Das Evangelische Wort

Sonntag, 22. 06. 2008,  6.55 Uhr - 7.00 Uhr Österreich 1

 

 

 

Von der Gier und vom Teilen
von Andreas Fasching

„In Österreich landet jedes fünfte Brot auf dem Müll“. So titelte eine Tageszeitung vor zehn Tagen im Wirtschaftsteil. Während weltweit seit Monaten über die Ursachen und Folgen gestiegener Lebensmittelpreise diskutiert wird, müssen in Österreich Bäckereien bis zu 25% ihrer Produkte als Biomüll entsorgen. Auf diese Weise landet in Wien so viel Brot auf dem Müll, wie in der Stadt Graz täglich benötigt werden. Höchstens zwei Tage altes Brot wird entsorgt, um den Markt für frisches Gebäck nicht zu unterwandern. Dazu kommt laut Berechnungen der Wiener Universität für Bodenkultur, dass auch 15% des gekauften Brotes in den privaten Mülltonnen landet. Im Durchschnitt wirft jeder Haushalt im Jahr Brot im Wert von mehreren Hundert Euro weg.

 

„Genug ist nicht genug“. Ein Lied von Konstantin Wecker kommt mir angesichts dieser paradoxen Situation in den Sinn. Maßhalten scheint ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Fremdwort zu sein. Viele wollen eben auch um 18:00 Uhr noch volle Regale im Supermarkt und in der Bäckerei. Wer das Angebot verknappt, riskiert Nachteile auf dem umkämpften Markt. Es regiert der „Dämon vom ewigen Wachstum“ – wie Dorothee Sölle das nennt. Wir kriegen einfach nicht genug und stillen in all dem Überfluss doch nicht unseren wahren Hunger. Im Gegenteil: die allgemeine Übersättigung hinterlässt ein unbehagliches Gefühl. Es ist dasselbe Gefühl, das sich einstellt, wenn ich zuviel gegessen habe. Es ist unangenehm und bedrohlich; es lähmt. Wenn alle Wünsche erfüllt sind und keiner mehr übrig bleibt, fange ich an mich zu fürchten.

 

So wächst ein Konflikt zwischen der Zone der Welt, wo Überproduktion herrscht, und Regionen, wo Hunger gelitten wird. Der UNO-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung, Jean Ziegler, beurteilt die Situation folgendermaßen: „Die Weltwirtschaft könnte ohne Probleme zwölf Milliarden Menschen ernähren. Das heißt, ein Kind, das heute an Hunger stirbt, wird ermordet.“

 

Durch die Brot-Überproduktion bauen allein Österreichs Bauern jährlich 20.000 Hektar Getreide an, das letztlich im Abfall endet. Für diese Anbaufläche geht soviel CO2 in die Luft, wie 30.000 Pkws im Jahr ausstoßen. Mit der Haltung des Wegwerfens bedrohen wir die Schöpfung, denn die Belastbarkeit unserer Erde ist begrenzt. So wie unsere Vernetzung untereinander weltumspannend ist, kennen auch unsere Abhängigkeiten keine Grenzen mehr. Eine Zukunft für die vielen Menschen wird es nur geben, wenn wir lernen, den einen Raum des Lebens miteinander zu teilen.

 

Dieses Teilen lerne ich bei Jesus aus Nazaret. In der Tischgemeinschaft des Abendmahles wird lebendig, was Jesus im Blick auf seinen Tod getan hat. Da hat er sein ganzes Leben in der Geste des Teilens zusammengefasst: „Das Brot, das ich gebe und den Becher, den ich euch reiche – das ist meine bis in den Tod gelebte Solidarität mit euch und allen Menschen.“ Christinnen und Christen versammeln sich um den, der nicht ‚etwas’ mit ihnen teilt, sondern sich selbst und darin die Menschenfreundlichkeit Gottes.

 

Wer in diese Schule des Teilens eingeschrieben ist, wird sich von der als Konsumentenfreundlichkeit getarnten Profitgier nicht länger täuschen lassen. Ich werde mein Einkaufsverhalten überdenken und mich dafür einsetzen, dass mehr Produkte eine zweite Chance in Sozialsupermärkten bekommen. Damit Brot und Liebe für alle reichen!