Das Evangelische Wort

Sonntag, 15. 06. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

HEILSAME STILLE

von Ulrike Wolf-Nindler

 

 

Ich schwimme vor dem Frühstück ganz allein im See. Das Wasser dampft noch nach der kühlen Nacht, macht ganz leichte, leise Wellen. Ich muss mich rasch bewegen, sonst wird mir kalt. Nur da drüben, auf dem Steg, hocken ein paar Enten und leisten mir Gesellschaft. 

Alles ist so ruhig und friedlich. Und ich achte jetzt auf meinen Atem, gebe mich ganz meiner Bewegung hin, und lausche in die Stille; - spüre, was da ist, - mit allen Sinnen. So bekommt allmählich alles seinen Rhythmus und ich das weite „Ich habe alle Zeit der Welt – Gefühl“.   

 

Stille: Das ist das Morgenlicht in seinen bunten Farben; Das sind Straßengeräusche vor dem Fenster und das Ticken einer Uhr.

Stille: Das ist ein friedlich schlafender Mensch. Oder aber auch einer - ganz in seine Arbeit vertieft.

Stille: Das ist einfach Ruhe ohne Wertung, das heißt ohne Druck.

 

Stille kenne ich aber auch ganz anders: Als peinliches Husten und Schmatzen; als bedrückende Einsamkeit in schlafloser Nacht; oder als banges Warten vor dem großen Sturm. Erzwungene Stille macht auch depressiv, weil soviel beabsichtigte Distanz unsere Sehnsucht nach Verbundenheit verletzt.

 

Dem steht meine heilsame, morgendliche Stille gegenüber, in der mein Verstand ständig mit sich selber spricht, Argumente und Gegenargumente mit sich selber austauscht:
Ich trete
mir in aller Ruhe gegenüber, schaue zurück, um abzulegen, was mich noch beschwert und daher doch nur unnötig ermüdet:
Was alles hat sich im Lauf der Jahre als reine Illusion erwiesen? Und wovon sollte ich im Hinblick auf die eigne Sterblichkeit Abschied nehmen?  

So treffen in der Stille in ganz besonders intensiver Weise die Gegenwart und meine Vergangenheit einander:

Und im Suchen und Fragen komme ich dann ganz von selber irgendwann einmal im Jetzt an: Lasse mich von Innen her neu inspirieren und bestimme daraufhin wie beim Schwimmen ganz bewusst den Kurs. So entsteht in mir eine Art innere Verschalung, die ich mit meinen Visionen so gestalte, wie ich will; - Damit ich doch noch werde, was ich sein könnte…
i
n einer Welt, die ansonsten nur in Verfügbarkeiten denkt. Ja, in einer solchen Welt ist Stille etwas Fremdes, etwas, das man im Grund genommen nur wie ein Geschenk empfangen kann. Und dann erst zeigt sie uns ihre göttliche Seite.

 

So ging auch Jesus einst 40 Tage in die Wüste, jenen Landfleck, wo alles brach liegt, - um zu schweigen. - Nein, ich meine nicht jenes drückende Schweigen, das dem Anderen zu einem einzigen Rätsel wird und den Zusammenbruch der Kommunikation bewirkt, sondern jenen Gegenpol des Sprechens, den man auch bewusst herbeigeführte Stille nennen könnte.
Denn darin erwies sich in der Wüste schließlich Jesu Gottesnähe, seine einzigartige, besondere Gottesbindung. Wenn das so ist, dann läge das Geheimnis Gottes außerhalb unserer selbst, auch jenseits aller Sprache, bliebe sozusagen unaussprechlich und damit unfassbar.

 

Ich schwimme vor dem Frühstück ganz allein im See. Und danach? Danach muss ich irgendwann zurück ans Ufer, muss  dieser Welt gestatten, dass sie mich  wieder mit ihrer ganzen Macht umflutet.  Und danach?  Danach kommt das Warten  auf die nächste Stille, die nächste Szene…

 

Wie auch geschrieben steht im Buch des Predigers:

 

Alles hat seine Zeit:
Geboren werden und sterben; pflanzen und ausreißen;
abbrechen und bauen; weinen und lachen;
suchen und verlieren; reden und schweigen.“ (Aus Pred. 3)