Das Evangelische Wort

Sonntag, 16. 03. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

von Superintendentin Luise Müller

 

 

Lasst uns aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens (Heb. 12, 2b)

 

Wenn ich mit 14 Jahren eines nicht wollte, dann war es: zu jemand aufsehen. Deswegen war ich auch sehr enttäuscht, dass mir unser Pfarrer gerade diesen Konfirmationsspruch ausgesucht hatte. Lasst uns aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens. Hätte es nicht etwas mit Freiheit, mit Unabhängigkeit sein können? Eine Parole für ein emanzipiertes Leben? Konfirmationssprüche, also die Bibelworte, die man im Konfirmationsgottesdienst persönlich zugesprochen bekommt, hatten in meiner Jugend etwas seltsam Orakelhaftes. Und auch heute noch, wo diese kurzen Bibeltexte längst von den Jugendlichen selber gewählt werden, misst man ihnen durchaus lebensbegleitende Bedeutung zu. Ich jedenfalls wollte mit 14 frei sein. Nicht einmal zu Jesus aufsehen. Gut, als Freund konnte ich ihn mir vorstellen. Gemeinsam mit ihm durch dick und dünn gehen, ja, das wäre ein Modell für meine Jugend gewesen. Jesus, der Schmiere steht, Jesus, der mit mir die Gefahr nicht scheut, Jesus, der Revolutionär. Erst, als ich mich gefunden hatte, und das war etliche Jahre später, konnte ich aus freien Stücken zu jemand aufsehen. Voraussetzung für diesen Schritt war, dass ich scheinbare Mängel, die dem makellosen Idealbild entsprachen, als Ausdruck meiner Persönlichkeit sehen konnte, als das Besondere, das mich einmalig machte. Als ich mich geliebt fühlte und mich selbst lieben konnte, da konnte ich auch aufsehen zu Jesus und ihn als Vorbild akzeptieren.

 

Palmsonntag, der Eingang zur Karwoche. Die Ereignisse damals in Jerusalem, den letzten Tagen vor Jesu Tod, zeigen uns viele Gesichter Jesu. Ich sehe den, der vorausgeht, zu dem sie jubelnd aufblicken. Ich sehe den, der scheinbar scheitert mit seinem Programm. Ich sehe den, dessen Gesicht angstverzerrt ist, ich sehe den, der offensichtlich als Verbrecher am Kreuz endet. Und endlich sehe ich den, der am Ostermorgen ganz neu und ganz anders anfängt. Ich sehe den, der ernst macht mit dem Glauben an Gott, in einer Art, wie niemand vor ihm. Ich sehe ihn als den, der endlich anfängt mit dem Gottvertrauen.

 

Wir Menschen haben in seiner Nachfolge immer wieder Sternstunden gehabt, in denen uns das auch gelungen ist: Gottvertrauen. Aber es gab auch das Gegenteil. Dass wir jubelnd anderen scheinbaren Heilanden nachgerannt sind, zu Idolen aufgesehen haben, die diesen anerkennenden Blick nicht nur nicht verdient haben, sondern die ihn auch wissentlich missbraucht haben, um uns zu verführen. Wir sind Bindungen eingegangen, die widergöttlich waren und haben alles vergessen, was dem Menschen Würde und Wert gibt. Am 12.März im Jahr 1938, dem Tag des Anschlusses Österreichs an Nazideutschland haben möglicherweise auch unsere Eltern oder Großeltern einem Menschen zugejubelt, zu ihm aufgesehen, der sich in seinem Größenwahn wie ein Gott fühlte, aber eine Spur der Gottlosigkeit, der Zerstörung und mordender Menschenverachtung  hinter sich ließ.

 

In den Barmer Thesen, einem Bekenntnistext unserer Kirche aus dem Jahr 1934 heißt es: Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.

 

Lasst uns aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens. Heute kann ich meinen Konfirmationsspruch so verstehen, dass er mich frei macht von Idolen, von Verführern, von ungerechtfertigten Ansprüchen. Dass er mich immer wieder befreit zu einem emanzipierten Leben voller Gottvertrauen.