein, die Situation der Christen in den Ländern der Bibel von der Türkei, über Syrien, Jordanien, den Libanon, den Irak und natürlich Israel-Palästina hat mich interessiert und sehr bewegt!

 

Dass der Anteil der Christen an der Bevölkerung in diesen Ländern laufend kleiner wird, ist nichts Neues. Waren beispielsweise im syrischen Aleppo 1958 noch 30% der Bevölkerung Christen, sind es heute nur noch 10%. Viele Christen verlassen den Nahen Osten – wegen der politischen Lage, aber auch – meist damit zusammenhängend – wegen ihres Glaubens. Im Irak ist die Zahl der Christen in den letzten Jahren auf nur noch 5% der Bevölkerung gesunken, viele Christen sind Flüchtlinge im eigenen Land, in den Nachbarländern, in Europa und in der ganzen Welt. Ein Mitarbeiter der Bibelgesellschaft im Irak berichtete erschüttert davon, dass das Leben in weiten Teilen des Landes „außerordentlich schwierig und lebensgefährlich“ sei, besonders für die Christen.

 

Doch mitten in ihren schwierigen Situationen gibt es Zeichen der Hoffnung. Zeichen dafür, dass die Botschaft der Bibel von der Liebe und der Versöhnung Kraft schenkt und die Christen stärkt und ermutigt. Ich könnte erzählen von der interaktiven Ausstellung „Bibelwelt“ mitten in Beirut, wo Schulkinder ganz lebendig und spannend die Bibel und ihre Geschichte entdecken können – tausende Schüler sind in den vergangenen Jahren mit Begeisterung dort gewesen. Ich könnte von Jugendbibelrunden in Gemeinden erzählen, die die Bibelgesellschaft in der Türkei mit einigen Kirchen gestartet hat. Ich könnte von mehr als 100.000 farbigen Kalendern mit Bibelworten in arabischer, armenischer und kurdischer Sprache erzählen, die auch heuer wieder von der Bibelgesellschaft herausgegeben wurden und den Christen im Irak Freude geschenkt haben. Beispiele, die stellvertretend für andere Projekte stehen. Die zeigen, dass die verantwortlichen Christen in dieser Region eng zusammenarbeiten.

 

Ja, so habe ich meine Gesprächspartner, leitende Persönlichkeiten aus den Bibelgesellschaften und verschiedenen Kirchen im Nahen Osten in diesen Tagen überhaupt erlebt: Entschieden und selbstbewusst, zuversichtlich und leidenschaftlich, mit bemerkenswerter Ausstrahlung. Mutig in aller Angst und Verletztheit, und doch keinesfalls bitter. Bereit, jedem mit Liebe und Weisheit Rede und Antwort zu stehen, der sie nach ihrer Hoffnung und Gewissheit fragt. Die Liebe zu den Menschen der verschiedenen religiösen Prägung rund um sie herum zeichnet sie aus, gegen alle Hoffnungslosigkeiten und allen Schwierigkeiten zum Trotz. Aber auch das Verständnis für diejenigen, die dem Druck nicht mehr standhalten und ihre Heimat verlassen.  Die Liebe zu den Menschen und zu ihrer Heimat lässt sie selbst in ihren Heimatländern bleiben.

 

Eines haben mir allerdings alle, mit denen ich sprach,  mit auf den Weg gegeben. Die ganz eindringliche Bitte und Mahnung: „Vergesst uns Christen im Nahen Osten nicht!“ Die Christen im Nahen Osten erwarten von uns hier in Europa, dass wir in der Öffentlichkeit in viel stärkerem Maße die Erinnerung an sie wach halten, und, wo immer möglich, den Einsatz für Glaubensfreiheit und Toleranz einmahnen.

Christinnen und Christen in Westeuropa sollen sich ihren Glaubensgeschwistern im Nahen Osten solidarisch zur Seite stellen, sie aber auch im Gebet begleiten, öffentlich in Gottesdiensten aber auch in der ganz persönlichen Frömmigkeit. 

Bei Urlauben in den Ländern des Nahen Ostens sollen wir nach Kirchen und Christen fragen, gezielt die Begegnung suchen. Und das Mindeste: Christen, die aus diesen Ländern zu uns fliehen, herzlich aufnehmen: Vielfältige geschwisterliche Begegnungen können so entstehen, von denen beide Seiten lernen und zehren, Mut schöpfen und sich bereichern lassen können.

 

Ich habe es jetzt ganz persönlich erlebt: Beim gemeinsamen Lesen der Bibel  habe ich vertraute Texte und Bilder ganz neu gelesen. Ich habe entdeckt, was es heißt, wenn der Apostel Paulus im Römerbrief schreibt: „Wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung.“ (Römer 5, 1)  Ich habe entdeckt, welche Herausforderung es sein kann, Jesu Gebot in der Bergpredigt: „Liebt Eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen“ (Mt 5, 44)  Tag für Tag  zu glauben – und zu leben!

Vergesst die Christen im Nahen Osten nicht! – Wie könnte ich das. Sie sind mir in den Tagen der Gemeinschaft in ganz spezieller Weise noch wichtiger geworden und gleichsam ans Herz gewachsen!